JEFF LYNNE’S ELO - Alte Schule

Die Adresse zeugt von Geschmack: Der Beverly Estate Drive am Ende des Benedict Canyon gehört zu den ruhigen, abgeschotteten Ecken von Beverly Hills. Keine zehn Minuten vom Sunset Boulevard entfernt und doch hoch in den Bergen, mit Panoramablick auf die Stadt der Engel und umgeben von malerischem Grün. Wer hier residiert, ist mittendrin und doch komplett aus der öffentlichen Schusslinie und muss weder Touristen noch Paparazzi fürchten. Sobald man das unauffällige Tor, das keinerlei Mutmaßungen über Größe oder Stil des Anwesens zulässt, passiert hat, steht man in einem Innenhof mit Springbrunnen, an den sich drei Gebäude anschließen: das Haupthaus, ein Gästehaus und ein Studiokomplex. Alles erbaut 1951 im spanischen Kolonialstil, mit cremefarbenen Wänden und dunklen Hölzern. Der aktuelle Marktwert: rund vier Millionen Dollar. „Die wahrscheinlich beste Investition, die ich je getätigt habe“, kichert der Hausherr. „Ich bin hier 1995 eingezogen, zu einem Schnäppchenpreis. Ich hatte von England endgültig genug. Was soll ich sagen: Ich habe es keine Minute bereut. Ich habe hier wirklich mein Paradies auf Erden gefunden.“

Was der Mann mit dem wild wuchernden, leicht angegrauten Lockenkopf, dem gepflegten Vollbart und der angewachsenen Pilotenbrille darunter versteht, zeigt er bei einer kleinen Führung. Jeff Lynnes Studio hat etwas von einer großen, leeren Scheune: ein hoher, heller Raum, der komplett mit Holz ausgelegt ist und eine lange Bartheke, eine tolle Akustik sowie einen Umlaufbalkon in der zweiten Etage aufweist. „Hier nehme ich auf“, verkündet Lynne mit unverkennbarem Brummie-Akzent, der ihn als Mann aus Birmingham zu erkennen gibt, an Ozzy Osbourne ohne Stottern erinnert und solche Eigenarten wie „me“ statt „my“ aufweist. Deshalb ist es auch „me girlfriend“, nämlich Camelia Kath (Witwe des verstorbenen Chicago-Gitarristen Terry Kath), die uns vom Balkon zuwinkt, während der 67-Jährige noch ein paar Devotionalien aus der ELO-Geschichte präsentiert. „Hier ist zum Beispiel der Originalroboter von der ’77er-Tour“. Spricht’s und verweist auf eine Blechkiste, die wie ein Relikt der ersten Mondlandung aussieht.

Volle Kontrolle

Danach geht es ins Haus, das den Gast gut aufgeräumt empfängt: Küche und Wohnzimmer sind blitzblank und voller Erinnerungsstücke an England, gemeinsame Urlaube, Lynnes Töchter und weitere Familienmitglieder, aber auch an verstorbene Freunde wie George Harrison, Roy Orbison oder Johnny Cash. Und das ist nur ein Vorgeschmack auf sein „Allerheiligstes“: ein etwa 25 Quadratmeter großer Raum, in dem sich nichts als ein altes, abgeschabtes Analogmischpult, ein Monitor, ein Computerarbeitsplatz und eine Ledercouch befinden. „Das ist mein Kontrollraum, in dem ich aufnehme, was drüben in der Scheune passiert, und von dem aus ich alles per Bildschirm verfolgen kann. Ich bin hier also in meinem stillen Kämmerlein, in dem ich tun und lassen kann, was ich will. Das Board verwende ich übrigens schon seit den frühen 80ern. Darauf ist alles entstanden, was ich seitdem produziert habe. Die Gitarren an den Wänden sind übrigens Geschenke von dankbaren Kunden, von denen ich zum Glück einige habe. Die hier ist zum Beispiel von Joe Walsh, die von Tom Petty, die hat mir Roy Orbison geschenkt, und die ist von Bryan Adams. Sie sind so etwas wie meine Trophäen.“

Wobei Bryan Adams’ aktuelles Werk „Get Up!“, für das Lynne verantwortlich zeichnet, sein vorerst letzter Produktionsauftrag gewesen sein dürfte. Denn der Wahlkalifornier erlebt derzeit eine Renaissance als Musiker und Komponist. Was vor zwei Jahren mit Daft Punk begann, die ELO für ihren Megaseller „Random Access Memories“ sampelten und die 70s-Helden dadurch wieder ins Gespräch brachten. Es folgte ein Ehrendoktortitel der Universität Birmingham, ein Stern am Hollywood Walk of Fame, ein Auftritt bei den Grammys (an der Seite von Ed Sheeran) und ein einmaliges Gastspiel im Londoner Hyde Park, dessen Mitschnitt unlängst auf DVD erschienen ist (s. Review in dieser Ausgabe). „Das waren alles Dinge, die mich regelrecht geplättet haben und mit denen ich nie gerechnet hätte. Ich meine, als ich es 2001 mit einem ELO-Comeback versucht habe, hat das niemanden interessiert. Doch jetzt sind alle ganz verrückt auf die alten Songs, und die Labels rennen mir die Tür ein. Im Ernst: Ich habe einen neuen Deal erhalten, wie ich ihn nicht für möglich gehalten hätte. Da habe ich natürlich gerne ein Album aufgenommen. Das ging auch relativ schnell, ich hatte ja genug Material auf Lager, das ich über die Jahre geschrieben hatte und nur entsprechend aufzubereiten brauchte.“

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 175 (November 2015).