Khebez Dawle خبز دولة Flucht als Tournee: Die Odyssee einer syrischen Artrockband

16. März 2016

Khebez Dawle

Anas ist ein fröhlicher junger Mann. Man käme nicht im Traum auf die Idee, dass er seit drei Jahren auf der Flucht ist. Er lacht über sich selbst, ist mit seinem Leben im Reinen. Der schmächtige Riese ist der Kopf der syrischen Band Khebez Dawle (sprich: ’Kewess ’Daule). Ihr Name bedeutet so viel wie Brot vom Staat. Die erste CD der Band, „Khebez Dawle“, ist nicht etwa deshalb spannend, weil sie einen Flüchtlingsbonus hätte, sondern weil sie in packender und absolut ungewohnter Weise Momente von experimentellem und teilweise recht hartem Rock mit arabischer Musik verbindet, ohne je in die Fußangeln irgendwelcher Weltmusikverzückung zu tappen.

Der Sound von zwei elektrischen Gitarren, Bass und Schlagzeug klingt gleichermaßen fremd wie vertraut. Er entspricht dem der meisten europäischen und US-amerikanischen Rockbands, doch die Harmonien klingen exotisch und der arabische Gesang mag zunächst befremden. Khebez Dawle sind Araber, und doch entsprechen ihre Songs so gar nicht den landläufigen Vorstellungen von orientalischer oder mittelöstlicher Popmusik. Sänger und Gitarrist Anas nennt es Rock Shaabi. Der Begriff Shaabi beschreibt eine Art intellektueller Popularität, laut Anas „something intellectual a taxi driver in Damascus can listen to“. Für ihn ist es eine Kombination aus westlichem Postrock und den Skalen, mit denen die Musiker in Syrien aufgewachsen sind. „Normalerweise werden orientalische Instrumente in einen westlichen Rahmen gepresst. Wir gehen den umgekehrten Weg, benutzen westliche Instrumente, suchen jedoch auch nach den Skalen, die die orientalische und die westliche Welt gemeinsam haben. Im Gesang und in den Soli der elektrischen Gitarre arbeiten wir viel mit Vierteltönen. Dieser elektrische Gitarrensound macht den Charakter der CD aus. Unser Gitarrist Hekmat experimentiert viel mit diesen Skalen, ohne eine Fretless-Gitarre zu benutzen. Er hat eigens viele Tricks entwickelt, um das möglich zu machen.“

Der Sound von Khebez Dawle ist die eine Sache, ihre Geschichte eine ganz andere. Khebez Dawle sind eben nicht die fünf Jungs, die einfach in der Garage der Eltern ihre Gitarren eingestöpselt haben. „Wir haben unter einem anderen Bandnamen in Syrien angefangen“, beginnt Anas die Geschichte seiner Odyssee. „Aber all das kam zum Ende, bevor wir die Chance hatten, auch nur einen unserer Songs live zu spielen. Unser Schlagzeuger war ein Aktivist der friedlichen Revolution, und unser Gitarrist erhielt seine Einberufung. Wir verloren die Kontrolle und wussten nicht einmal, ob wir mit dem Leben davonkommen würden. Zwei der verbliebenen Mitglieder gingen Anfang 2013 nach Beirut. Ich blieb vorerst in der Nähe von Damaskus, stellte unsere Songs online, und Khebez Dawle begann. Die Situation in Syrien wurde immer hoffnungsloser, und die friedliche Revolution verwandelte sich in einen blutigen Bürgerkrieg. Niemand wusste mehr, wofür er kämpft und stirbt. Im April folgte ich den anderen nach Beirut, und aus dem Onlineprojekt wurde wieder eine echte Band. Wir arbeiteten an den Songs, und es wurde ein Konzeptalbum über einen jungen Menschen, der die Situation in Syrien ohne politische Rücksichten aus einem humanistischen Blickwinkel erzählt. Mitte 2013 kam unser Gitarrist Bashar nach, der inzwischen aus der Armee geflohen war. Das Album entstand von Anfang 2013 bis Mitte 2015.“

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 179 (April 2016).