GRATEFUL DEAD - Die Nackten und die Toten

25. Juni 2015

Grateful Dead

An welchem Tag genau sie sich unter dem neuen Namen formierte, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Sicher ist, dass sich Anfang Dezember 1965 die weitgehend unbekannte Band Warlocks, die sich im Mai desselben Jahres zusammengefunden hatte, in Grateful Dead umtaufte. Sehr zum Leidwesen des Konzertpromoters Bill Graham, der im Monat zuvor auf die Gruppe aufmerksam geworden war und sie unter seine Fittiche genommen hatte.

Doch es gibt noch zwei weitere Jahreszahlen, die die Geburt der größten aller Jam-Bands markieren. Zum einen 1938 – das Jahr, in dem der Schweizer Chemiker Albert Hofmann in einem Labor des Chemieunternehmens Sandoz das LSD entdeckte; zum anderen 1943 – das Jahr, in dem der Wissenschaftler erstmals von der Wirkung seiner Entdeckung auf das menschliche Gehirn erfuhr, und zwar am eigenen Leib.

Auch wenn Dennis McNally, Autor der gefeierten Dead-Biografie „A Long Strange Trip“, betont, dass es bei der Band stets in erster Linie um die Musik und nicht um Drogen gegangen sei: Fakt ist, dass ohne die Entdeckung, die Hofmann gemacht hatte – zu einem Zeitpunkt, als noch keiner der fünf Musiker geboren war –, Grateful Dead eine andere Band geworden wären. Die musikalische Entwicklung der Gruppe, ihr Erscheinungsbild, ihr Selbstverständnis, ihre Sicht auf die Welt, ihre Liedtexte, die Atmosphäre und Struktur ihrer Konzerte – all dies wäre in der Form ohne die halluzinogenen Schlüsselreize des Acid nicht denkbar.

Auf ihren Trips ins Innere holten sich die Musiker – mit Ausnahme von Pigpen, der sich ausschließlich dem Alkohol anvertraute – ihre Anregungen. Sie waren überschwemmt von Eindrücken aus ihrem Unterbewusstsein. Gleichzeitig waren die LSD-Sausen eine gemeinschaftliche, verbindende Erfahrung. So erinnert sich etwa Bassist Phil Lesh an einen Trip, den er zusammen mit Jerry Garcia 1966 in Los Angeles einwarf: Derart nah habe er sich Garcia abseits der Bühne niemals wieder gefühlt.

The Great High Hope

Grateful Dead führten einen Lebensstil vor, den andere Musikgruppen – auch außerhalb der USA – nachahmten. Und auch für die Fans wurde das, wofür die Dead standen, sinnstiftend. The Great High Hope, wie die Gruppe auch genannt wurde, stellte eine Verheißung dar, dass ein alternativer Lebensentwurf tatsächlich umsetzbar war. Dass gesellschaftliche Grenzen zu überwinden waren. Dass die Rolle des Individuums in der Gesellschaft neu definiert werden konnte.

Kurz bevor sie sich ihren neuen Namen zulegte, hatte der Schriftsteller Ken Kesey („Einer flog über das Kuckucksnest“) die junge Formation als Hausband für seine Acid-Tests gewinnen können. Bei diesen wilden Happenings, Ausdruck „unkontrollierter Anarchie“ (Phil Lesh), in seinem Haus im kalifornischen La Honda verteilte Kesey reichlich LSD, das damals in den USA noch legal war. Kern seiner Gefolgschaft waren die Merry Pranksters, ein bunter Haufen, dem Wesen nach halb Beatnik, halb Hippie.

Im Rahmen einer dieser Zusammenkünfte fand am 4. Dezember 1965 in San Jose das erste Konzert der Grateful Dead statt. Es war laut Phil Lesh das erste Mal, dass alle Mitglieder – mit Ausnahme von Pigpen – gleichzeitig bei einer Show auf Acid waren. Lesh: „Mir war augenblicklich klar, dass diese Kombination – LSD und Musik – das Werkzeug war, wonach ich gesucht hatte.“

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 172 (Juli/August 2015).