NANCY WILSON - „Mama Rock“ - Eine Frau zum Pferdestehlen

12. Mai 2021

Nancy Wilson Heart

NANCY WILSON - „Mama Rock“ – Eine Frau zum Pferdestehlen

Nancy Wilson, bekannt als Gitarristin von Heart, veröffentlicht mit 67 ihr erstes Soloalbum – ein Werk, mit dem sie mehreren Missverständnissen entgegentritt: etwa, dass ihre Band ein rein amerikanisches Phänomen sei, dass sie ihre besten musikalischen Momente in den 1970ern gehabt habe und heute kaum noch Relevanz besitze. Was Letzteres betrifft, kommt „You And Me“ einer schallenden Ohrfeige für all solche Kritiker gleich, denn die erste Frau an der Leadgitarre einer erfolgreichen Rockband zeigt darauf, dass sie nichts ver-, aber viel dazugelernt hat.

Die Kinder sind an der Uni, die Band, die sie seit Mitte der 70er mit ihrer älteren Schwester Ann anführt, ist in der coronabedingten Zwangspause, und die Villa, die sie kurz vor Ausbruch der Pandemie im nordkalifornischen Santa Rosa bezogen hat, ist vollständig eingerichtet. „Ich wohne hier mit meinem Mann und einem ganzen Hunderudel, habe mein eigenes Studio und wegen Corona mehr Zeit, als mir lieb ist. Also habe ich das in Angriff genommen, was ich mir seit Jahren vorgenommen hatte: mein erstes Soloalbum. Ich weiß, dass jetzt die Frage kommt, warum ich das nicht früher getan habe, aber die Antwort lautet: Ich war zu sehr mit Heart beschäftigt.“

Eine Band, die für 16 Studioalben, 35 Millionen verkaufte Tonträger und Welthits wie „Barracuda“, „These Dreams“ und „All I Wanna Do Is Make Love To You“ steht, 2013 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde und allein dadurch Rockgeschichte geschrieben hat, dass sie Frauen den Weg in diese Männerdomäne ebnete. „Als ich anfing, Gitarre zu spielen, hieß es: ‚Aber Schätzchen, damit machst du dir die Fingernägel kaputt. Willst du nicht besser Flöte spielen?‘ Das hat mich erst recht darin bestärkt.“ 

Ihre Entschlossenheit zahlte sich aus: Alben wie „Dreamboat Annie“, „Magazine“, „Little Queen“ oder „Dog & Butterfly“ gelten mit ihrer Kombination aus Folk und Hardrock als Klassiker der 70er, und die Wilson-Schwestern erwiesen sich darauf als versierte Songschreiberinnen. Erst als Männer und vor allem Drogen ins Spiel kamen, geriet die Kreativität der beiden ins Stocken. „In den 80ern war alles, was wir anfassten, von einer dicken Staubschicht überzogen“, lacht Nancy Wilson. „Wir haben so viel Koks genommen, dass die Musik darunter gelitten hat. Es ging nur noch um diese Big-Hair-Frisuren und Klamotten, die aussahen, als wären wir einem Fantasy-Film entsprungen. Es war schlimm.“ 

Seit den frühen 90ern lassen es die Wilsons ruhiger angehen. Ihre Alben erscheinen unregelmäßig und auch mal auf kleineren Indie-Labels, Hitsingles und Outfits stehen nicht mehr im Mittelpunkt, und Tourneen finden hauptsächlich in Nordamerika statt. „Das lag und liegt an unserem Management, das uns da hinschickt, wo wir am meisten Geld verdienen – und das ist leider vor der Haustür. Aber ich vermisse Deutschland und will definitiv dorthin zurück – vielleicht zu unserem 50. Jubiläum. Dann wollen wir eine letzte, große Welttournee unternehmen.“

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