eclipsed-Feature: Die Geschichte des Deutschrock

23. November 2016

Deutschrock Krautrock

Wo liegt der Anfang deutschsprachiger Rockmusik? Ab wann kann man wirklich von Deutschrock sprechen? Deutsche Beatbands wie die Rattles oder die Lords sangen in den 60er-Jahren noch wie selbstverständlich in der Sprache ihrer angloamerikanischen Vorbilder. So erzählt Wolfgang Niedecken (65) gegenüber eclipsed: „Rockmusik in meiner Generation ist durch die großen englischen Bands überhaupt erst interessant geworden. Wenn man das dann selbst machen wollte, hat einen das stark mit der englischen Sprache verbunden. Das war kaum zu trennen.“

Gleichzeitig ist aber auch – vor allem im Zusammenhang mit den Burg-Waldeck-Festivals in den 60er-Jahren – das Aufkommen einer politisierten Liedermacherszene um Interpreten wie Hannes Wader, Franz-Josef Degenhardt oder in der DDR Wolf Biermann zu beobachten, die deutlich von der US-Folkszene (und dem französischen Chanson) beeinflusst war. Die ersten Rockbands, die deutsche Texte zu härteren Rockrhythmen sangen, waren Ton Steine Scherben und Ihre Kinder, die einen lyrischeren Zugang zur deutschen Rocksprache fanden – auch für Niedecken gelten sie daher als Wegbereiter des Deutschrock.

Hierzulande boomte ab den frühen Siebzigern vor allem der Krautrock, jene genuin deutsche Spielart populärer Musik. Texte spielten in der Krautwelt jedoch eine untergeordnete Rolle. Doch war Krautrock „ein Wegbereiter für Deutschrock, weniger musikalisch, mehr in puncto Haltung und Selbstbewusstsein für die eigene Sprache und Kultur“, wie Wolf Maahn (61) betont.

Leinen los

Jedoch erst mit Udo Lindenberg (70) veränderte sich alles. Die Veröffentlichung seines Albums „Alles klar auf der Andrea Doria“ setzte 1973 Standards für die deutsche Rocklyrik. Im Jahr zuvor hatte er – nach seinem halbgaren englischsprachigen Debüt – die Platte „Daumen im Wind“ aufgenommen und angedeutet, dass hier einer ganz neue Wege gehen will. Mit „Andrea Doria“ sowie den Nachfolgealben „Ball Pompös“ und „Votan Wahnwitz“ führte Lindenberg sein „Easy-Deutsch“ ein – einen Slang aus Jugendsprache, aus dem Englischen überführten Ausdrücken und eigenen Wortkreationen. Dabei zweifelte Lindenberg anfangs noch: „Musikalisch habe ich auf der Platte Kulturen und Stile des Pö [legendärer Club auf der Reeperbahn; Anm.] zusammengebracht. Vom Free Jazz bis zum Tango. Ich war schon immer ein großer Vereiniger. Letzte Zweifel gab es nur an den Texten. Ob sie wirklich alle rockkompatibel waren. Die meisten entstanden ja tatsächlich wie Tagebuchnotizen.“

Und trotz seins Erfolgs mit dieser Formel hatte sich zunächst kaum ein weiterer Musiker durchringen können, es ebenfalls auf Deutsch zu probieren. Es gab im progressiven Bereich Bands wie Grobschnitt oder Novalis, die teils mit deutschen Texten arbeiteten, doch sie blieben Ausnahmen. Rock fand in Deutschland weiterhin hauptsächlich auf Englisch statt, wie es die Scorpions oder Birth Control höchst erfolgreich unter Beweis stellten. So kam der erste flächendeckende Durchbruch von Deutsch als Rocksprache erst Jahre später mit dem Aufkommen von New Wave. In Düsseldorf und Berlin entstand eine Szene, die sich britische Punkbands wie die Sex Pistols und US-Formationen wie Television oder Suicide zum Vorbild nahmen und deren Ästhetik auf die hiesigen Gegebenheiten übertrugen. Dabei war die Szene äußerst heterogen: Aus ihr entsprangen radikale Punkgruppen wie der KFC oder Slime, aber auch Die Toten Hosen oder Elektropioniere wie DAF. Als wegweisendes Album erwies sich „Monarchie und Alltag“ (1980), das Debüt der Fehlfarben. Deren Frontmann Peter Hein entwickelte Lindenbergs „Easy-Deutsch“ zu einer eigenen Art zeitgenössischer Rocksprache weiter.

Auch in Ostdeutschland begannen Rockkünstler Ende der 70er-Jahre – eine erstaunliche historische Parallele – verstärkt auf Deutsch zu texten, wie Songs von City, Silly oder Karat bewiesen.

Lest mehr im eclipsed Nr. 186 (12-2016/01-2017).