OPERATION CHERRYTREE - Von Norwegen nach Ostwestfalen

14. Januar 2018

Operation Cherrytree

Da treffen sich vier Herren aus Ostwestfalen im besten Alter rein zufällig in Norwegen. Menschlich passt die Chemie auf Anhieb. Auch musikalisch, wie sie alsbald herausstellt. Zurück in ihrer Heimat gründen sie das Quartett Operation Cherrytree. Nun liegt das Debüt „Scum & Honey“ vor. Ein Album, das rockt, das grungt, das groovt, das bluest, von allen ein bisschen, von allen was Gutes. eclipsed sprach mit Sänger Wyno, Bassist Jansen und Gitarrist Sieks (lediglich Schlagzeuger CH musste passen) über die Band, ihr Zustandekommen und ihr Album.

eclipsed: Ihr werdet gewiss immer wieder nach eurer Entstehungsgeschichte gefragt. Bitte gebt an dieser Stelle noch mal einen kurzen Überblick der Ereignisse.

Jansen: Das Interessante an der Sache ist, dass wir uns eigentlich in der Nähe von Oslo getroffen haben. Ich habe beruflich mit Rechnungswesen zu tun und dachte irgendwann: „Muss das alles sein? All das Kleinkarierte?“ Ich war dann in Norwegen mit meinem T3-Bulli unterwegs, über Trelleborg, Schweden, nach Oslo. In der Nähe von Oslo habe ich die Karre aufgetankt und da kommt einer vorbei und spricht mich an: „Alter, du kommst ja auch aus Ostwestfalen.“ Das war Wyno. An meinem „MI“-Kennzeichen hat er das erkannt. Man wundert sich, wie viele Ostwestfalen immer so unterwegs sind.

Wyno: Es ist eine Seuche.

Jansen: Es ist wirklich so. Wenn du zum Beispiel zum Timmendorfer Strand fährst, dann denke ich immer „Die kommen hier alle aus LIP, aus BI, aus MI, aus HF, aus GT.“ Wir hatten uns jedenfalls im Juni 2016 in Norwegen getroffen.

Wyno: Ich wollte einfach nur rauskommen, den Kopf freikriegen. Ein festes Ziel hatte ich eigentlich nicht. Aus einer Bierlaune raus habe ich dann den guten Jansen angesprochen. Wir sind dann gefahren und gefahren, Richtung Hardangerfjord. Dann wollte die Karre nicht mehr so richtig. Wir sind dann nur noch bis zum nächsten größeren Ort gefahren. Das war Norheimsund. Abends sind wir dann in einer Kneipe gewesen und da haben wir dann auch die beiden anderen getroffen: Sieks und CH.

Sieks: CH und ich sind schon seit 20 Jahren zusammen unterwegs. Wir machen so einen instrumentalen Power-Kram: Schlagzeug und Gitarre. Wir waren auf dem Rückweg vom Bergen-Festival, wo wir gespielt hatten. Wir waren in der Kneipe und treffen da auf zwei andere Ostwestfalen: Jansen und Wyno. Der Abend war spektakulär. Da sind wir zusammengekommen. Da haben wir festgestellt: Wir haben dieselben Interessen und es passt menschlich so toll, dass wir gesagt haben: „Darauf müssen wir was machen.“

eclipsed: Die Chemie zwischen euch hat sofort gepasst?

Jansen: Wir sind ja alle nicht mehr die Jüngsten. Wenn man aus einer bestimmten Zeit kommt, dann hat man ja auch ungefähr ein Feeling dafür, welche Musik gemacht wird. Wir haben auch den Riesenvorteil gehabt, dass Sieks und CH schon seit Ewigkeiten zusammenspielen und viele Dinge in der Pipeline hatten. Die Basictracks hatten die beiden schon. Dann kann man das gut weiterentwickeln. Im Dezember 2016 hatten wir schon zehn Stücke des neuen Albums mehr oder weniger fertig.

Wyno: Hauptsächlich stammen die Songs aus der Feder von Sieks und CH. Das sind also Altlasten. Wir haben das dann für uns aufgefrischt.

eclipsed: Sieks und CH haben also schon lange Musik gemacht. Wie sieht das bei Wyno und Jansen aus?

Jansen: Ich spiele seit 35 Jahren Bass.

Wyno: Ich komme ursprünglich aus der Punk- und Hardcore-Szene. Ich war da aber nie wirklich festgefahren. Irgendwann habe ich mich da nicht mehr zuhause gefühlt, weil ich gemerkt habe, dass ich stimmlich viel mehr Potenzial habe, das ich aber dort gar nicht richtig ausleben konnte. Ich hatte zwischendurch mal kleinere Blues-Projekte. Das war eher Spaß und aus der Laune heraus. Auch das eine oder andere TripHop-Projekt. Später habe ich dann erst mal gar nichts gemacht. Es kam ein Loch. Ich hatte das Gefühl, es geht einfach nicht weiter. Ich habe es dann auch nicht erzwungen und mich auf andere Dinge im Leben konzentriert, wie: auch mal arbeiten gehen und Geld verdienen. Bis ich dann die Jungs hier getroffen habe und dann änderte sich alles.   

eclipsed: Was hat zuerst bei euch gefunkt: das Musikalische oder das Menschliche?

Wyno: Definitiv das Menschliche. Ich bin von Natur aus kein ganz einfacher Charakter. Die drei anderen sind der Ruhepol in der Band. Ich bin der Rastlose, der Ungeduldige, der schon mal schnell aus der Haut fährt. Ich bin ja auch irgendwie der Jungspund in der Band. Die anderen sind sehr nachsichtig mit mir und das tut mir gut.

Sieks: Da muss ich noch mal kurz eingreifen. An erster Stelle steht das Menschliche. Man lernt sich kennen. Wenn man miteinander spricht und gleich Spaß hat, dann passt es. Erst im Laufe des Abends kam ja heraus, dass wir alle vier Musik machen.

Jansen: Das ist im Prinzip der zentrale Punkt gewesen. Wir kommen alle aus derselben Zeit und haben alle dasselbe Interesse an der Rockmusik: die late-70ies, early-80ies, mit einem 90er Touch. Deswegen passt es. Ich habe längere Zeit im härteren Metal Musik gemacht. Da ging es darum: wie tief kann man einen Bass eigentlich stimmen? Das brauchen wir alles gar nicht mehr. Wir befinden uns in einem ganz normalen Tuning. So wie man das früher immer schon gemacht hat und das ist einfach geil. Das hat alles gut gepasst. 

eclipsed: Nur der Wille „wir machen jetzt mal eine Platte“ reicht ja nicht. Wie habt ihr das alles nach eurer Rückkehr aus Norwegen organisiert?

Jansen: Aus der Vergangenheit hatte ich noch einen Proberaum an der A2. Im August 2016 haben wir uns da getroffen. CH und Sieks haben ihre Basictracks mitgebracht. Das Geile ist, dass Wyno direkt auf Basis dieser Grundstrukturen die Melodie und die Texte entwickelt hat. Alles was du hörst auf der Platte, ist durch den Gesang von Wyno so entstanden. Wir haben uns dann öfter dort getroffen. Aber weil wir doch nicht so nah beieinander wohnen, machen wir natürlich vieles über den Austausch von digitalen Spuren. Das Material, dass wir jetzt auf das Album gepackt haben, war in etwa zu 70 Prozent von den Basictracks schon fertig. Aber langsam geht es ja jetzt wieder los. 2018 werden wir an neuem Material arbeiten. Dann werden wir sehen, wie es sich entwickelt.

eclipsed: Eure Songs wirken schon ziemlich ausgereift. Man denkt sofort, es kann nicht das Debüt einer jungen Band sein.

Wyno: Das sehe ich definitiv auch so. Es ist schön, dass du das sagst. Das fällt auch anderen Leuten immer wieder auf. Es ist genau das, was wir möchten. Wir alle haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel und einiges an Lebenserfahrung. Wir wissen, dass es nicht immer wie die Route 66 geradeaus geht, sondern dass es eine Menge Kurven gibt. Das spiegelt sich dementsprechend auch im Songwriting wider. Ich glaube dennoch, dass da noch mehr geht. Ich bin schon gespannt auf das nächste Jahr. Wir haben gerade aktuell eine kleine Kreativpause. Ab 2018 wollen wir wieder richtig durchstarten. Neues Songwriting. Ich brenne schon richtig darauf.

Jansen: Auch unser Produzent Björn Brodner hat einen Anteil daran. Dem haben wir komplett freie Hand gegeben. Er hat von uns die Vorproduktion bekommen, die traditionell im Proberaum aufgenommen war. Wir haben ihm gesagt: „Hör dir das an. Du bist ein Rocktyp. Schau doch mal, was du daraus machen kannst.“ Das war ein toller Prozess. Wir waren im Mai 2017 zehn oder zwölf Tage im Studio bei ihm. Er hat bei einigen Songs auch wirklich viel eingewirkt. Er hatte Ideen, wie man es auch anders machen kann.

Wyno: Das muss man klar unterstreichen. Meine feste Überzeugung ist, wenn man Kunst- und Kulturschaffenden – also auch unserem Designer Daniel Hofer und eben unserem Produzenten – den Freiraum gibt, so wie wir ihn uns gegenseitig auch gegeben haben, dann kommen geile Sachen dabei raus. Dafür braucht man auch ein großes Stück Vertrauen. Wir waren uns ziemlich schnell einig, dass wir das laufen lassen können und unsere eigene Eitelkeit auch mal außer Acht lassen.

eclipsed: Das Album ist rockig. Es ist manchmal hart, manchmal ruhig. Wolltet ihr bewusst so unterschiedliche Stimmungen erzeugen?

Wyno: Bei Härte muss man nicht gleich brüllen oder laut sein. Härte lässt sich auch in ruhigen Tönen transportieren. Gewalt, Lautstärke, Ruhe und Melancholie – wenn wir es schaffen, diese Dinge in Einklang zu bringen, dann bin ich glücklich.

Sieks: Das ist aus dem Prozess entstanden. Da sind die Songs oder die Ideen, die CH und ich schon vorher hatten. Im Team mit Wyno und Jansen haben wir die Songstrukturen dann so weiterentwickelt. Wir hatten uns Gedanken gemacht, wie wir das gestalten, wie die Songs aufgebaut sein sollen. Da sind wir auch unterschiedlich. Quer durch den Garten. Mit der Unterstützung durch den Produzenten haben wir dann noch das Letzte rausgekitzelt. Das war ein toller Erfahrungsprozess für uns alle. Der Produzent hat das Ganze noch mal getoppt. Da kommt von außen noch mal jemand und wir haben ihm seine Kreativität gelassen, da noch mal das Beste rauszuholen. Das war für uns ein Glücksgriff.

Jansen: Das war ein Schlüsselding: wenn man Kreativen wirklich freie Hand lässt und ihnen sagt „Das haben wir jetzt mal für dich zur Verfügung gestellt. Mach doch mal mit deinen Ideen irgendwas daraus.“ Das war beim Produzenten das Tonmaterial. Beim Grafiker war es der Name der Band. Unser Bandname erklärt sich ja von selbst: Als wir im Juni in Norwegen gewesen sind, war das gerade die Kirschblütenzeit. Das ist so geil. Man glaubt das ja gar nicht. Man denkt immer: Norwegen, Schnee, kalt. Man kann es sich gar nicht vorstellen, wie es dort Ende Mai, Anfang Juni aussieht. Daraus hat der Grafiker das Artwork entwickelt. Unser Fotograf und Video-Artist Danny Kötter ist ein ganz junger Typ. Wir sind zu ihm gegangen und wir konnten bei ihm die Ideen wie auf einem Buffet einfach so auswählen. Tolle Sache.

Wyno: Natürlich habe ich auch einen gewissen Einfluss auf das Songwriting. Ich nehme mich da aber zurück. Die Jungs servieren mir ihre Ideen und ich bediene mich wie am Buffet. Ich versuche dann, mit meiner Stimme noch das i-Tüpfelchen oben drauf zu setzen.  

eclipsed: Worum geht es in euren Texten?

Wyno: Es ist ganz viel Persönliches drin, positives wie negatives. Im Song „Today“ geht es um die aktuellen Unsicherheiten und Ängste der Menschen, was die Zukunft angeht. Ihre eigene Zukunft oder die ihrer Kinder. Es herrscht ja gerade ein richtiger Unmut. Wir sind keine politische Band. Aber als Künstler muss man sich irgendwann positionieren und sagen „Bis hier hin und nicht weiter“. Gegen den ganzen Populismus und Fundamentalismus, der da gerade aufkommt, muss man sich textlich dagegenstemmen.

eclipsed: Ihr trefft euch mehr oder weniger zufällig in Norwegen. Alle Mann raus aus dem Alltag. Ein bisschen wie Aussteiger. Jetzt seid ihr zurück im Leben. Hat die Musik dabei geholfen?

Jansen: Wenn du irgendwann anfängst, zusammen mit anderen Musik zu machen, was ja meistens in jungen Jahren anfängt, dann willst du das nicht mehr missen. Es gibt Zeiten, gerade wenn man älter wird und Familie und Job hat, dann legt man die Prioritäten anders. Dann hat man keine Zeit mehr, richtig Musik zu machen. Du hast aber latent das Gefühl, dass dir was fehlt. Vor dem Treffen im letzten Jahr habe ich bestimmt sechs oder sieben Jahre keine Musik mehr gespielt. Es ist schon therapeutisch, Musik zu machen.

Wyno: Für mich persönlich ist es auch wie eine Therapie. Man trifft sich ja nicht nur, um irgendwie Musik zu machen. Man trifft sich ja auch, weil man sich mag und auch sonst viel Zeit miteinander verbringen möchte. Wenn man sich im Proberaum trifft, dann ist nicht nur Musik das Thema, sondern jeder erzählt auch wie sein Tag war. Wenn einer schräg drauf ist, dann spüren die anderen das auch. Das spiegelt sich dann auch im Songwriting wider.

Sieks: Die Freundschaft geht ja über die Musik hinaus. Die Musik verbindet aber noch mehr.

eclipsed: Wie geht es jetzt weiter? Welche Pläne habt ihr?

Jansen: Ein neues Album ist noch nicht geplant, weil das erste ja gerade erst rausgekommen ist. Wir sind aber gerade dabei, für März und April Konzerttermine zu buchen. Es wird daraus hinauslaufen, dass wir nur an Wochenenden spielen können. Das ist ein erster Schritt. Wir sind natürlich nicht mit dem Bekanntheitsgrad unterwegs wie andere Bands, die eine komplette Tour spielen können. Wir sind da jetzt mit einer kleinen Booking-Agentur dran. Die hat schon die ersten Termine an Land gezogen.

Wyno: Auf das Album sind wir wirklich stolz. Und das wollen wir auch live präsentieren. Das ist das nächste, was auf dem Programm steht.

*** Interview: Bernd Sievers