LET GIRLS ROCK - Rockgitarristinnen im Wandel der Zeit

Mit dem im Januar auf Steve Vais Label Favored Nations erscheinenden Sampler „She Rocks, Vol. 1“ erfüllte sich der Gitarrenvirtuose einen Herzenswunsch und wählte dafür Aufnahmen von elf der derzeit interessantesten Rockgitarristinnen aus. Neben dem Ziel der Talentförderung stand hinter diesem Projekt die Erkenntnis, dass Gitarre spielende Frauen bei der breiten Masse noch immer nicht als ernstzunehmende Musikerinnen gelten. An dieser Vermutung könnte etwas dran sein: In der „Rolling Stone“-Sonderausgabe „Die 100 größten Gitarristen aller Zeiten“ (2003) kommen nur zwei Frauen vor: Joni Mitchell und Bonnie Raitt. Auch das „Guitarist“-Sonderheft „Rock Guitar Heroes“ (2012) ist aus weiblicher Sicht enttäuschend, wird darin doch einzig die Australierin Orianthi erwähnt. Dieses eklatante Missverhältnis könnte man als Zeichen schlampiger Recherchearbeit werten. Andererseits zeigt es jedoch auch einmal mehr, dass die Rockmusik vor allem von Männern geprägt wurde und dass sich Frauen erst allmählich emanzipieren konnten, wobei die akustische Gitarre eine wichtige Zwischenstation zur E-Gitarre war. Von den weiblichen Gitarrenpionieren bis zu den Saitenakrobatinnen von heute war es jedenfalls ein langer Weg, der hier kurz umrissen werden soll.

Wichtige Vorläuferinnen an der Gitarre

Noch bevor der Rock’n’Roll seinen Siegeszug antrat, gab es Frauen, die als Gitarristinnen ihr Geld verdienten. Memphis Minnie (1897-1973), zeitweise die populärste Countryblues-Künstlerin, machte in den Zwanzigerjahren ihre ersten Aufnahmen und setzte sich gegenüber Männern notfalls auch mit der Pistole durch. Ihr Pendant im Gospel war Sister Rosetta Tharpe (1915-1973), die als „Patin des Rock’n’Roll“ in die Annalen einging und mit ihrem Spiel auf der E-Gitarre Musiker wie Little Richard oder Chuck Berry beeinflusste. Trotz dieser Wegbereiterinnen hatten Frauen in der Frühphase des Rock’n’Roll meist nur als Sängerinnen eine Chance. Eine Ausnahme war Wanda Jackson (*1937), die auch Gitarre spielte und nach 1960 zur „Queen of Rockabilly“ avancierte. Als erste „echte“ Rockgitarristin gilt jedoch Peggy Jones (1940-2015), die in Bo Diddleys Band den Rhythmus vorgab und den Spitznamen „Queen Mother of Guitar“ verliehen bekam. Nach ihrem Ausstieg wollte Diddley nicht auf eine Frau an seiner Seite verzichten und engagierte Norma-Jean Wofford (1942-2005), die zwischen 1962 und 1966 in seiner Gruppe spielte.

Das Folk-Revival der Sechzigerjahre

Einen wichtigen Meilenstein in der Geschichte der Gitarristinnen stellte das Folk-Revival in den Sechzigern dar. Dieses war zwar auch von männlichen Protagonisten wie Pete Seeger, Bob Dylan oder Arlo Guthrie geprägt, doch traten damals verstärkt Frauen, die sich auf der Akustischen begleiteten, in den Vordergrund. Hier sind insbesondere Joan Baez (*1941), Judy Collins (*1939), Joni Mitchell (*1943) und Buffy Sainte-Marie (*1941) zu nennen. Speziell Mitchell sollte aufgrund ihrer poetischen Texte und Alternativgitarrenstimmungen zum Vorbild für viele Folkmusikerinnen werden.

Gitarristinnen und All-Female-Bands der Siebzigerjahre

In den Siebzigern drangen Gitarristinnen dann auch in die Rockmusik vor – ein klares Zeichen dafür, dass diese Frauen nicht mehr mit den „braven“ Folksongs der Sechziger assoziiert werden wollten. Stattdessen waren eine elektrische Gitarre und ein Verstärker die probaten Mittel, um das weibliche Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen. Bezeichnenderweise wurden in dieser Zeit die ersten einflussreichen Rockbands gegründet, die von Frauen angeführt wurden oder komplett aus Frauen bestanden. Zur ersten Gruppe gehörten die Pretenders mit der Sängerin/Gitarristin Chrissie Hynde (*1951) sowie Heart (Nancy Wilson). Zur zweiten Gruppe zählten „All-Female-Bands“ wie Birtha (Shele Pinizzotto, 1947-2014), Fanny (June Millington, *1948), The Runaways (Joan Jett, *1958, Lita Ford), die Punkband The Slits (Viv Albertine, *1953) und The Go-Go’s (Charlotte Caffey, *1953, Jane Wiedlin, *1958). Gerade Joan Jett und Lita Ford, die auch als Solokünstlerinnen Erfolge feierten, werden oft in „Best Of“-Listen einflussreicher Rockgitarristinnen genannt.

Die Achtzigerjahre: Gitarristinnen in Hardrock und Folkrock

Die Achtziger waren die Ära, in der Gitarristinnen auch den Hardrock- und Metalbereich eroberten und zunehmend virtuoser spielten. Dabei setzte sich der „Girl Group“-Trend nahtlos fort, so etwa bei Girlschool (Kelly Johnson, 1958-2007, Kim McAuliffe, *1959) oder den Popmetallerinnen Vixen (Jan Kuehnemund, 1953-2013, Janet Gardner, *1962). Besonders kurios ist Katherine Thomas alias The Great Kat, die mit ihrer Mischung aus Thrash Metal und Klassik alle Geschwindigkeitsrekorde brach. Parallel dazu wurden auch Damen aus der Folkrockszene populär, zum Beispiel Suzanne Vega (*1959), Tracy Chapman (*1964) und die Indigo Girls. Mit der rockiger aufspielenden Melissa Etheridge (*1961) erhielt Bruce Springsteen ernsthafte Konkurrenz von weiblicher Seite...

Lest mehr im eclipsed Nr. 187 (02-2017).