LED ZEPPELIN - Der No-Name-Mythos

19. April 2021

Led Zeppelin

LED ZEPPELIN - Der No-Name-Mythos

Vor 50 Jahren legten Led Zeppelin letzte Hand an ihr sagenhaftes viertes Album. Mit Songs wie „Stairway To Heaven“, „Rock And Roll“ und „The Battle Of Evermore“ wurde es nicht nur zur bestverkauften Platte von Jimmy Page & Co. – das Album ohne Titel gilt längst auch als majestätisches Monument des 70s-Rock. Zahllose Fans und nachgewachsene Musikergenerationen verehren es bis heute als Opus magnum und nie versiegende Quelle der Inspiration. Wir untersuchen, wie dieses Album entstand und wie es seinen einzigartigen Status erlangte.

Zwei junge Männer albern auf einer Wiese herum, im Hintergrund ist ein altes Gemäuer zu sehen. Der eine ist blond, mit einem dicken Pullover bekleidet und trippelt von einem Fuß auf den anderen, der Dunkelhaarige trägt eine dünne Jacke und schrammelt auf einer Mandoline. Kleine Atemwölkchen sind vor ihren Mündern zu erkennen, und vor den winterkahlen Bäumen tollen Hunde herum – darunter auch ein schwarzer, von dem noch zu reden sein wird. Die beiden Männer sind vor die Tür gegangen, um frische Luft zu schnappen. Bald werden sie ins Haus zurückkehren und sich wieder an die Arbeit machen. 

Zu sehen sind die beschriebenen Szenen in einem kurzen Amateurfilm. Wir schreiben das Jahr 1971, es ist Winter. Led Zeppelin haben sich in Headley Grange eingenistet, einem etwas heruntergekommenen Anwesen in der Grafschaft East Hampshire. Die Band arbeitet dort an einem neuen – ihrem nunmehr vierten – Album. Früher einmal wurde Headley Grange als Waisen- und Armenhaus genutzt, nun aber fungiert das aus dem 18. Jahrhundert stammende Gebäude als Tonstudio mit angegliedertem „Bed & Breakfast“-Betrieb. Ein vor dem Haus stehender BMC-Truck birgt das nötige Aufnahmeequipment. Er gehört den Rolling Stones, die das tarnfarben lackierte Gefährt an die Kollegen von Led Zeppelin vermietet haben. 

Auch wenn auf der Zufahrt vor dem Hauptportal ein schwerer Rolls-Royce und ein teurer Sportwagen geparkt sind: Die Bedingungen sind durchaus nicht so luxuriös, wie man es bei Rockstars vom Kaliber Jimmy Page, Robert Plant & Co. erwarten würde. Die alten Mauern sind feucht, die Heizung funktioniert nicht, und weder gibt es einen Pub in der Nähe noch sonstige Zerstreuung. Es geht um die Musik. Und nichts sonst. Wie Jimmy Page gegenüber BBC News Jahrzehnte später in einem TV-Feature erklären wird: „Es war eine inspirierende Zeit. Essen, schlafen, Musik machen, das war es, was wir dort Tag für Tag taten.“ 

Das Maß der Rockdinge

Page und die Seinen fahren in Headley Grange eine Ernte ein, deren Saat sie in den Jahren zuvor ausgebracht haben. Zu diesem Zeitpunkt sind Led Zeppelin eine der vielversprechendsten Bands der zweiten britischen Rockgeneration. Die Beatles sind Geschichte, die Kinks haben mit „Lola“ gerade ihren vorerst letzten Hit gefeiert, und die Rolling Stones, The Who und all die anderen Helden der Gründerjahre gelten als Veteranen, obwohl ihre Mitglieder gerade erst auf die 30 zugehen. Jetzt, zu Beginn des neuen Jahrzehnts, übernehmen jüngere Kräfte das Ruder. Sie heißen Black Sabbath, Deep Purple, Free, Pink Floyd – und Led Zeppelin. Ihre Haare sind länger, ihre Attitüde ist selbstbewusst und ihr Rock um einige Grade härter als der von Jagger, Townshend und den anderen. Primus inter pares sind Led Zeppelin. Das Londoner Quartett ist auf dem besten Weg, zum Maß aller Rockdinge und zum heißesten Live-Act des Planeten aufzusteigen.

1968 aus der Konkursmasse der Yardbirds gebildet, gingen Led Zeppelin mit Manager Peter Grant von vornherein aufs Ganze: 143.000 US-Dollar Vorschuss (nach heutiger Kaufkraft mehr als eine Million) haben sie bei Atlantic Records herausgeholt, der höchste Betrag, der bis dahin einer Rockband gezahlt wurde. Als Recording Artists genießen Led Zeppelin maximale künstlerische Freiheit. Völlig autonom können sie über die Musik, das Artwork der Plattencover und, vielleicht wichtigstes Privileg, über jede Veröffentlichung und jeden einzelnen Karriereschritt entscheiden. So bringen sie grundsätzlich keine Singles heraus (auch wenn nicht-englische Vertriebspartner gegen den Willen der Band Singles wie „Whole Lotta Love“ veröffentlichen), verzichten weitgehend auf die übliche Produkt-Promotion, geben kaum Interviews und weigern sich überdies, in TV-Shows aufzutreten. 

Grant und seine Schützlinge wissen, dass sich ihr Schicksal nicht auf dem Teenpop-Markt, sondern bei einem erwachsenen Underground-Publikum entscheiden würde, das weder Singles noch Postermagazine kauft noch Mittelwellenradio hört. Der Lauf der Dinge bestätigt die Strategie eindrucksvoll: Seit der ersten Englandtour im Oktober 1968 und dem kurz darauf erfolgten Start der ersten US-Tournee im Dezember hat sich Led Zeppelins Ruf in Windeseile herumgesprochen. Wo die Band auftaucht, haben andere auf der Bühne nichts mehr zu melden. Innerhalb kürzester Zeit erobern Page und die Seinen ein Millionenpublikum, das sein Urteil unabhängig von den klassischen Popmedien fällt und dabei keinen Pfifferling auf die mitunter boshaften Kritiken der Undergroundpresse gibt. Grant macht von Anfang an keinen Hehl daraus, dass ihm die selbsterklärten Geschmackshüter der Szene, allen voran die Hippie-Redakteure des Rolling Stone, die Led Zeppelin in der Luft zerreißen, vollkommen egal sind. Die Sache ist ganz einfach: Led Zeppelin wissen, dass sie gut, dass sie besser sind als der Rest, und sie sind selbstbewusst genug, allein auf ihre Musik und ihre fulminante Bühnenshow zu setzen. Hochglanzposter, Singlehits und den Segen der Kritiker brauchen sie dafür nicht ...

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