KRAAN - Das reine Lustprinzip

16. November 2020

Kraan Hellmut Hattler

KRAAN - Das reine Lustprinzip

In den 1970er-Jahren waren KRAAN eine deutsche Jazzrockinstitution. Nach mehreren Auflösungen ist die Ulmer Band seit 2000 wieder aktiv und feiert nun ihr 50-jähriges Bestehen. Passend dazu erschien im Oktober das neue Studiowerk „Sandglass“ – ein wunderbar unbeschwertes Album, auf dem Hellmut Hattler (Gesang, Bass), Peter Wolbrandt (Gesang, Gitarre, Synthesizer) und Jan Fride (Drums) in geradezu telepathischer Weise miteinander musizieren. 

Hellmut Hattler ist spürbar stolz auf „Sandglass“, das zur Zeit des Lockdowns entstand und 13 kompakte Stücke enthält, die mit viel Geschmack eingespielt wurden. Im Interview mit eclipsed spricht der 68-Jährige, der vor einiger Zeit eine Leukämieerkrankung überstanden hat, über die Aufnahmen, erzählt von der heilenden Wirkung der Albenproduktion und erklärt, was sich an der Bandchemie seit der Zeit des gemeinsamen Kommunenlebens geändert hat. 

eclipsed: „Sandglass“ ist zum einen euer Comebackalbum nach zehn Jahren Studiopause, zum anderen lenkt es den Blick auf euer 50-jähriges Bandjubiläum. 

Hellmut Hattler: Wobei sich das im Nachhinein so anhört, als ob Kraan eine generalstabsmäßig planende Kapelle wären. Dem ist leider nicht so. (lacht) Ich würde eher sagen: Es ist Zufall und hängt – wie immer bei Kraan – mit dem reinen Lustprinzip zusammen. Zunächst habe ich vier Titel mit Martin Kasper vorbereitet, der uns live hin und wieder am Keyboard begleitet. Diese Stücke habe ich herumgeschickt – und genau dann kam der Lockdown. Jan Fride hat da dann ruckzuck Schlagzeug draufgespielt und Peter Wolbrandt Gitarre. Vier oder fünf Stücke waren also fertig, aber das reichte nicht für ein Album. Doch dann sagte Jan: „Peter hat doch einen Haufen Stücke! Ich habe ja sogar noch die Mehrspuraufnahmen auf meinem Rechner.“ Das waren ungefähr 15 Stücke, und die, die es aufs Album geschafft haben, fand ich richtig hammermäßig. Ich bin dann zu Jürgen Schlachter [Hattlers Partner bei seinem Label 36music; Anm.] ins Studio gefahren, habe die Bässe draufgespielt, und Jürgen hat alles noch ein bisschen editiert. Plötzlich hatten wir 13 Titel, und alle Beteiligten sind nach wie vor superhappy damit. Das ist eine unglaublich entspannte Platte geworden, die perfekt in diese Zeit passt – und das, ohne dass wir bei den Aufnahmen auch nur eine Sekunde zusammengesessen hätten.  

eclipsed: Ich habe mich gefragt, ob vielleicht auch die beiden „The Trio Years“-Livealben der Grund dafür waren, dass ihr gesagt habt: „Lasst es uns noch mal probieren!“

Hattler: Nee, jedenfalls nicht bewusst, aber sie haben uns auch sehr inspiriert, und das war auf jeden Fall eine gute Basis, um weiterzumachen. Für mich war die Arbeit an diesen beiden Alben wie eine Therapie, weil ich den Stand der Abmischungen aus der Isolation der Klinik heraus begleitet habe.

eclipsed: Dein Song „Solitude“ passt hervorragend zur aktuellen Situation. Wenn ich den Text richtig verstanden habe, geht es darin um einen Corona-Patienten im Krankenhaus. 

Hattler: Nicht nur – aber viel Isolation und Einsamkeit hatte ich da schon durchzustehen. Und dann kam im Frühjahr auch noch der Lockdown dazu, was noch mal Einsamkeit bedeutete. Das war schon alles ein bisschen gespenstisch und hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Texte. Ich wohne ja auf dem Land, und wenn ich durchs Fenster gesehen habe, wie die Mädels traurig mit ihren Hunden Gassi gegangen sind, hatte ich das Gefühl, dass sie hofften, einen coolen Typen zu treffen, mit dem sie über Hunde reden könnten – aber das war halt ein Bild für die Sehnsucht nach Austausch.

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