NADINE KHOURI - Düstere Songs, düstere Stimmungen

15. Februar 2017

Nadine Khouri

Nadine Khouri war sieben Jahre alt, als ihre Eltern vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon flohen. Die Familie verließ ihre Heimatstadt Beirut, um in London zu leben. Mit 18 dann ging Nadine zum Studieren nach New York, kehrte aber in ihre Wahlheimat zurück, um näher bei ihrer Familie zu sein. „Als Kind war es mein Traum, Cartoon-Zeichnerin zu werden“, erzählt Khouri. Daraus wurde nichts. Was nichts Schlechtes ist, denn in Englands Hauptstadt scheint sie ihre wahre Bestimmung gefunden zu haben: die Musik. Das war Ende der Nullerjahre. Sie nahm also eine erste 5-Track-EP auf, „A Song To The City“, die am 13. Juli 2010 erschien. Nicht weniger als 16 Musiker spielten die Lieder ein, die entsprechend durch breite Arrangements überzeugen, bei denen aber dennoch Nadine Khouris Stimme im Vordergrund steht. Neben dem üblichen Instrumentarium kommen Banjo, Harfe, Xylofon, Cello, Violine, Klarinette und Trompete zum Einsatz. Soulige Songs finden sich auf diesem Erstling, teils spartanisch auf akustischer Gitarre, teils harsch rockend. Das britische Mojo fasste es damals so zusammen: „Meditativ, spektrale Traumbilder … eine außergewöhnliche Stimme.“

Zwei Wochen nach Veröffentlichung der EP, genauer: am 29. Juli, besuchte Nadine Khouri dann ein Konzert von John Parish, der u. a. PJ Harvey koproduzierte. Khouri war ein großer Fan John Parishs. Sie kamen ins Gespräch, und die junge Musikerin übergab ihm ihre EP, nicht wissend, ob sich Parish später melden würde. Doch er meldete sich, hatte Gefallen an der gefühlvollen Stimme der Mittzwanzigerin und ihren fein ziselierten und doch leidenschaftlichen Songs gefunden. „Ich war perplex, weil ich ein riesiger Fan seiner Musik bin. Er fragte mich, ob ich bei einem seiner Songs singen wolle. Ich war total aufgeregt bei den Aufnahmen.“

Dabei ist es dann nicht geblieben. John Parish hat nun auch das offizielle Debütalbum von Nadine Khouri produziert. „The Salted Air“ erschien am 3. Februar 2017. Im Vergleich zur EP ist „The Salted Air“ deutlich zurückgenommener, dezenter. Sein Instrumentarium beschränkt sich bis auf wenige Ausnahmen auf Drums, Bass, Gitarre und Keyboards. Diese Reduktion kann auch als bewusste Entscheidung zur Konzentration auf das Wesentliche verstanden werden. Wie dem auch sei: Dem Album tut es gut. Es liegen noch mehr Schwermut und Melancholie in den Songs. „Auf ‚A Song To The City‘ war ich noch ziemlich durcheinander. Ich wusste nicht, wo ich wirklich hingehöre“, gesteht Nadine Khouri. Diese Aussage darf man sowohl auf ihre musikalische Ausrichtung als auch auf ihre emotionale, mentale Heimat beziehen. Ihre Herkunft aus dem Libanon ist auf dem neuen Album zu keiner Zeit herauszuhören. Zumindest musikalisch könnte sie mit „The Salted Air“ ihre Heimat gefunden haben. Unaufdringliche Songs mit eher düsteren Stimmungen, mit Soul, mit Spirit, aber auch von Tatendrang geprägt. Mittendrin zwischen Singer/Songwriter und Alternative Rock. „Als ich das neue Album aufgenommen habe, fühlte ich, dass ich auf gewisse Weise nach Hause komme. Das Album ist eine Rückkehr zu mir selbst.“

Kurz ist das Album, es dauert nur knapp 38 Minuten. Auf den Punkt gebracht, könnte man es nennen. Der Opener „Thru You I Awaken“ bietet nicht viel mehr als Khouris Stimme auf und das Dröhnen eines Harmoniums. Nach einem ebenso verhaltenen Beginn wird es im darauffolgenden „I Ran Thru The Dark“ zum Ende hin stimmungsvoller, ja geradezu schwelgerisch. „Jerusalem Blue“ wiederum verströmt gar ein wenig US-Country-Flair, mit zuckersüßer Violine. Schwermut und verhaltener Optimismus wechseln sich ab. Auch „You Got A Fire“ beginnt verhalten, mit wenig Gitarre und Klavier, doch plötzlich wird es dann voller, träumerisch, mit betörender Melodie und mehrstimmigen Vocals. Als Ausnahme auf dem Album entpuppt sich das freche, forsche, stellenweise gar aggressive „Shake It Like A Shaman“, wozu die tiefen Drums und Khouris herausfordernde Stimme ihren Teil beitragen.

Nadine Khouri hat die Zukunft vor sich. Wo auch immer sie musikalisch ihre Zelte aufschlagen mag. Mit „The Salted Air“ wandelt sie irgendwo in einem Bereich, welcher derzeit noch durch die Eckpunkte Joanna Newsom, PJ Harvey, Kate Bush, Anja Garbarek, Stina Nordenstam und Tori Amos begrenzt wird. Noch.

Noch eine Warnung: Wenn man bei Amazon nach „Nadine Khouri“ sucht, so wird dort auch das Album „Cuts From The Inside“ aus dem Jahr 2005 angeboten. Um was auch immer es sich dabei handelt, es stammt jedenfalls nicht von der Nadine Khouri, die im Alter von sieben Jahren von Beirut nach London zog.

* * * Bernd Sievers