BUBBLEMATH - Von Quarks und Quasaren

6. September 2022

Bubblemath

BUBBLEMATH - Von Quarks und Quasaren

In puncto Anspruch legen BUBBLEMATH aus Minneapolis die Messlatte immer enorm hoch – so auch bei „Turf Ascension“, ihrem dritten Album in 20 Jahren. Hier wird extrem komplex geproggt, zudem sind die Texte von Keyboarder Kai Esbensen wie Kurzgeschichten bzw. philosophische Essays konzipiert. Im Interview mit eclipsed spricht der 51-Jährige, der die Qualitätssicherungsabteilung einer Software-Firma leitet, ausführlich über die Entstehung des Albums und die höchst ungewöhnlichen Themen der Songs. Diese handeln vom Leben in unterirdischen Schutzbunkern, von der Idee der Welt als Simulation, von unkontrollierter Aufrüstung und nicht zuletzt von Quarks und Quasaren. Abgefahrener Stoff! 

eclipsed: Seit der Veröffentlichung des zweiten Bubblemath-Albums „Edit Peptide“ sind mittlerweile fünf Jahre vergangen. Eines der größten Hindernisse bei der Fertigstellung eures jüngsten Longplayers „Turf Ascension“ war wohl wieder euer Perfektionismus. Welche neuralgischen Punkte – sowohl beim Songwriting als auch bei der Produktion – haben den Aufnahmeprozess erschwert?

Kai Esbensen: Eigentlich war das größte Hindernis die Pandemie. Wir hatten nämlich schon im März 2020 begonnen, das Schlagzeug aufzunehmen. Ups! (lacht) Davon abgesehen ging das Songwriting aber total reibungslos vonstatten. Die Songs entstanden meist auf sehr organische Weise. Wir jammten als Band, integrierten die Ideen von allen, und die besten Ideen setzten sich durch – so, wie es auch sein sollte! Bei den zwei Vorgänger-Alben war das Songwriting schwieriger, weil wir alle sehr eigensinnig waren und unsere persönlichen Visionen schützen wollten. 

eclipsed: Während der Aufnahmen ist euch angeblich das Geld ausgegangen, bevor ihr schließlich euer eigenes Studio-Equipment gekauft habt … 

Esbensen: Das war die Situation bei unserem ersten Album „Such Fine Particles Of The Universe“, aber nicht bei „Edit Peptide“ oder „Turf Ascension“. Beim ersten Album merkten wir, dass wir das Aufnahme-Equipment im Studio unseres Toningenieurs finanziert hatten. Daher beschlossen wir, für die Aufnahmen von „Edit Peptide“ unser eigenes Equipment zu kaufen. Uns ist damals zwar nicht das Geld ausgegangen, aber wir haben uns unnötigerweise viel zu viel Zeit gelassen – vor allem deshalb, weil wir so lange herumwerkeln konnten, wie wir wollten, um alles perfekt hinzubekommen, ohne dass die Gefahr bestand, Geld zu verlieren. In der Geschäftswelt gibt es das Sprichwort „Perfektion ist der Feind des Guten“ – was bedeutet, dass nach einer bestimmten Zeit das Gesetz des abnehmenden Ertrags einsetzt. Und sobald man diese Schwelle überschritten hat, ist es besser, wenn man etwas als „Gut genug“ abhakt und die gelernten Lektionen beim nächsten Projekt anwendet. „Edit Peptide“ hätte schon 2007 herauskommen sollen – es hätte vielleicht nicht zu 100.000 Prozent makellos geklungen, aber trotzdem großartig, und wir hätten mittlerweile mehr Alben aufgenommen, von denen jedes besser als das vorige geklungen hätte. „Turf Ascension“ klingt meines Erachtens übrigens tatsächlich viel besser als „Edit Peptide“. 

eclipsed: Dieses Mal habt ihr euch in den „Longtrack-Modus“ begeben und die musikalischen Themen über längere Zeit entwickelt. Was waren die Gründe dafür?  

Esbensen: Wir fordern uns gerne heraus, um zu sehen, welche neuen Dinge uns einfallen, wenn wir als Einzeit zusammenarbeiten. Früher haben wir immer sehr schnell neue Themen aufeinander folgen lassen, um das Ganze für uns und unsere Hörer interessant zu halten. Aber ein unglücklicher Nebeneffekt dieser Herangehensweise war, dass einige unserer besten Hooklines und Themen dadurch zu kurz kamen. Dieses Mal wollten wir, dass sich die Themen besser entwickeln können, ohne dass wir wie sonst üblich alle acht Sekunden was anderes bringen. Ich weiß, dass viele unserer Fans auf „Edit Peptide Part 2“ gehofft haben, aber so arbeiten wir nicht. Wir wollen nämlich immer versuchen, neue Kompositionsideen auszuprobieren. Daher haben wir als erste Single „Everything“ veröffentlicht, den untypischsten Song auf „Turf Ascension“. Wir wollten sehen, wie die Leute darauf reagieren. Einige waren enttäuscht, weil sie einen direkteren Song erwarteten, aber mit der zweiten Single „Refuse“ konnten wir sie hoffentlich wieder beschwichtigen. Auch den anderen zwei Songs fehlt es nicht an Vertracktheiten. „Everything“ ist übrigens viel komplizierter und verschachtelter, als es klingt. 

eclipsed: War es für euch schwieriger, Longtracks zu schreiben? Oder war es vielmehr befreiend? 

Esbensen: Ich würde sagen, dass es befreiend war. Wir ließen uns von den Songs auf eine Reise nehmen und nutzten die Gelegenheit, auch die Hörer daran teilhaben zu lassen. Es bestand viel weniger Druck, an uns zu zweifeln. Wir ließen uns einfach treiben und achteten lediglich darauf, dass unser eigenes Interesse nicht nachließ. Denn wir dachten uns: „Solange wir interessiert sind, sind es auch unsere Zuhörer.“ 

eclipsed: Bei den Texten von „Turf Ascension“ hast du auch versucht, deinen hohen Standard beizubehalten. Das Statement im Promo-Infozettel („Der beste Prog, den Sie jemals lesen werden!“) ist sicherlich keine Übertreibung. 

Esbensen: Danke. 

eclipsed: Gibt es bestimmte Musiker oder Autoren, die dich nachhaltig beeindruckt haben und in deinen eigenen Texten kleine Spuren hinterlassen haben? 

Esbensen: Ich würde sagen, dass mich die Textdichterkunst von Ira Gershwin und Stephen Sondheim beeinflusst hat, und zwar insofern, dass ich das „lyrische Grundvermögen“ weise einsetze und außerdem darauf achte, dass meine Reime präzise sind und ohne Gelaber auskommen! Weird Al Yankovic hat mich ebenfalls beeinflusst, weil er mir gezeigt hat, dass es wertvoll sein kann, Humor und Wortspiele einzubauen. Keith Morris von den Circle Jerks, Jello Biafra von den Dead Kennedys und Jerry Casale von Devo haben mich insofern beeinflusst, weil sie mir gezeigt haben, dass Texte politisch aussagekräftig sein können und dass ein Textdichter mit globaler Reichweite eine Verpflichtung hat, nachdenklich machende philosophische Kommentare über den Zustand der Welt abzugeben. 

eclipsed: Du liebst Wortspiele, und das erste kann man gleich im Albumtitel „Turf Ascension“ finden, der beinahe wie der Opener „Surface Tension“ klingt. Generell handeln alle vier Songs von einer „turf asension“, einem „Aufstieg aus dem Boden“ – sei es wortwörtlich oder metaphorisch. Kannst du das näher erläutern?

Esbensen: Der Name Bubblemath bezieht sich auf die Mathematik und Physik, die der „surface tension“, also der Oberflächenspannung, zugrunde liegen. Ich wollte schon immer mal einem Song oder einem Album den Titel „Surface Tension“ geben, allerdings gab es dafür nie die richtige Gelegenheit. Dieser Song handelt von einer Gruppe von High-School-Kids und ihren Lehrern, wobei das Schulgebäude im Falle eines katastrophalen globalen Krieges als Schutzbunker dienen soll. Als ein solcher Krieg eintritt, vergräbt sich die Schule mitsamt ihren Schülern im Untergrund, wo es eine größere Anlage mit Bunkern, Gängen, Einsatzzentralen und hydroponischen Gärtnereien gibt. Die Kids verbringen viele Jahre dort unten und sehnen sich danach, wieder an die Erdoberfläche zurückzukehren – was sie schließlich auch tun. Ich dachte mir, dass „Surface Tension“ der perfekte Name für diesen Song sei, weil „Oberflächenspannung“ nicht nur ein mathematisch-physikalisches Konzept ist, sondern sich auf die Kriegssituation bezieht, die an der Erdoberfläche fortdauert. 

Als wir dann eines Tages bei der Probe diesen Song spielen wollten, bezeichnete ihn unser Gitarrist Blake Albinson spaßeshalber als „Turf Ascension“ – ein humorvoller Schüttelreim. Wir lachten alle, und ich dachte: „Wow! Das wäre ein großartiger Albumtitel.“ Denn alle vier Songs handeln wortwörtlich und/oder metaphorisch von einem „Aufstieg aus dem Boden“. 

In „Surface Tension“ geht es wie gesagt um Kinder, die aus dem tiefen Untergrund wieder an die Erdoberfläche zurückkehren wollen und quasi buchstäblich aus dem Boden hinaufsteigen wollen. Der zweite Track, „Everything“, schlägt vor, dass wir über die zunehmend plausibel erscheinende Idee nachdenken sollten, dass wir in einer Simulation leben. Diese Idee lädt die Hörer dazu ein, den „Boden“ ihrer vorgefassten Meinungen zu verlassen, die Realität als solche zu verstehen und auch über andere Ideen nachzudenken. Der dritte Track, „Decrypted“, beschreibt den genetischen Imperativ des Lebens, kontinuierlich nach dem Überleben zu streben, auch angesichts unüberwindbarer Widrigkeiten. Der Text geht dabei von einem toten Apfelbaum aus, der aber weiterhin wächst und jedes Jahr blüht, obwohl er tot ist. Im letzten Track, „Refuse“, geht es dagegen um eine unkontrollierte Waffentechnologie, die bis zur Absurdität weitergetrieben wird, weil es wegen geopolitischer Grenzen dauernd zu globalen Spannungen kommt – mehr „turf“ und mehr „ascension“, weil Länder in Nachbarländer expandieren wollen ...

Das komplette Interview ist Teil unseres Online-Abos, siehe https://www.eclipsed.de/de/abo