INTERVIEW MIT PINK-FLOYD-PRODUZENT PHIL MANZANERA

Als Ergänzung zu unserer Pink-Floyd-Titelstory der eclipsed-Printausgabe 11/2014 dokumentieren wir hier das komplette Interview, das unser Autor Wolf Kampmann Anfang Oktober mit Phil Manzanera über die Arbeit an „The Endless River“ geführt hat.

eclipsed: Wie kann man nach zwanzig Jahren ein Album aus Outtakes von „The Division Bell“ machen?

Phil Manzanera: Als Pink Floyd mit den Aufnahmen begannen, aus denen dann „The Division Bell“ wurde, beschlossen sie, das Album wie in den alten Tagen aufzunehmen. Die Shows der „Momentary Laps Of Reason“-Tour waren gut gelaufen, und die Jungs fragten sich, warum sie nicht einfach frei improvisieren sollten, wie sie es früher getan hatten. Sie gingen in verschiedene Studios, vielleicht hatten sie ein paar Akkordfolgen im Kopf, aber hauptsächlich improvisierten sie. David hatte einen DAT-Rekorder dabei, und wann immer sie etwas in petto hatten, das vernünftig klang, nahm er es auf. Auf diese Weise entstanden zwanzig Stunden an Jams und Ideen.

eclipsed: Aber das war vor zwanzig Jahren.

Manzanera: Ich hatte keine Ahnung, dass sie das getan hatten. Vor zwei Jahren sagte David zu mir: „Da Rick nicht mehr unter uns ist, sollten wir diese Aufnahmen vielleicht mal durchsehen“. Es kam ja hinzu, dass der zwanzigste Jahrestag [der Veröffentlichung] von „The Division Bell“ anstand. Ich ging in sein Studio und fragte den Techniker, ob er mir sämtliches Material von diesen Sessions geben könnte. Das ist alles wunderbar katalogisiert. Ich hörte die zwanzig Stunden komplett durch und markierte alle Parts, die ich mochte. Dann fragte ich mich, was ich damit machen solle. Ich sagte mir, in der klassischen Musik gibt es Akte. Pink Floyd sind bekannt für ihre langen Stücke. Ich stellte mir eine Platte von etwa fünfzig Minuten vor, die in vier längere Parts unterteilt ist. Mit Melodien, die durch andere Themen unterbrochen sind und dann wiederkehren, wie das bei Pink Floyd eben so ist.

eclipsed: Was sagten die Musiker dazu?

Manzanera: Ich setzte mich sechs Wochen mit der Musik auseinander und ging dann zu David, um ihm meine Ideen zu dem Album vorzustellen. David und Nick dachten neun Monate darüber nach, in denen nichts passierte. David war sich nicht sicher, weil ich nur Material benutzt hatte, das sie bereits aufgenommen hatten. Aber ich hatte mir damit extreme Freiheiten gestattet. Wenn bei etwas die Tonart nicht stimmte, änderte ich sie eben. Mit der modernen Technologie ist das möglich. Wenn mir ein Beat fehlte, ergänzte ich ihn, brauchte ich zusätzliche Gitarren, entnahm ich sie aus einem völlig anderen Song. Ich baute alles völlig neu zusammen, aber auf Grundlage ihrer Vorarbeit.

eclipsed: Wie kam dann Killing-Joke-Mann Youth als weiterer Produzent ins Spiel?

Manzanera: Ende 2013 sagte David, er brauche ein paar frische Ohren und spielte es Youth vor. Er stellte ihm aber nur die ersten zwei Parts vor. Youth fand es etwas zu kurz, weil er ja nur diese beiden Parts kannte, meinte aber, er könne etwas daraus machen. Als ich Youth traf, sagte ich ihm, ich fände seine Takes großartig, fragte aber nach den anderen zwei Parts. Er hatte keine Ahnung, wovon ich redete. David sagte dann, er mochte ein paar Stücke von Youth und ein paar von mir. Und wenn ihnen früher etwas nicht ausgereift erschien, hatten sie es einfach so lange bearbeitet, bis sie zufrieden waren. Also rief er Nick an, wir alle trafen uns in Davids Studio in Brighton und arbeiteten gemeinsam daran, bis es fertig war. In Wirklichkeit wird es nie fertig. Gerade letzte Woche ist wieder etwas mit der Musik passiert. Das Ganze ist eine Serie von Prozessen. In den Zeiten von „The Division Bell“ hätte man eine solche Platte nicht machen können. Heute kann man all diese analogen Sachen in den Computer laden und verändern.

eclipsed: Das ganze Album ist instrumental…

Manzanera: Ursprünglich sollte „The Division Bell“ ein Doppelalbum mit einer vokalen und einer instrumentalen CD werden. Aber es hatte so lange gedauert, an der vokalen Platte zu arbeiten, dass für die andere Hälfte keine Zeit mehr übrig war. Die neue Platte ist wie die lange verlorene zweite Hälfte von „The Division Bell“. Aber eigentlich ist sie mehr als das. Es gibt so viele Phasen von Pink Floyd, die ich mag. Ich benutzte Material im Stile von „Live At Pompeii“ und „Wish You Were Here“ und stieß auch auf ein Solo, das Rick ganz zu Anfang der Band auf einer Kirchenorgel gespielt hatte. Ich fand auch einen Song mit Stimme ohne Worte. Den gab ich [Gilmours Frau] Polly Samson, einer bekannten Romanautorin, die schon Texte für „The Division Bell“ beigesteuert hatte. Sie schrieb dazu einen Text, in dem sie sehr schön die Stimmung innerhalb von Pink Floyd beschrieb.

eclipsed: Rick Wright hatte ja keinen Einfluss mehr auf das Album.

Manzanera: Es ist aber eine Art Tribut an Rick. Er wurde ja bei Pink Floyd immer ein wenig übersehen, weil David und Roger stets im Vordergrund standen. Aber sein Anteil am Sound von Pink Floyd war immens. Seine Keyboards haben das ganze Konzept von Pink Floyd enorm geprägt. Das wird auf „The Endless River“ prominent herausgearbeitet.

eclipsed: Das ist ja auch ein interessanter historischer Dialog, weil eine Band von 1993 mit einer Band von 2013 kommuniziert.

Manzanera: Die ganze Platte funktioniert wie ein Dokumentarfilm. Es sind Aufnahmen aus dem Jahr 1993, als sie auf eine bestimmte Art und Weise spielten. Aber es enthält auch Aufnahmen von 1968 auf der großen Orgel in der Royal Albert Hall. Es war eine Herausforderung, dieses Band in die musikalische Tapete, die sie hier aufgerollt hatten, zu integrieren. Alles in allem ist es ein sehr modernes Konzept, verschiedene Quellen zusammenzumixen. Fast wie ein DJ-Mix, bei dem alles vom Beat zusammengehalten wird. Dank der modernen Technologie ist das möglich.

eclipsed: Wir haben es hier auch mit einer interessanten Kombination von Persönlichkeiten zu tun. Der Spirit von Rick Wright, die beiden Bandmitglieder David Gilmour und Nick Mason, Andy Jackson, der 1980 als Toningenieur zu Pink Floyd stieß, Youth mit seinem Industrial-Background und du, der du wieder aus einer völlig anderen Ecke kommst. Daraus ergibt sich quasi eine völlig neue Formation.

Manzanera: Polly Samson, die Texterin, nicht zu vergessen. Ja, es ist eine neue, moderne Version von Pink Floyd für das 21. Jahrhundert. Aber David ist und bleibt der Kapitän, dessen Aufgabe es ist, das Schiff von Pink Floyd sicher in den Hafen zu bringen. Er hat das Sagen, an seiner Entscheidung geht nichts vorbei. Und wir anderen tun gut daran, diesen Umstand immer zu beherzigen.

eclipsed: Tatsächlich bist du aber viel mehr als nur ein Produzent, denn du hast die Musik völlig neu zusammengesetzt.

Manzanera: Ich hatte natürlich immer das große Ganze im Auge, aber jeder hat seine Parts beigesteuert.

eclipsed: Warum hat es letztlich so lange gedauert, diese zweite Platte aus den Aufnahmen von „The Division Bell“ zu machen?

Manzanera: Es ist ähnlich wie beim Malen eines Bildes. Du arbeitest an der Form, es funktioniert nicht, du probierst immer wieder neue Farben aus, verrennst dich wieder und musst von vorne anfangen. Es sollte eine Platte sein, die gut klingt, aber trotzdem genug Kontraste, Dynamik und eine innere Logik hat. Das braucht seine Zeit. Die Platte ist 52 Minuten lang, aber es gibt eben auch 19 Stunden und acht Minuten, die nicht zu hören sind. Das ist ein unglaublicher Prozess.

eclipsed: Werden diese übrigen 19 Stunden noch irgendwann Verwendung finden?

Manzanera: Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich brauchte allein sechs Wochen, um mich durch das Material zu arbeiten. Nein, das will ich ganz bestimmt nicht noch einmal tun. Während ich an dieser CD arbeitete, produzierte ich zum Glück noch zwei eigene Alben. Es war wirklich wichtig, in dieser Zeit auch noch etwas anderes zu haben, mit dem ich den Kopf wieder frei kriegte.

eclipsed: Die klassischen Pink-Floyd-Alben waren zum Zeitpunkt ihres Erscheinens recht avantgardistisch und sind erst später „Folklore“ geworden. Hast du versucht, während der Produktion wieder stärker diese avantgardistischen Momente zu betonen?

Manzanera: Diesen Gedanken hatte ich immer im Hinterkopf, und ich denke, das ist mir auch ein Stück weit gelungen. Meine ursprüngliche Version war ein wenig zu avantgardistisch. Die hätte dem Hörer wahrscheinlich zu viel abverlangt. David entschied, die Musik etwas bekömmlicher zu gestalten. Er hörte die Musik einfach anders. David fand, dass da zu viel von mir drin war. Er wollte aber, dass es mehr nach David und Nick klingt. Es ist ihre Platte und muss nach ihnen klingen, sonst ist es nicht Pink Floyd. Mit anderen Worten, sie mussten glücklich damit sein. Ich war einfach zu weit gegangen.

eclipsed: Haben Gilmour und Mason eigentlich auch neue Takes eingespielt oder haben sie sich nur an der Neubearbeitung der alten Aufnahmen beteiligt?

Manzanera: Sie haben eine Menge neuer Parts über die vorhandenen Sachen gespielt. Ich fand es großartig, David und Nick dabei zuzusehen, wie sie über Pink-Floyd-Material spielten. Natürlich waren sie ein wenig besorgt, wie es sich anfühlen würde, mit sich selbst zu spielen. Aber dann jammten sie ein wenig, und es fühlte sich sofort organisch an. So ist das mit Musikern, sie können sich Gedanken machen und ewig darüber reden, wie dies und das funktionieren könnte, aber sowie sie nach ihren Instrumenten greifen und zu spielen beginnen, sind all diese Bedenken dahin. So ist es mit Pink Floyd seit vielen Jahren. Es ist, als würden sie einen Schalter umlegen. Wenn sie spielen, haben sie so viel Freude, aber kaum legen sie die Instrumente wieder aus der Hand, geht das Bitching los.

eclipsed: Das Artwork der CD ist untypisch für Pink Floyd. Wie kam es dazu?

Manzanera: Das hat nichts mit mir zu tun. (lacht) Dafür zeichnen allein David, Nick und ihre Manager verantwortlich. Ich schickte Storm Thorgerson Weihnachten 2012 meine Version. Das war kurz bevor er starb. Ich wollte, dass er über ein Cover nachdenkt. Ich habe keine Ahnung, ob es irgendwelche Entwürfe von ihm gibt. Aber er hat definitiv noch die erste Version des Albums gehört, bevor er starb.

eclipsed: Sieht das Cover nicht viel mehr nach New Age als nach Pink Floyd aus?

Manzanera: Du könntest recht haben. Aber darauf hatte ich keinen Einfluss. Ich habe meinen Part beigesteuert und zu anderen Aspekten wollte man meine Meinung nicht hören. Job erledigt, und tschüss. Bei Roxy Music ist das anders. Da habe ich totales Mitspracherecht, was die Covers anbelangt.