BOB DYLAN - 80 Jahre Maskenspiel

19. Mai 2021

Bob Dylan

BOB DYLAN - 80 Jahre Maskenspiel

Bob Dylan ist nicht nur einer der größten Musiker der Rockgeschichte, er steht auch wie kein anderer für ein stetes Hinterfragen der eigenen Rolle und Position. Als Künstler verbirgt er sein wahres Ich hinter ständig wechselnden Masken, probiert nicht nur musikalische Spielarten wie Kleidungsstücke aus, sondern sucht auch stets nach einer neuen Identität, die er seinem Publikum als „Bob Dylan“ präsentieren kann. Anlässlich seines 80. Geburtstags hat eclipsed beschlossen, keine weitere umfassende Hommage einer großen Karriere zu verfassen, sondern auf die wichtigsten Phasen seiner Schaffenszeit einzeln einzugehen, weil es nur so möglich ist, diesen mysteriösen Künstler – der in einem seiner jüngsten Songs selbst sagt, in ihm vereine sich eine Vielzahl von Persönlichkeiten – und sein vielschichtiges Werk zu verstehen. Zusätzlich befragten wir einige große Musiker, Wegbegleiter und einen Vertreter der neuen Songwritergeneration nach ihrer Meinung über den Jubilar.

Als Bob Dylan 2016 den Nobelpreis für Literatur verliehen bekam – eine Entscheidung, die unter Fachleuten durchaus umstritten war –, kam dies nicht nur einem Ritterschlag für einen der wichtigsten Musiker der Rockgeschichte gleich, es konnte auch als Krönung seines Lebenswerks angesehen werden. Der am  24. Mai 1941 als Robert Zimmerman in Duluth im US-Bundestaat Minnesota geborene Künstler war in den 60er-Jahren der erste, der eine Brücke zwischen populärer Musik und moderner Lyrik baute.

Begonnen hatte er seine Karriere als Folksänger im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village, dem das Korsett des soziopolitischen Liedes aber schnell zu eng gestrickt erschien; schon viele seiner Folksongs wiesen eine komplexe Metaphorik auf, die er seiner intensiven Lektüre der französischen Symbolisten um Mallarmé, Verlaine und Rimbaud, den die populäre Kultur hinterfragenden Gedichten Brechts oder auch den von ihm zeitlebens heiß geliebten Klassikern wie Homer verdankte. Als er dann Mitte der 60er zum Entsetzen der Folkszene mit elektrischer Gitarre und einer Begleitband – die, nicht ganz zufällig, kurze Zeit später den Namen „The Band“ tragen würde – die Bühnen dieser Welt betrat, war dies nicht einfach nur ein Wandel hin zur elektrifizierten, affektgeladenen Musik. Dylan war sich bewusst, mit diesem Sound den Nerv der Jugend zu treffen, und anders als seine Zeitgenossen richtete er sich an sie mit verklausulierten, anspielungsreichen literarischen Texten. Diese Verbindung war einmalig; sie inspirierte die Beatles gleichfalls zu einem revolutionären Wandel in ihrem Sound und etablierte Pop- und Rockmusik als ernstzunehmenden Kulturträger. 

Ein Künstler mit unzähligen Masken

Dylan selbst wurde zum Superstar, der versuchte, sich dem Ruhm zu entziehen, indem er aufs Land zog – das aus anderen Gründen bald berühmte Städtchen Woodstock schien ihm ein gutes Zuhause zu bieten. Im Sommer 1966 hatte er einen mythenumrankten Motorradunfall, der ihn ein Jahr von der Bildfläche verschwinden ließ – in den hektischen 60er-Jahren eine halbe Ewigkeit. Nach seiner Rückkehr war er in den drei, vier Folgejahren zunächst bibelfester Folkie, dann Countrysänger, dann wieder Rockstar. Hatte Dylan in den 60ern durch jenen spektakulären Wandel vom Folksänger zum Rockmusiker für Erstaunen gesorgt, waren seine steten Imagewechsel plötzlich an der Tagesordnung. Immer öfter wurde er nun als nicht fassbarer Künstler bezeichnet, der sich, bevor man seine Werke und sein Tun richtig deuten kann, schnell die Maske vom Gesicht reißt und eine neue aufsetzt. Es waren viele Masken, die sein Publikum seit den späten 60ern zu sehen bekam, und nicht alle standen ihm gut. Retrospektiv wurde sein Schaffen in Perioden unterteilt: Da war etwa die Woodstock-Phase, als er Anfang der 70er-Jahre im trauten Familienkreis sanft vor sich hin musizierte, die vielbeschworene religiöse Phase, in der Dylan 1979 nach einer Lebenskrise plötzlich zum „Wiedergeborenen Christen“ wurde, drei religiös gefärbte Alben aufnahm und mit einem Gospelchor durch die Lande zog, oder die „verwirrten“ 80er, als es ihm kaum gelang, ein halbwegs passables Album einzuspielen. 

Nachdem er in der ersten Hälfte der 90er-Jahre nur zwei einfach produzierte Platten mit Folk-Traditionals und -Coverversionen veröffentlicht hatte, glaubten viele schon, Bob Dylan sei Geschichte. Doch dann, 1997, begann mit „Time Out Of Mind“ die vielgerühmte Spätphase, die nun auch schon über 23 Jahre andauert. Ihr kreativer Output ist in seiner qualitativen Konsistenz allenfalls mit dem der 60er-Jahre zu vergleichen, auch wenn zwischendurch seltsam anmutende Veröffentlichungen wie ein schräg eingesungenes Weihnachtsalbum oder drei Alben mit Great-American-Songbook-Standards die Geduld der Fans auf die Probe stellten ...

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