BROTHER GRIMM - einzigartiger Typ, einzigartige Musik

14. Januar 2018

Brother Grimm

Dennis Grimm ist Brother Grimm. Der zwischen Hamburg und Bremen ausgewachsene und in Berlin lebende 38-jährige legt sein zweites Album „Home Today, Gone Tomorrow“ vor. Wieder einmal hat Grimm das Werk fast im Alleingang eingespielt. Wieder einmal ist seine Musik einzigartig: Minimale Songs zwischen Dröhnen und Grooves, zwischen Noises und Melodien, mehr im Dunkeln als im Licht.

eclipsed: Dennis, du warst gerade auf Tour. Wie lief es?

Dennis Grimm: Cool, es war schön. Auf Tour zu sein ist immer cool. Man lernt neue Leute kennen, neue Städte, neue Ecken.

eclipsed: Du stehst ja ganz allein auf der Bühne. Wie fühlst du dich da?

Grimm: Allein auf der Bühne zu sein, ist interessant. Es fühlt sich frei an. Den Vergleich zu einem Bandgefüge muss man dann bringen. Ich kann tun und machen, was ich will und bin keinen Kompromissen untergeordnet.

eclipsed: Aber du fühlst dich nicht allein gelassen?

Grimm: Nein überhaupt nicht. Wenn es so wäre, dann hätte ich es nie gemacht oder würde auch damit aufhören. Es fühlt sich gut an. Ich bin sehr gern allein auf der Bühne.

eclipsed: Wie bist du überhaupt darauf gekommen, allein Musik zu machen?

Grimm: Wie bin ich draufgekommen? Gute Frage. Nach meinen letzten Banderfahrungen wollte ich einfach ausprobieren, Solosets zu entwickeln, die man sowohl solo als auch mit Bands aufführen könnte. Das war die Grundidee. Dann ist es bei dem Alleinsein geblieben. Der Grund ist, dass ich mich dabei so wohl fühle.

eclipsed: Bist du abseits der Musik auch ein Einzelgänger?

Grimm: Nein, eigentlich nicht. Das ist eine Frage, die ich oft gestellt bekomme. Oder andersrum, ob ich mich nicht einsam fühle auf der Bühne. Das ist aber nicht so. Ich finde, es ist sogar leichter auf einer Tour mit Leuten in Kontakt zu kommen, wenn man allein unterwegs ist. Wenn man in einer Gruppe unterwegs ist, dann ist man der Gruppendynamik unterworfen. Klar, im Auto bin ich allein unterwegs. Auf der Bühne bin ich allein. Drumherum sind aber viele Leute. Da fühle ich mich gut aufgehoben.

eclipsed: Dein neues, zweites Album „Home Today, Gone Tomorrow“ kommt relativ schnell nach dem Debüt. Arbeitest du gern so schnell? War es kein „schwieriges zweites Album“?

Grimm: Im Entstehungsprozess war es überhaupt kein schwieriges Album. Ich habe es tatsächlich auch in relativ kurzer Zeit aufgenommen. Das hat damit zu tun, dass es die Songs, die letztendlich auf dem Album gelandet sind, zumindest in rudimentären Zügen schon gab, bevor ich ins Studio gegangen bin. Zum Großteil hatte ich sie vorher auch schon live gespielt, zwar ganz anders als sie hinterher auf der Platte gelandet sind, aber ich bin eben nicht zum Schreiben ins Studio gegangen.

eclipsed: Wie entstehen bei dir die Songs? Hast du zuerst das Thema, die Lyrics, eine Melodie oder Soundvorstellungen?

Grimm: Es gibt keine richtige Formel dafür. Oftmals ist es schon die Musik, die als erstes da ist. Es beginnt selten mit einem ganzen Text. Manchmal beginnt es mit einer einzelnen Zeile oder nur einem einzelnen Wort, aus dem sich was entwickelt. Aus einem Wort kann dann die Musik entstehen und beides entwickelt sich weiter. Es gibt keinen Königsweg. Aber das ist meistens ein langer Prozess. Die Entwicklung eines Songs bis zu dem Zeitpunkt, wo ich ihn tatsächlich auf der Bühne spiele, dauert relativ lang.

eclipsed: Genauso wie das Debüt hast du auch das neue Album in Kopenhagen in Christiania aufgenommen. Was ist das Besondere dort? Welchen Einfluss hat das dort?

Grimm: Das hat tatsächlich einen großen Einfluss, weil ich dort mit Tenboi Levinson, dem Gitarristen von Hodja, aufnehme. Ich vertraue ihm blind, was die Soundrichtung betrifft. Wir sind uns da sehr ähnlich, wie wir uns meine Musik auf einer Platte vorstellen. Es ist ein sehr familiäres Umfeld dort oben. Das Studio ist ganz klein und einfach. Das fühlt sich so an, als wäre man bei Tenboi zu Besuch und würde nebenbei ein paar Songs aufnehmen. Es gibt andere Studios, die einen schon durch ihre Größe erschlagen. Tenboi ist unfassbar schnell in dem, was er tut. Es findet kein eineinhalbtägiger Soundcheck statt. Du kommst rein, da steht ein Mikro, dann wird der Volume-Regler hochgedreht und du nimmst auf. Es ist viel mehr, aber es fühlt sich so einfach an. Das ist für mich als Musiker ein sehr dankbares Setting und eine sehr willkommene Atmosphäre.

eclipsed: Das neue Album ist stilistisch sehr ähnlich zum Debüt. Wo siehst du die Unterschiede?

Grimm: Gemeinsamkeiten sind da, sowohl was die Songs als auch was den Sound angeht. Das ist sicher darin begründet, dass die Songs der zweiten Platte nicht so viel später entstanden sind als die des ersten Albums. Für mich persönlich ist der Unterschied, dass es eben die zweite Platte ist. Der Weg dahin war unterschiedlich. Ich habe mich sicherer gefühlt im Studio, habe mich mehr Dinge getraut. Ohne die erste Platte zu schmälern, mit der ich nach wie vor sehr happy bin, fühlte ich mich noch wohler als zuvor. Die neue Platte ist noch mal wärmer geworden. Sicher auch noch persönlicher. Und mutiger.

eclipsed: Wenn deine Musik beschrieben wird, kommen Begriffe wie „düster“ und „Geisterhausblues“. Natürlich kommt das Wortspiel auf deinen Namen: „grimmig“. Was hältst du von solchen Beschreibungen?

Grimm: Ich kann nichts daran ändern, also nehme ich es hin. Ich bin oft amüsiert über bestimmte Dinge, die da geschrieben werden. Der Begriff „Geisterhausblues“ hat mich schwerstens amüsiert. „Albträume in Fuckmoll“ fand ich hinreißend. Das habe ich sehr gefeiert. Es gibt Personen, die empfinden es als düster, und andere nicht. Hängt ja auch von den bisherigen Hörgewohnheiten ab. Ich persönlich empfinde die Musik nicht als so düster, wie sie manchmal beschrieben wird. Das ist in Ordnung so. Die Musik lässt relativ viel offen. Daher bin ich auch froh, wenn sie vielschichtig interpretiert wird.

eclipsed: Ist deine Musik nicht auch schön?

Grimm: Wenn du das sagst, freue ich mich. Es würde mir selbst aber schwer über die Lippen kommen, meine eigene Musik als schön zu bezeichnen. Ich finde aber auch, dass sie ihre wohlgemuten Momente hat. Schönheit ist ein elementarer Bestandteil des Lebens. Daher bin ich auch nicht abgeneigt, das in meiner Musik zu zeigen. Auf Konzerten kriege ich ja auch die Reaktion der Hörer mit. Da erfahre ich ganz viele unterschiedliche Sichtweisen. Es würde mich langweilen, wenn ich da immer dieselben Sachen hören würde. Du kannst ein Album ja auch heute bedrohlich finden und morgen wunderschön. Ich kann mich daran erinnern, wie ich zum ersten Mal mit 15 Platten von Sonic Youth gehört habe und zu Tode erschrocken war. Das hat mich durch Mark und Bein erschüttert. Ich wusste gar nicht, was ich damit anfangen sollte. Wenn ich so eine Platte dann hundert oder zweihundert Mal gehört habe, dann entdecke ich die Schönheit, die dahintersteckt. Das ist ja im besten Falle, dass sie sich im Lauf der Jahre verändert und spannend bleibt.

eclipsed: Das heißt ja auch, dass ein Album zeitlos ist.

Grimm: Das weiß man dann erst in 40 Jahren, ob meine Platten zeitlos waren. Ob ich das noch erleben werde? Vielleicht bin ich zu alt dafür. Das wäre dann ein Vorteil, wenn man schon mit 20 Platten macht.

eclipsed: Mit welchen Themen beschäftigst du dich in deinen Lyrics?

Grimm: Es gibt keine bevorzugten Themen. Aber Themen, die sich wiederholen. Dennoch sind beide Alben natürlich keine Konzeptalben. Sie verfolgen thematisch keinen roten Faden. Im Grunde geht es vorrangig um Themen, die Menschen so umtreiben. Liebe, Hass, Wut, Freude, verlassen, verlassen werden, sich wiederfinden, sich selbst verlassen, nach Hause kommen. Solche Sachen spielen auf der neuen Platte eine Rolle. Ein Verhältnis zu einem Zuhause zu haben.

eclipsed: Wenn du solche Sachen auf der Bühne vorträgst, was empfindest du da? Konzentrierst du dich in erster Linie darauf, es richtig zu spielen? Oder überwältigen dich da vielleicht auch die Emotionen?

Grimm: Das ist unterschiedlich. Bisher war es immer noch so, dass wenn ich Konzerte spiele, immer im jeweiligen Song drin bin. Ich habe nicht die Routine, dass ich das einfach runterspulen kann. Ich hoffe, ich kriege diese Art von Routine auch nicht. Das stelle ich mir traurig vor, wenn man aus einer Regung raus einen emotionalen Text schreibt und wenn man ihn dann 200 Mal gespielt hat, nichts mehr fühlt. Dann würde ich aufhören, diesen Song zu spielen. Und das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum Bands aufhören, einen Song zu spielen. Es berührt mich zwar, wenn ich meine Songs spiele, aber sie überwältigen mich nicht. Dann könnte ich das Konzert nicht zu Ende spielen.

eclipsed: Deine Musik ist ziemlich einzigartig. Es gibt nicht viel, was ähnlich klingt. Hast du Vorbilder? Einflüsse? Wie war deine musikalische Sozialisation?

Grimm: Sicher habe ich Vorbilder und Einflüsse. Meine Einflüsse sind ziemlich weit gefächert. Ich habe immer sehr unterschiedliche Musik gehört. Sonic Youth waren über einen langen Zeitraum ein sehr großer Einfluss. Und sie sind es immer noch. Auch die Beach Boys habe ich sehr viel gehört. Es gibt auch Bands aus dem Popbereich, die ich total abfeiere. Ich maße mich aber nicht an, dass man den Einfluss dieser Bands in meiner Musik hört. Ich habe auch Talk Talk gehört, auch deren 80er Phase, die spätere sowieso. Das sind schon Komponenten, die zeigen, wie weit der Einfluss ist. Ich glaube, das hat mich davor bewahrt, nach nur einem Genre zu klingen. Ich glaube, dass ist auch der große Vorteil oder die große Freiheit, die ich immer noch spüre, dass ich eben allein verschiedene Extreme ausleben kann, ohne dass ich in einem Bandkontext einem Kompromiss unterworfen bin. Eine Band ist etwas Wundervolles, man kann sich da gegenseitig kreativ sehr viel geben. Aber am Ende ist das Ergebnis dann oft entweder das Produkt des Stärkeren oder ein Kompromiss. Das kann total toll sein, aber in meiner Situation habe ich nicht dieses Gefühl. Ich bin eben nur ich. Ich muss keine Kompromisse eingehen und muss auch nicht der Stärkere sein. Ich kann machen, was ich will.       

eclipsed: Am Ende des neuen Albums hast du ein Cover von David Bowies „Heroes“ versteckt. Beim Burg Herzberg Festival 2017 hast du bei der großen Regenschlacht kurz „Here Comes The Sun“ von den Beatles angestimmt.

Grimm: An dem Tag habe ich tatsächlich zwei Cover gespielt. Das kann jetzt noch ein schweres GEMA-Gewitter nach sich ziehen. Das Motto des 2017er Herzberg-Festivals war „Fools On The Hill“. Da habe ich dann auch kurz diesen Beatles-Song gecovert. Das war eine spontane Eingebung. Am Tag vor meinem Auftritt bin ich angereist und bin durch übelstes Unwetter gefahren. Es stand alles unter Wasser. Im Laufe des Tages kam mir die Idee, dass „Here Comes The Sun“ ein schöner Song sein könnte und habe mich spontan dazu hinreißen lassen. Das war ein magischer Moment, weil sich eine Lücke in den Wolken auftat und dann tatsächlich die Sonne durchkam.

eclipsed: Was macht den Reiz solcher Cover-Versionen aus?

Grimm: Es kostet eine gewisse Überwindung, einen Beatles-Song zu machen. Durch das Motto des Festivals kam ich aber auch nicht drum rum. Es macht Spaß. Aber es ist ein spezielles Gefühl, einen Beatles- oder Bowie-Song zu covern. Es ist spannend, das zu machen. Vor allem wenn ich einen Weg finde, so einen Song kurz auszuleihen und ihn nicht wie im Original zu spielen, sondern einen eigenen Zugang zu finden. Für mich wäre es Quatsch, einen Bowie-Song oder irgendein Cover so zu spielen wie im Original. Was sollte ich damit ausdrücken? Dass ich es genauso kann wie die Band, von dem der Song stammt? Darum kann es nicht gehen. Mir geht es darum, so einen Song erstmal auf das Grundgerüst zu reduzieren und dann zu gucken, wie ich ihn spielen würde, wenn ich der Glückliche gewesen wäre, der den Song geschrieben hat.

eclipsed: Du hast live eine außerordentliche Bühnenpräsenz, eine schwer zu deutende Anziehungskraft. Hast du irgendwann gemerkt, dass du das Publikum ein Stück weit in den Bann ziehen kannst?

Grimm: Das Urteil über ein Konzert fälle ich erst einmal nur für mich selber mit dem Blick auf mich selber. Wenn ich an die ersten Konzerte zurückdenke, die ich allein bestritten habe, dann war das eine ganz andere Überwindung als heute. Es fühlt sich mittlerweile natürlich an, das zu tun. Wenn du aus einem Bandkontext kommst, dann ist das eine Sache, die auch Unsicherheiten hervorruft. Ich versuche zu bewerten, was auf der Bühne funktioniert und was nicht. Es hilft natürlich, wenn ich positive Reaktionen bekomme. Gerade wenn man allein auf der Bühne steht, ist das wichtig.

*** Interview: Bernd Sievers