MARILLION - Prog-Protest

21. September 2016

Marillion

Der Backstage-Bereich auf dem Gelände der Burg Wertheim besticht durch ein ganz besonderes Flair. Die Band hat sich im zweiten Stock eines engen Turms in zwei kleinen Räumen niedergelassen, als eclipsed sie zum Interview trifft. Ein sichtlich gut aufgelegter Steve Hogarth sitzt bereits am Tisch und zieht Bassist Pete Trewavas auf, der nicht genau weiß, ob er für das Interview eingeteilt ist. Tatsächlich warten wir aber auf Gitarrist Steve Rothery, der gemeinsam mit dem Sänger Rede und Antwort stehen soll.

eclipsed: Bevor wir über das neue Album reden, würde ich gerne wissen, wie ihr heute den Vorgänger „Sounds That Can’t Be Made“ bewertet.

Steve Hogarth: Wir sind immer noch sehr zufrieden damit, in großen Teilen zumindest. „Gaza“ und der Titeltrack sind große Songs, auf die ich sehr stolz bin. Gut, „Lucky Man“ sehe ich heute durchaus kritisch. Und „The Sky Above The Rain“ würde ich in dieser Form nicht noch mal aufnehmen.

Steve Rothery: Warum nicht? Das ist doch ein schöner Gitarrensong! Was ist denn da noch drauf? „Pour My Love“ ist eigentlich auch sehr gelungen, oder? Und „Power“ gehört fest zu unserem Live-Set. Ein gutes Album, keine Frage. Aber trotzdem kein Grund, uns zu wiederholen und in dieser Spur weiterzumachen. Du hast das neue Album jetzt wahrscheinlich erst einmal gehört, oder?

eclipsed: Ich habe mich intensiv damit auseinandersetzen können und muss sagen, es ist eine mutige, ungewöhnliche Platte. Allein die Form: drei Tracks über 15 Minuten, flankiert von zwei Sechsminütern und einem kurzen Epilog...

Hogarth: Das hat sich so ergeben. Wir machen uns bei der Arbeit keine Vorgaben, wie die Songs am Ende auszusehen haben, und wir sprechen auch nicht ab, dass beispielsweise ausschließlich lange Tracks hermüssen. Es hat sich ja mittlerweile herumgesprochen, dass unsere Songs aus Jams entstehen.

Rothery: Dieses Mal hatte unser Co-Produzent Mike Hunter noch mehr Arbeit mit uns. Wir waren nämlich der Überzeugung, dass wir ziemlich viel gutes Material auf Band hatten und gaben ihm das alles zum Ordnen: ‚Hier Mike, mach mal, wir haben schon wieder ein paar Stunden Material! Meinst du, da kann man gute Songs draus machen?‘ Diese Aufgabe hat er aber bravourös gemeistert, und irgendwie sind dabei diese langen Stücke entstanden. Und ich höre jetzt schon die Vorwürfe: Das sind doch zusammengestückelte Songfragmente und keine auskomponierten Stücke! Kann man so sehen, aber wir finden, dass sie gerade so ihre Wirkung entfalten, auch weil das Zusammenspiel von Text und Musik erst durch unsere spezielle Arbeitsweise entstanden ist.

eclipsed: Was glaubt ihr, wie eure Fans darauf reagieren?

Rothery: 70 Prozent werden sagen, dass sie die Songs großartig finden, 20 Prozent werden Zeit brauchen, und 10 Prozent werden es für, ja, zusammengestückelte Songfragmente halten. (lacht)

Lest mehr im eclipsed Nr. 184 (Oktober 2016).