25 Jahre elektronische Tonsignale aus Berlin - Mario Schönwälder über das MANIKIN-Label

eclipsed: Wie kam es zur Gründung des Labels Manikin? Welche Rolle spieltest du?

Mario Schönwälder: Das war Ende 1991, als ich nach zwei CDs auf dem Label MI beschloss, meinen eigenen Weg zu gehen. Ich war sozusagen der Hauptdarsteller, der etwas Neues machen wollte.

eclipsed: Und wie bist du selbst als Musiker zur Elektronischen Musik gekommen?

Schönwälder: Das war eine Mischung aus Neugierde und Enttäuschung über die Musik meiner „Heroes“ Anfang/Mitte der 80er Jahre. Die Neugierde war so groß, dass ich als Autodidakt die technischen Grundlagen und das Spielen erlernte. An einem Korg MS-20 – heute wieder ein Synth der „in“ ist.

eclipsed: Wie würdest du den Stil von Manikin – auch in Abgrenzung zu anderen Elektronik-Labels wie etwa Spheric Music – beschreiben? Zweite bzw. dritte Welle „Berliner Schule“?

Schönwälder: Der Schwerpunkt lag sicher immer bei der Elektronischen Musik im Stil der sogenannten „Berliner Schule“. Ausflüge in andere Genres gab es wenige. Der markanteste war wohl die Veröffentlichung der ersten CD von Electric Orange.

eclipsed: Würdest du sagen, dass Manikin die klassische „Berliner Schule“ fortgeschrieben oder zumindest auf bestimmte Weise am Leben gehalten hat?

Schönwälder: Andere mögen bitte darüber befinden, ob ich meinen kleinen Anteil am Fortbestehen oder gar an der Fortentwicklung der „Berliner Schule“ habe. Auf jeden Fall hat sie in meinem musikalischen Wirken immer eine große Rolle gespielt und macht dies auch weiterhin.

eclipsed: 25 Jahre Manikin – wie siehst du die Entwicklung eures Labels in dieser Zeit? Gibt oder gab es besondere Aktivitäten zum Jubiläum?

Schönwälder: Dank besonderer Umstände konnte ich ziemlich schnell ein kleines Label etablieren, das durch seine Veröffentlichungen für Aufsehen sorgte. Heute beschränke ich mich im Wesentlichen auf meine eigenen musikalischen Projekte. Zum 25. Jubiläum werde ich eine gute Flasche Wein öffnen und genießen. Vielleicht auch ein Konzert, eine ungewöhnliche Veröffentlichung. Ich weiß es noch nicht so genau.

eclipsed: Müsstest du drei zentrale Manikin-Releases angeben, welche wären das und warum?

Schönwälder: Das ist verdammt schwer zu beantworten. Sicher ist das erste CD-Release von Klaus Schulzes „... Live ...“ eine sehr wichtige Veröffentlichung gewesen. Ash Ra Tempels „Friendship“ war ebenfalls wichtig. Detlef Kellers „Masquerade“, eine musikalische Begleitung für einen Zirkus, brachte uns in ganz andere Hörerkreise. Tonangebend im Sinne von revolutionär waren alle drei sicher nicht, aber eben wichtig für Manikin Records.

eclipsed: Auf welche deiner eigenen Releases bist du besonders stolz?

Schönwälder: Ich halte noch immer „Red“ von Broekhuis, Keller & Schönwälder (Kürzel: BK&S) für eine sehr dichte und starke CD. Nicht minder gut, aber stilistisch vollkommen anders ist „Analog Overdose 5“ von Fanger & Schönwälder feat. Lutz Graf-Ulbrich. Konsequent „Berliner Schule“ ist „102“ von Filter-Kaffee. Auf diese drei CDs bin ich besonders stolz. Und natürlich auf die nächste, die immer die beste ist.

eclipsed: Welchen Musiker hättest du gerne bei Manikin verpflichtet, hast ihn aber nicht bekommen?

Schönwälder: Ich bin sehr zufrieden mit dem Erreichten. Ich hätte mir bei dem einen oder anderen Künstler eine längere Zusammenarbeit gewünscht, aber darüber zu sprechen ist müßig. Es ist alles gut, wie es gekommen ist.

eclipsed: Du spielst ja in aller Regel in Kollektiven, so mit Broekhuis und Keller als Hauptakteur, auch mit Fanger etc. – warum ist das so, und wird es einmal eine reine Solo-Scheibe von dir geben?

Schönwälder: Ich mag das Zusammenarbeiten, mag es, sich gegenseitig mit musikalischen Ideen zu befruchten. Ich bin gerne mit guten Freunden zusammen. Habe Spaß mit ihnen. Das ist der innere Motor für diese Zusammenarbeit. Es gab ganz am Anfang Soloprojekte, und es wird auch in der Zukunft welche geben.

eclipsed: Welche musikalisch unterschiedlichen Parts übernimmt jeder von euch an den Synthie-Maschinen?

Schönwälder: Bas [Broekhuis; Anm.] ist der rhythmische Part, Detlef [Keller; Anm.] der harmonische Part, und ich bin für die abgedrehten, verrückten Sounds, wilden Solos und absonderlichen Sequenzen zuständig. Jeder nach seinen Stärken. Aber jeder kann auch die anderen Parts spielen.

eclipsed: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Elektronik-Papst Klaus Schulze? Und warum habt ihr das nicht weiter ausgebaut, und steht ihr noch in Kontakt?

Schönwälder: Das ist eine lange Geschichte von Gegebenheiten, die damals nicht vorhersehbar waren. Wir haben sehr schöne sieben Jahre zusammengearbeitet. Danach trieb es uns einfach aus unterschiedlichen Gründen in verschiedene Richtungen. Der Kontakt ist leider sporadisch geworden, aber alle meine guten Wünsche sind bei Klaus.

eclipsed: Welche Veröffentlichungen von Schulze und Manikin gibt es?

Schönwälder: Ich zähle mal die Releases von 1995 bis 2002 chronologisch auf: 10 CDs „Historic Edition”, 2CDs „... Live ...”, die CD „Moondawn ... The Original Master”, 25 CDs „Jubilee Edition“, 50 CDs „The Ultimate Edition“, 10 CDs „Contemporary Works I“, die CD „Friendship” von Ash Ra Tempel, die CD „Gin Rosé”, ebenfalls von Ash Ra Tempel, 2 CDs „Live at Klangart”, 5 CDs „Contemporary Works II”.

eclipsed: Wart ihr in Kontakt mit TD und Edgar Froese, zu deren Musik ihr ja in besonders enger Nachbarschaft steht  – und was hat er zu eurer Musik gesagt?

Schönwälder: Ich hatte Kontakt mit Edgar, Christoph, Johannes und einigen anderen Mitgliedern der Band, habe aber nie jemanden zu meiner Musik befragt. So konnte ich nicht enttäuscht werden, und ich nötigte ihnen keine Antwort ab, die sie vielleicht nicht geben wollten.

eclipsed: Edgar Froese ist verstorben, Klaus Schulze sehr krank und hat sich von der Bühne verabschiedet, Jean Michel Jarre ist dafür derzeit extrem produktiv – wo steht die EM hinsichtlich ihrer Hauptakteure heutzutage?

Schönwälder: Um diese Frage zu beantworten, muss man erst einmal definieren, wer alles die Hauptakteure sind. Zählt man in meinen Augen/Ohren wichtige Leute wie z. B. Kraftwerk, Vangelis und Steve Roach dazu? Gibt es nach Techno, Trance und Ambient noch „die EM“? Ist heute nicht fast alle Musik „elektronisch“?  Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, wo „die EM“ steht, bin mir aber sicher, dass es sie immer geben und sie sich entwickeln wird.

eclipsed: Die Entwicklung elektronischer Musik hat sich ja seit den Siebzigern extrem verändert. Elektronik hat in Form neuer Stile wie Techno, House, Trance etc. die Tanzflächen erobert, heutzutage wird vor allem gesampelt und geklont. Welchen Stellenwert hat da traditionelle Elektronische Musik mit stärker meditativem, sphärischem Charakter überhaupt noch?

Schönwälder: Ein lieber Medienmensch hat einmal dazu gesagt, dass unsere Musik dann (wieder) angesagt sein werde, wenn die Jugend, die heute den Dancefloor bevölkere, älter geworden sei und daheim weiterhin die vertrauten elektronischen Klänge hören wolle. Eben nur ohne Beats. Mehr meditativ. Mal sehen, ob er recht behalten wird.

eclipsed: Wie siehst du die kleine Hardcore-Fangemeinde für EM?

Schönwälder: Das sind viele nette Menschen, die u. a. meine Musik mögen. Ohne sie gäbe es keine Konzerte und Festivals und wohl auch keine CDs von mir.

eclipsed: Wie siehst du die Zukunft von Manikin (oder generell kleinen elektronischen Labels)? Trägt sich das wirtschaftlich?

Schönwälder: Der Vorteil der kleinen Labels ist, dass sie unabhängig sind und direkt an den Endkunden vertreiben können. Die Wirtschaftlichkeit muss jeder für sich selbst prüfen.

eclipsed: Welche Releases stehen als Nächstes an?

Schönwälder: CD-Releases von BK&S, Filter-Kaffee und Fanger & Schönwälder, aber auch von einem neuen Künstler, der in dieser Form der Szene bisher nicht bekannt ist ...

eclipsed: Wie steht es um eure Live-Aktivitäten? Was lässt sich umsetzen?

Schönwälder: Ich bin mit BK&S im November zweimal in Deutschland live auf der Bühne. Dann geht es 2017 mit Konzerten in Deutschland (10./11.3.) und England (13.5.) weiter. Auftritte in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg sind in Vorbereitung. Ein Konzert mit Filter-Kaffee ist für den 20.5.2017 in Belgien vorgesehen.

* * * Interview: Walter Sehrer