SEID - Alle paar Jahre ein süsses Früchtchen

21. Januar 2019

Seid

SEID - Alle paar Jahre ein süsses Früchtchen

25 Jahre haben Seid nun auf dem Buckel. Nach vier Alben mit englischen Lyrics erfüllen sich die norwegischen Psychedelicer nun mit dem neuen „Weltschmerz, Baby!“ einen langgehegten Wunsch: nein, kein Album auf Deutsch, wie der Titel vermuten lassen könnte, sondern ein kosmisch-psychedelisches Album auf Norwegisch. eclipsed fragte bei Burt Rocket (Gesang, Gitarre, Keyboards, Bass) und Jürgen Kosmos (ebenfalls Gesang und Gitarre) nach den Hintergründen.

eclipsed: Was sofort auffällt: ihr singt nun auf Norwegisch. Warum?

Jürgen Kosmos: Wir haben es uns als zur Aufgabe gemacht, jedes Mal etwas Neues auszuprobieren. Eine kleine Band zu sein, hat auch Vorteile. Einer davon ist, dass wir die Freiheit haben, zu machen, was wir wollen. Als große Band, an die jede Menge Erwartungen gestellt werden, hätten wir das nicht machen können. Ich persönlich wollte aber schon immer ein Album auf Norwegisch aufnehmen, das trotzdem kosmisch und spacey klingt. Ich weiß, dass meine Bandkollegen diesen Wunsch nicht unbedingt teilten, aber ich denke, wir haben es gut hingekriegt.

eclipsed: Und dann der deutsche Albumtitel „Weltschmerz, Baby!“. Leidet eure Seele unter der globalen Gesamtsituation?

Kosmos: Gute Frage. Vielleicht ein bisschen. Das Album ist jedenfalls kein narzisstischer ich-armer-Kerl-Pessimismus. Das wäre langweiliger Mist. Ich sehe das Album viel mehr als ein Loslösen von unnötigen, nicht erfüllten jugendlichen Träumen. Wir sind eine kleine Band. Wir wissen, dass wir keine Kosmonauten mehr werden. Aber vielleicht werden wir ja noch von Aliens entführt. Das Wort „Weltschmerz“ funktioniert auf Deutsch, Englisch und Norwegisch gleich gut – wahrscheinlich auch in vielen weiteren Sprachen. Es hat dort dieselbe Bedeutung wie im Deutschen.

eclipsed: Auf dem Album präsentiert ihr verschiedene Stile: raue rockige Tracks, atmosphärische Klangbilder, elegante, geschmeidige Lieder. Dennoch ist das Album ein großer harmonischer Fluss. Wie habt ihr das hinbekommen?

Burt Rocket: Nun, das brauchte seine Zeit und eine Menge Arbeit. Der Songwriting-Prozess hat über drei Jahre gedauert. Wir haben viele Entwürfe aufgenommen und wieder verworfen. Manchmal sind wir ins Stocken geraten und mussten eine Auszeit nehmen. Am Ende, als wir das Gefühl hatten, dass wir genug gutes Material zusammen hatten, ging es darum, die einzelnen Teile so zusammenzustellen – unter Berücksichtigung, dass es auf die A- und B-Seite einer Vinylplatte passen muss –, dass der Hörer nichts Anderes hören will.

eclipsed: Einige der Tracks hängen zusammen, sie gehen ineinander über.

Rocket: Ich war schon immer ein großer Fan von Alben, bei denen die Songs ineinander überfließen und durch musikalische Passagen verbunden sind. Künstler wie Bo Hansson oder Camel haben so etwas häufig auf ihren klassischen Alben in den 70er Jahren gemacht. Wir haben das auch schon auf früheren Seid-Alben ausprobiert. Es häuft sich jetzt aber.

eclipsed: Trotz all der verschiedenen Stile, die ihr verwendet, ist doch der 60er Jahre Psych und der 70er Jahre Space Rock eure größte Inspirationsquelle.

Rocket: Ich glaube, dass der Psychedelic und der Space Rock gerade dadurch so interessant für uns sind, weil es keine Regeln gibt, die eingehalten werden müssen. Du kannst machen, was du willst und erschaffen, was auch immer gut klingt. Als wir in den 80er und 90er Jahren in einer norwegischen Kleinstadt aufgewachsen sind, war dieser Musikstil für uns wie eine Zufluchtsstätte, weil alle anderen Musiker in den festen Regeln und Grenzen des Stils, den sie spielten, festzustecken schienen, ohne irgendwelche Grenzen zu überschreiten.

eclipsed: Die Bandmitglieder in Seid und eure Gastmusiker haben nicht gerade skandinavische Namen, etwa „Janis Lazzaroni“ oder „Günther Mannheim“ oder eben „Burt Rocket“. Sind das alles Künstlernamen?

Kosmos: Das sind alles Pseudonyme. Seid ist eine rein norwegische Band. Ich weiß nicht, wie das damals anfing. Wahrscheinlich kam das daher, dass wir große Fans der norwegischen Psychband The Smell Of Incense sind. Die Band hatte in unseren Anfangstagen einen großen Einfluss auf uns und auf all ihren Platten benutzten sie nicht ihre richtigen Namen, sondern Pseudonyme. Ich denke, wir fanden das cool und wollten es auch so machen.

eclipsed: Wo ist euer Keyboarder Organ Morgan geblieben? Er ist auf dem neuen Album nicht mehr dabei.

Rocket: Er ist am Leben und es geht ihm gut. Er hat vor einigen Jahren entschieden, sich mehr seiner Familie und seinem Job zu widmen. Wir haben versucht, einen neuen Keyboarder als Ersatz zu finden. Doch 2015 haben wir dann entschieden, als Quartett weiter zu machen. Aktuell spielt Organ Morgan in der norwegischen Garage-Psychband The Pink Moon.

eclipsed: Ihr feiert gerade euer 25-jähriges Jubiläum. Ein guter Moment über die 25 Jahre Seid nachzudenken.

Kosmos: Ich bin sehr dankbar, dass sich immer noch relativ viele Leute an uns erinnern. Gerade wenn man bedenkt, wie wenig wir in den letzten Jahren getourt sind. Ich freue mich über Reviews, die ein Interesse an unser Orchester zeigen. Mir ist bewusst, dass wir nur eine winzige Insel in einem großen Ozean sind. Aber immerhin sind wir auf der Landkarte. So viele Bands sind untergegangen, aber Seid nicht. Das ist eine Stärke von uns, die mich auch ein bisschen stolz macht. Vielleicht schwimmen wir aber auch nur noch oben wegen eines ungesunden Body Mass Indexes. Wer weiß? Ein Highlight für mich sind die vielen Konzerte, die wir Anfang/Mitte der 2000er Jahre in Skandinavien, Deutschland und den Niederlanden gespielt haben. Das waren coole Locations und interessante, verrückte Leute. Alles zusammen geworfen in einen riesigen Mix aus kosmischer Freude. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich gern zurückkehren in das Burgerweeshuis in Deventer. Zu sehen, wie ein Haufen Fremder total zu unseren Vibes abfährt, wie es dort geschehen ist. Aber auch an anderen Orten. Das wäre schon cool. Auf einer Tour zu sein und dabei eine besondere Stimmung zu erzeugen, hat eine seltsame Dynamik, die ich sehr mag. Ein anderes Highlight war, als vor ein paar Jahren unser aktueller Drummer Martin Viktor Langlie zu uns stieß. Ohne Misskredit für unsere früheren Schlagzeuger, aber Martin ist total irre. Im positiven Sinne. Er ist mit mir durch die Berge Haitis gewandert. Er spielt das Schlagzeug wie niemand, den ich bisher getroffen habe. Er baut sich sein eigenes Equipment und er ist ein guter Racquetball-Lehrer. Was will man mehr?

eclipsed: In den 25 Jahren habt ihr aber nur fünf Alben veröffentlicht. Wie kommt’s?

Kosmos: Sicher hätten wir mehr Alben veröffentlichen können, aber das Leben bietet so viele Ablenkungen, die Zeit kosten. Und deswegen klingen Seid auch so, wie Seid eben klingen. Im Guten wie im Schlechten. Balkanflöten, Kuhglocken und Mellotron. Waisenknaben und geliehene Kanonen aller Arten. Alles Ablenkungen. Ja, stimmt, fünf Alben in 25 Jahren sind nicht viel. Aber lieber nur alle fünf Jahre ein ordentliches Album, als ein großer Haufen Mist. Klar, das Beste wäre, produktiv und brillant zugleich zu sein. Das Zweitbeste ist es, eine seltene Frucht zu sein, die nur alle paar Jahre erscheint, dafür umso süßer schmeckt und auf die man gern wartet. Ich hoffe, wir sind eine solche Band.

*** Interview: Bernd Sievers