IGGY POP - „Die sollen sich alle verpissen!“

27. September 2019

Iggy Pop

IGGY POP - „Die sollen sich alle verpissen!“

Seine Rente hat er sich gesichert. Also gönnt sich Iggy Pop einen Ausflug in Avantgarde- und Jazzgefilde. Sein neues Album „Free“ ist eine Flucht vor dem animalischen Rocker, den er seit Ende der Sechzigerjahre so überzeugend gibt wie kein Zweiter. Und gleichzeitig ist es ein lupenreines „Piss off!“ in Richtung seiner Kritiker.

Von Marcel Anders

Jetzt hat es auch ihn erwischt: Iggy Pop benötigt eine dicke Hornbrille, geht leicht gebeugt, hört schlecht und der Muskel unter seinem Oberarm hängt in sonnengegerbter Haut vom Knochen. Ein Anblick, der ein bisschen schockiert, weil der 72-Jährige immer das drahtige Stehaufmännchen vom Dienst war. Der Prototyp-Punk, der Rebell mit Jeans und freiem Oberkörper. Heute braucht er einen persönlichen Assistenten, der sich um seine Termine kümmert, ihm Kaffee kocht und ihn durch Miami kutschiert, wo Mr. Pop „Free“ präsentiert. Sein 18. Soloalbum ist eine Kooperation mit dem Jazztrompeter Leron Thomas, die für einen Bruch mit Pops typischem Dampfwalzenrock steht. Und für die er nur eine Erklärung hat: „Ich kann es mir leisten“.

eclipsed: Herr Pop, haben sie die Rockmusik an den Nagel gehängt?

Iggy Pop: Nein! Ich war zum Beispiel erst vor ein paar Wochen in Australien – und habe gerockt wie die Hölle. (lacht) Der Produzent dieses Albums, Leron Thomas, hat mich dabei begleitet – er hat mit einer Bläsersektion Stooges-Songs gespielt. Das kann er also auch. Aber dieses Album war etwas, das ich tun wollte. Einfach, weil ich eine Schwäche für Blasinstrumente und insbesondere für Trompeter habe. Ich stehe schon seit frühester Kindheit auf Charlie Parker oder Dizzy Gillespie. Typen, die einen Wahnsinnssound hatten und die sehr interessante Charaktere waren.

eclipsed: Ihr neues Album dürfte also jeden überraschen, der ein weiteres Werk in der Manier von „Post-Pop Depression“ erwartet. War das die Intention?

Pop: In der Tat. Einfach, weil ich nicht der Typ bin, der Erfolg will. Der hat mich noch nie interessiert. OK, ab und zu, muss ich mich mit der Mainstream-Welt arrangieren. Einfach um zu zeigen, dass ich das kann und um mir selbst den Rücken freizuhalten. Aber es ist halt nicht das, wo ich hingehöre.

eclipsed: Waren Sie nicht selbst überrascht vom Erfolg des letzten Albums – das kommerziell erfolgreichste Ihrer langen Karriere?

Pop: Nein, ich war nicht überrascht. Einfach, weil ich da mit kompetenten Leuten wie Josh Homme, Dean Fertita und Matt Helders gearbeitet habe. Also absolute Top-Jungs, die meine Band gebildet haben. Wobei ich zunächst gar nicht wusste, dass es in diese Richtung gehen würde. Denn ich hatte Josh angefragt, und eigentlich damit gerechnet, dass er nicht mehr als ein paar Blues-Riffs beisteuert. Ähnlich wie er das bei den „Desert Sessions“ macht. Ich dachte, ich fliege für ein Wochenende nach Palm Desert und das warʼs. Aber er wollte mehr. Und als ich das erkannte, dachte ich: „Probieren wir es.“ Es war eine wunderbare Sache. Nur: Ich wäre dumm, wenn ich das immer und immer wieder wiederholen wollte.

eclipsed: Das scheint auch für Leron Thomas zu gelten. Sei es, was den Humor betrifft, der sich in seinen Texten widerspiegelt. Aber auch in Bezug auf seinen Lebenslauf und nicht zuletzt sein Trompetenspiel. Wie haben sie sich kennengelernt?

Pop: Darf ich kurz unterbrechen? Ich warte auf einen Kaffee, den man mir bringen wollte. Können Sie mal kurz die Tür öffnen? Danke. (brüllt los) Wo bleibt mein verdammter Kaffee?

Assistent Henry: Schon unterwegs!

Pop: Machen wir weiter, so gut es eben geht. Sie haben nach Leron gefragt…

eclipsed: Ja, wie haben sie sich kennengelernt? Schließlich dürfte das kaum bei einem ihrer Konzerte gewesen sein, oder?

Pop: Nein. Ben Ratliff, der Jazzkritiker der New York Times, ist ein guter Freund, der immer meine Radiosendung bei der BBC hört. Von daher weiß er, dass ich Trompeter mag. Und Leron ist eine echte Koryphäe im Jazz-Bereich. Er hat mit vielen guten HipHop- und R&B-Künstlern gespielt – und hatte irgendwann genug davon. Er macht auch noch andere Arten von Musik, die nicht unbedingt mein Fall sind - wie experimentellen HipHop. Aber seine Intention war, sich an etwas zu versuchen, das ihm mehr Anerkennung beschert, bei dem er mehr Möglichkeiten im Hinblick auf seinen künstlerischen Ausdruck hat und auch mehr Geld verdient. Also hat er einen Charakter namens Pan Amsterdam erschaffen und angefangen, kurzweilige HipHop-Tracks über nette Motive zu legen, die er zum größten Teil mit Drumloops komponiert. Darüber spielt er ein bisschen Trompete. Ben hat mir ein paar davon geschickt. Ich hatte vor, sie in meiner Show zu bringen und begann eine Korrespondenz mit Leron. Einfach, um etwas mehr über diesen interessanten Künstler herauszufinden. So fingen wir an, Ideen auszutauschen. Und an einem Punkt fragte ich mich, ob ich nicht auf einigen seiner Stücke singen sollte. Also um ihm dabei zu helfen, einen Plattenvertrag zu ergattern und ein eigenes Album machen zu können.

eclipsed: Aber Sie hatten nicht an eine Kollaboration gedacht, wie man sie jetzt auf „Free“ vorfindet? Und die soweit geht, dass sie fünf seiner Stücke interpretieren?

Pop: Ursprünglich wollte ich ihm nur helfen, sein eigenes Album zu veröffentlichen. Doch dann gefiel mir einiges von dem Material so gut, dass ich selbst darauf singen wollte. Ich meinte zu ihm: „Komm nach Miami und nimm eine Gesangssession mit mir auf, bei der ich zwei oder drei von deinen Nummern einsinge.“ Letztlich sind es dann alle Tracks geworden, die auf dem Album sind – und womit ich sehr glücklich bin. Am Anfang und am Ende habe ich zudem Beiträge von Noveller, einer atmosphärischen, elektronischen Avantgarde-Gitarristin. Alles, was man auf ihren Stücken hört – abgesehen von Lerons Trompetensoli – ist mit einer Stratocaster und einem Haufen Effektgeräte entstanden. Sie kriegt das übrigens genauso live hin – nur sie alleine mit der Gitarre. Sie ist brillant. Und ich wollte halt etwas außerhalb des Rockformats machen. Das habe ich bereits auf „Post-Pop Depression“ versucht. Auch das ist kein wirkliches Rockalbum, aber es ist halt mit Jungs entstanden, die in Rockbands spielen. Und es hat mir so gutgetan – wegen des Albums und der anschließenden Tour muss ich mir um nichts mehr Sorgen machen. Mir ging es schon vorher gut, aber die zwei Jahre nach der Veröffentlichung haben dafür gesorgt, dass ich ausgesorgt habe.

eclipsed: Wie denn, so gut?

Pop: Ich hatte unglaublichen Erfolg. Und jetzt kann ich machen, was ich will. Das ist einfach meine Art und wem sie nicht gefällt, hat halt Pech gehabt. Der soll sich verpissen. Und was dieses Album betrifft: Ich bin stolz auf die Musik, die ich da gemacht habe. Ich weiß, dass ich bestimmte Leute damit berühren werde. Das war schon immer mein Ziel – deshalb mache ich das.

eclipsed: Von daher der Albumtitel – weil Sie Ihre Freiheit ausleben?

Pop: Ganz genau.

eclipsed: Wobei der Opener wie ein regelrechtes Manifest anmutet – mit den Worten: „I want to be free“?

Pop: Das ist er wirklich. Und es hat einige Zeit gedauert, um zu erkennen, dass es gerade mal fünf Worte braucht, um das auf den Punkt zu bringen. (lacht) Es hätten nicht mehr sein dürfen.

eclipsed: Wenn man sich die Stücke, die nicht aus Ihrer Feder stammen, anhört, stellt sich die Frage, wie Leron etwas schreiben konnte, das so gut zu ihnen passt? Das wie maßgeschneidert erscheint?

Pop: Das ist wirklich interessant.

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Den kompletten Artikel findet ihr in unserer Online-Ausgabe: eclipsed 10/2019