LED ZEPPELIN - Der letzte Höhenflug des Zeppelins: die Geschichte von „Physical Graffiti“

Mitte der Siebziger hatten Led Zeppelin ihren zweiten künstlerischen Zenit erreicht und dokumentierten dies auf einzigartige Weise mit „Physical Graffiti“, dem einzigen Doppelalbum der Band. Bis heute ist es Robert Plants Lieblingsplatte mit der Gruppe, wohl auch, weil die Formation davor und danach nie ausdrucksstärker und facettenreicher gewesen ist. Am 24. Februar 1975 erschienen, war „Physical Graffiti“ die erste Platte der Rockgeschichte, die allein durch Vorbestellungen Platinstatus erlangte.

Bereits im November 1973 hatten sich Jimmy Page, Robert Plant, John Paul Jones und John Bonham erneut in Headley Grange im ländlichen Hampshire zurückgezogen, um am Nachfolger des im selben Jahr erschienenen, enorm erfolgreichen „Houses Of The Holy“ zu arbeiten. Doch die Sessions in dem ehemaligen Armenhaus verliefen zunächst nicht nach Plan. Jones habe sich nicht wohlgefühlt, hieß es in ersten Statements vonseiten der Band, erst später sickerte durch, dass in dem Bassisten und Keyboarder der Entschluss gereift war, die Band zu verlassen und stattdessen den Posten des Chorleiters in der Kathedrale von Winchester anzunehmen. „Ich hatte genug von den Tourneen, also marschierte ich zu Peter Grant und sagte, dass ich gehen werde, wenn sich gewisse Dinge nicht ändern würden“, erinnert sich Jones. Der eisenharte Manager war in dem Falle durchaus zu Kompromissen bereit und sicherte dem ruhigen Familienmenschen Jones unter anderem zu, die Band nicht mehr während der Schulferien in England auf Tour zu schicken.

In der Zwischenzeit hatte Grant mal eben einen Plan B aus dem Hut gezaubert und die bereits gebuchten Räumlichkeiten seinem neuen Baby Bad Company überlassen, die dort ihr Debüt produzierten. „Bad Company“ war im Juni 1974 das erste Album, das über Led Zeppelins neu gegründetes Label Swan Song Records (ursprünglich war „Swan Song“ auch als Titel anstelle von „Physical Graffiti“ im Gespräch gewesen) veröffentlicht wurde. „Wir hatten bereits wie die Geisteskranken geprobt“, so Bad-Company-Sänger Paul Rodgers. „Als uns Peter Grant anbot, in Headley Grange aufzunehmen, spielten wir das Album wie im Rausch ein.“

Für das Firmenlogo von Swan Song Records, das der Band nach einem fünfjährigen Vertrag mit Atlantic endgültig komplette künstlerische Freiheit garantierte, nutzten sie eine leicht abgewandelte Version des Gemäldes „Evening: Fall Of Day“ (1869/70) von US-Künstler William Rimmer. Doch was zunächst wie ein weiterer Egotrip des Duos Page/Grant anmutete, entwickelte sich in relativ kurzer Zeit zu einer unerwarteten Erfolgsgeschichte. Die vier Swan-Song-Künstler (neben Led Zeppelin und Bad Company Maggie Bell und The Pretty Things) schafften es innerhalb eines Jahres in die US-Top-100; Bad Company schossen sowohl mit dem Debüt als auch mit der ersten Single „Canʼt Get Enough“ an die Spitze. „Wir haben das Label nicht gegründet, um noch ein paar Mäuse mehr zu machen“, erklärte Page. „Es geht darum, andere gute Bands voranzubringen, die bis dahin mit lausigen Verträgen ausgestattet waren.“

Ronnie Lane statt Rolling Stone

Nach einigen Wochen Bedenkzeit war Jones also wieder an Bord und im Januar ’74 nahmen Led Zeppelin die Arbeit in Headley Grange wieder auf. Auf der Wiese vor dem Anwesen war (wohl auch aus Kostengründen) statt des Rolling Stone Mobile, das die Band bei den drei vorherigen Alben genutzt hatte, diesmal Ronnie Laneʼs Mobile Studio geparkt. Neben „Anyone For Anymore“ (1974), dem ersten Soloalbum des Ex-Faces-Bassisten Lane, waren damit bereits Eric Claptons „Rainbow Concert“ (1973), drei Gigs für Rory Gallaghers „Irish Tour ʼ74“ (1974) und Rick Wakemans „Journey To The Center Of The Earth“ (1974) aufgenommen worden. Und auch Bad Company hatten schon die Dienste von Toningenieur Ron Nevison und des von ihm mitentwickelten Studiotrucks in Anspruch genommen. Allein Gitarrist Jimmy Page bezog während der Aufnahmen ein Zimmer im nach wie vor unbeheizten Headley Grange, während seine Kollegen die Unterkunft im schnieken, pittoresk gelegenen Landhotel Frencham Ponds in unmittelbarer Nähe bevorzugten.

Das Arbeitstempo des Zeppelins war erstaunlich. Für die meisten der acht neuen Songs brauchte er gerade einmal ein bis zwei Takes. Genug Zeit also für den üblichen Siebziger-RockʼnʼRoll-Wahnsinn: Tiere bevölkerten das Haus, Leuchtraketen wurden abgeschossen, und ein Roadie setzte John Bonhams brandneuen BMW gegen eine Mauer. Der Schlagzeuger stieß Morddrohungen aus, und der arme Kerl musste sich für 36 Stunden in einem Kleiderschrank verstecken. „Die Band hielt sich damals noch für unverwundbar“, erinnert sich Toningenieur Benji LeFevre, der ebenfalls an den Aufnahmen beteiligt war und sechseinhalb Jahre später Bonham tot in Jimmy Pagesʼ Wohnung auffinden würde.

Doch bei genauerem Hinsehen machten sich bereits erste Auflösungserscheinungen bemerkbar. So versuchte Bonham, über tausend Pillen des Beruhigungsmittels Mandrax zu den Aufnahmen zu schmuggeln, indem er sie auf die Innenseite der Drumfelle klebte. Eine clevere Idee, wie der immer häufiger zu Wutausbrüchen neigende Schlagzeuger meinte. Sein Roadie wies ihn jedoch darauf hin, dass es sich bei seinem Schlagzeug um eine Plexiglasausführung handelte, mithin also nicht blickdicht war. Überhaupt war es zu jener Zeit nicht leicht, Bonhams Roadie zu sein. Unangekündigte Fausthiebe gab es oft gratis obendrauf.

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 168 (März 2015).