LED ZEPPELIN - Whole Lotta Phallus

24. April 2014

Led Zeppelin

Vor allem war es purer Sex. Neben Jimmy Pages allgegenwärtiger Gitarre und dem urgewaltigen Schlagzeug John Bonhams schien er die treibende Kraft im Kosmos von Led Zeppelin zu sein. Ihr hochpotenter und vor Energie pulsierender Hardrock wirkte auf das Publikum der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre wie ein dauererigierter Penis. Und nicht wie ein kleiner. Die Jungs waren neidisch, die Mädels erschauderten, fielen in Ohnmacht oder jauchzten – je nach Temperament und moralischer Disposition. Es war aufregend.

Verkörpert wurde dieser Sex durch Leadsänger Robert Plant. Den schlanken Torso leicht nach hinten gebogen, eine Hand auf die Hüfte gestützt, die blonden Engelslocken über dem strammen Hintern baumelnd, dazu ein Gesicht, das im einen Moment romantisch und feminin wirkte, im nächsten aber schon dem arroganten Lüstling gehörte, der unersättlich nach dem nächstbesten Rock gierte. So stand er am Mikrofon und ließ seine unwirklich hohe, durch Mark und Bein fahrende Stimme hören. Er war eine fantastische Mischung aus Errol Flynn und Brigitte Bardot.

Verstärkt wurde seine Wirkung durch Page, einen mit allen Wassern gewaschenen Gitarrensöldner der Londoner Studioszene, der bei Hinz und Kunz gespielt hatte, im Unterschied zu den meisten seiner Kollegen sämtliche Tricks und Stile draufhatte und nun endlich – ein Frankenstein der ausgehenden Sgt.-Pepper-Ära – im Labor der Olympic Studios sein eigenes Monster erschaffen hatte. Mit der Gitarre betrieb er dabei eine ebenso orgiastische wie fantasievolle und ausgesprochen luzide musikalische Kulissenschieberei, die den blonden Gockel da vorn noch ein bisschen größer, noch ein bisschen omnipotenter und noch ein bisschen beängstigender erscheinen ließ.

Dionysos des Rock

Deutlich wird die Wirkung des Frontmanns, wenn man den jungen Plant mit den anderen Rockgöttern jener Tage vergleicht. Roger Daltrey von The Who war ein kraftstrotzender Athlet, der von Sex allerdings kaum je direkt sang, schon gar nicht in seiner Inkarnation als blinder und taubstummer Tommy. Seine grobschlächtige Dynamik wurde überdies durch die pathologische Intellektualität seines Widerparts Pete Townshend gefiltert. Und Mick Jagger, der bereits zu den Veteranen zählte, wirkte neben dem durchgängig in Wallung befindlichen Plant wie ein versnobter Student, der sich wohl gern als Macho inszenierte und in seinen Songs die holde Weiblichkeit beschimpfte, letztlich aber doch lieber im Ungefähren verharrte und den Akt als solchen allenfalls andeutete. Ob er, wie er im „Stray Cat Blues“ glauben machen wollte, tatsächlich 15-jährige Mädchen vernaschte, blieb im Dunklen.

Während also Jagger mit der Rolle des Sexgottes nur kokettierte, spielte Plant sie mit Überzeugung. Sexuell so eindeutig wie er agierte ansonsten höchstens noch Doors-Sänger Jim Morrison, der aber deutlich neurotischer, um nicht zu sagen, manisch rüberkam und sein Publikum mit seiner offensichtlichen Kaputtheit nicht selten vor den Kopf stieß. Blieben noch Sänger wie Ian Gillan, dessen Frauen, etwa in „Child In Time“ und „Fireball“, ätherisch und mystisch angelegt waren und der ansonsten neben Plant ein wenig blass erschien, sowie David Bowie. Dessen Sexualität war weniger fassbar und obendrein geschlechtlich nicht eindeutig definiert, was beim Publikum jener Jahre, wenn es nicht gerade auf Londons Carnaby Street, in Andy Warhols Factory oder im Garten Eden des Laurel Canyon zuhause war, eher Irritationen auslöste – man war damals noch längst nicht so locker wie uns heutige Chronisten gerne weismachen möchten.

Plant jedenfalls war weder mystisch noch unbestimmt noch ließ er Zweifel an seiner Potenz oder sexuellen Orientierung aufkommen. Er gab den Wüstling. Zu hören war das nicht nur in „Whole Lotta Love“ („I give you every inch of my love“) und im berüchtigten „Lemon Song“, der die Aufforderung enthielt, des Sängers Zitrone so lange auszupressen, bis der Saft an dessen Bein hinunterliefe. Plant konnte und wollte immer, und vor allem sang er ständig davon. Das passende Frauenbild lieferte er natürlich gleich mit, etwa in „Dazed And Confused“ vom ersten Zeppelin-Album, wo er gequält verkündet, das Weib sei niederträchtig, dort unten in der Hölle geschaffen worden („woman was created down below“) und beschere dem Manne nichts als Verdruss. Aber auch wer nicht so ganz genau auf den Text hörte, spürte allein durch die protzig-aufgeblasene, bis zur Schmerzgrenze aufwühlende Musik und das schon in der Frühphase ihrer Laufbahn provozierend selbstbewusste Auftreten der Engländer: Dieser Zeppelin hat nicht zufällig die Form eines Phallus – er ist ein sinnenfroher Dionysos des Rock.

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 160 (Mai 2014).