KEITH EMERSON - Die letzte Fanfare

20. April 2016

Keith Emerson ELP The Nice

Der 1944 in Todmorden geborene Engländer war das einzige Kind einer Mittelklassefamilie. Für ein Jahrzehnt sollte er der Rockkeyboarder par excellence sein. Keith Emerson befreite den Organisten aus dem Korsett des sitzenden Bürokraten, der an einem nussbraunen Kasten stoisch Akkorde drückte. Der „King of Keyboards“ brachte das Orgelspiel auf eine neue Ebene voller Sex, Gewalt und Ekstase. Privat eher schüchtern, verwandelte sich Emerson on stage in einen Aggressor, der seine Hammond wie eine störrische Geliebte schüttelte, sie mit den Ellenbogen traktierte, sich auf sie stellte und einen wilden Ritt vollführte. Mit dieser faszinierenden wie verstörenden Vorstellung wurde der Dandytyp früh zum „Hendrix der Tasteninstrumente“. Seine wilde Bühnenshow hatte er sich indes nicht bei dem Jahrhundertgitarristen abgeschaut, sondern bei Don Shinn, den er im Herbst 1966 im Marquee Club gesehen hatte: „Mitten in einem Stück begann er seine Orgel zu schütteln und mit einem Schraubenzieher darin herumzustochern. Ich war so beeindruckt, dass mir danach viele Ideen im Kopf herumschwirrten.“

Vom Rebell zum Rockaristokraten

Diese Ideen führten unter anderem zur berühmten Orgelshow, die Emerson ab 1967 mit The Nice medienwirksam präsentierte. Bei „America“, seiner wilden Adaption des berühmten Songs aus Leonard Bernsteins „West Side Story“, ersetzte der Exzentriker den Schraubenzieher durch zwei Messer, die er während einer Improvisation zwischen die Tasten rammte. So konnte er auf dem oberen Orgelmanual mehrere Töne halten und gleichzeitig die unteren Tasten weiter hoch- und runterflitzen. Zudem wollte er mit der Messerattacke ein politisches Statement setzen. In der Hochzeit der Studentenproteste thematisierte er die staatliche Gewalt auf Amerikas Straßen. Diese Rebellenattitüde legte Emerson spätestens als millionenschwerer Rockaristokrat bei ELP endgültig ab. Er war sowieso weniger an Politik interessiert, vielmehr wollte er die scheinbar engen Grenzen der Beat-Musik durchbrechen. Spätestens mit „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ sahen sich viele Musiker als Künstler, die etwas „zu sagen“ hatten. Ein Album war nicht länger einfach eine Ansammlung von Songs, sondern ein Medium für Gesamtkunstwerke. Für diese Ambitionen war Emerson, der seit seinem achten Lebensjahr Klavier spielte, musikalisch bestens gerüstet. Zudem hatte er sich früh mit Komponisten wie Johann Sebastian Bach oder Jazzpianisten wie Oscar Peterson auseinandergesetzt. Derart beeinflusst, wollte der Grenzgänger eine Brücke zwischen zeitgenössischer Populärmusik und dem abendländischen Erbe schlagen.

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 180 (Mai 2016).