JIMI HENDRIX - Der Sprung ins Bodenlose

Nein, ein Ruf wie Donnerhall eilte Jimi Hendrix wahrlich nicht voraus, als er am 24. September 1966 in London an der Seite seines neuen Managers, des Ex-Animals-Bassisten Chas Chandler, aus dem Flugzeug kletterte. Doch schon wenige Monate nach seiner Ankunft war der Mann aus Seattle in aller Munde. Und zum Ende des Jahres 1967 hatte er nicht nur das Gitarrenspiel, sondern die Rockmusik insgesamt in eine neue Dimension befördert. „Plötzlich kommt dieser Unbekannte dahergelaufen, und die Hölle bricht los“, sagte Jack Bruce. Wir folgen Hendrix’ zahlreichen Stationen in diesem für ihn so entscheidenden Jahr, als der Unvergleichliche von der Regenbogenbrücke sprang.

In den USA war James Marshall Hendrix vor allem als Begleitmusiker von Größen wie dem Rock’n‘Roller Little Richard oder Soulsängern wie Curtis Knight unterwegs gewesen. Der Engländer Chas Chandler hatte ihn sich am 3. August 1966 auf Drängen der Hendrix-Förderin Linda Keith als Frontmann von Jimmy James & The Blue Flames im New Yorker Cafe Wha? angesehen und umgehend einen Managementdeal mit ihm abgeschlossen. Den Musikfans in England sagte sein Name nichts, denen auf dem europäischen Festland erst recht nicht. Auch namhafte Kollegen in der britischen Hauptstadt hatten nie etwas von einem Gitarristen namens Jimi Hendrix gehört.

Fan der Beatles – die Beatles als Fans

Doch das änderte sich schlagartig zu Beginn des Jahres 1967: Am 11. Januar besuchten Paul McCartney und Ringo Starr erstmals ein Experience-Konzert, und sie verließen den Club The Bag O’Nails schwer beeindruckt. Danach waren immer wieder Mitglieder der Beatles in unterschiedlicher Besetzung bei Hendrix-Auftritten zu Gast, und es war vor allem McCartney, der die Fingerfertigkeit des Amerikaners und dessen Fähigkeiten als Songschreiber bewunderte. Für den „Melody Maker“ schrieb der Beatle Wochen später eine enthusiastische Vorabkritik zur Single „Purple Haze“: „Hendrix und seine Finger. Ein absolutes Ass an der Gitarre. Das ist erneut eine unglaubliche Platte von Hendrix mit den blitzenden Zähnen.“ McCartney war erst recht von den Socken, als er am 4. Juni, drei Tage nach Erscheinen von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, gemeinsam mit George Harrison einen Experience-Auftritt in Brian Epsteins Saville Theatre besuchte: Hendrix kam hinter dem Vorhang hervor und spielte seine Version des Titeltracks des berühmtesten aller Beatles-Alben. McCartney sah das als „ultimatives Kompliment“ und eine der größten Auszeichnungen seiner gesamten Karriere: „Es wird immer eine großartige Erinnerung bleiben, weil ich ihn in jeder Hinsicht verehre; er war so vollkommen“. McCartney versuchte auch, Hendrix’ Band in „Magical Mystery Tour“ unterzubringen. Hendrix: „Wir waren nicht bekannt, als McCartney uns fragte. Er wollte uns so helfen, allerdings hatten wir dann den Durchbruch, bevor sie den Film zusammen hatten.“

Die Verehrung beruhte jedenfalls auf Gegenseitigkeit. Hendrix spielte auch zwei Versionen des Lennon/McCartney-Stücks „Day Tripper“ ein, eine davon erschien auf dem Album „BBC Sessions“, die andere war schon vorher mit Curtis Knight entstanden und diente als Titelsong einer kanadischen LP, die im Frühjahr 1967 bei Quality Records unter der Nummer SV 1814 veröffentlicht wurde – eine jener Produktionen, zu denen Hendrix aufgrund seines Vertrags mit Ed Chalpin (PPX Enterprises) verpflichtet war. Und in Ringo Starrs Londoner Wohnung, 34 Montagu Square, in der Hendrix und Chandler zeitweise mit ihren Freundinnen lebten, schrieb der 24-Jährige aus dem fernen Seattle „The Wind Cries Mary“.

McCartney kam also zu spät mit seiner geplanten Hilfsaktion, das Trio um den charismatischen Gitarristen afroindianischer Abstammung hatte bereits zum Höhenflug abgehoben, hatte die Musikszene mit den Singles „Hey Joe“, „Purple Haze“ und „The Wind Cries Mary“ in Aufregung versetzt – und dann kam „Are You Experienced“. „Originell und aufregend“, urteilte der „New Musical Express“ zwar relativ kühl, lag damit aber auf der Linie aller anderen zeitgenössischen und auch späteren Kritiker. Fast aller! Die US-Zeitschrift „Rolling Stone“ fand zwar lobende Worte für Hendrix als „großartigen Gitarristen und brillanten Arrangeur“, nörgelte aber am Gesang sowie an seinen Texten und Kompositionen herum. Das frisch gegründete Magazin hatte diese Einschätzung 1967 allerdings exklusiv, korrigierte sich in den Jahrzehnten danach häufig, indem es „Are You Experienced“ in allen möglichen Bestenlisten auf vorderen Plätzen einsortierte (unter anderem auf Platz 3 der besten Debütalben und auf Rang 15 der 500 größten Alben aller Zeiten).

Lest mehr im eclipsed Nr. 195 (11-2017).