RYLEY WALKER - Neue Impulse!

24. August 2016

Ryley Walker

Als Ryley Walker letztes Jahr mit seiner CD „Primrose Green“ die Demarkationslinie zwischen Jazz und Folk aufhob, horchte nicht nur die Fachwelt auf. Da kam ein junger Schlaks über den Teich, der eher wie ein Eurorail-Tourist mit Rucksack und Wandergitarre wirkte als wie ein Visionär, der die verborgenen Synapsen des globalen musikalischen Gedächtnisses aufdeckt.

War „Primrose Green“ wild und spontan, ist Walkers neue CD das exakte Gegenteil. Das ganze Album wirkt wie ein einziger langer Track. Walker schwebt auf einer Art modalem Bewusstseinsstrom, für den er nur extrem wenige Töne braucht. „Golden Sings That Have Been Sung“ ist mit seinen freien Jazzimprovisationen und keltischen Gitarren-Drones gleichermaßen Fortsetzung und Antithese zu „Primrose Green“. Walker ist scheu, sein Körper meist leicht gebeugt, die Pupillen pendeln in seinen Augäpfeln stets von rechts nach links und zurück, damit ihnen nichts von ihrer Umgebung entgeht. Im vergangenen Jahr schien der heute 27-Jährige noch mit allen Sensoren auf der Suche. Zumindest musikalisch ist er 2016 fündig geworden. „Die Drones und der rhythmische Puls von Alice Coltrane waren ein wichtiger Einfluss auf mich“, rekapituliert Walker in einer Mischung aus Stolz und Erschöpfung. „Auch ihr offener Space. Ich kann mich in diesem Space treiben lassen. Nicht nur ich, sondern auch all die anderen Musiker. Für mich ist diese Verbindung aus modalem Jazz und folkigen Drones normal, aber ich bin überrascht, dass es so viele Menschen genauso empfinden. Das scheint irgendwie in der Luft zu liegen.“

Manchmal muss man in die Vergangenheit reisen, um der Zukunft zu begegnen. Diesen Schritt ist der Chicagoer ganz bewusst gegangen. Vom Blue-Note-Ansatz seiner letzten Platte hat er sich ganz bewusst zur Ästhetik des Labels Impulse! weiterentwickelt (s. a. Kasten). Historisch gesehen ist das zwingend, denn Impulse! lief Blue Note Mitte der Sechzigerjahre den innovativen Rang ab und führte den Jazz in die Hippie-Ära. Doch für einen jungen Künstler von heute ist dieser Schritt alles andere als zwingend, wobei es vom anderen Ende des Spektrums die gleiche Metamorphose ist, die auch ein Flying Lotus vollzieht. „Die Veröffentlichung von Platten erfolgt ja meist zeitversetzt zu unseren künstlerischen Impulsen. Als ‚Primrose Green‘ rauskam, war ich im Kopf schon viel weiter. Wir waren unentwegt auf Tour, und ich schrieb neue Songs. Ich wollte sofort eine neue Platte machen. Ich hatte nicht einmal eine konkrete Idee, wusste nur, dass ich langsamer sein und mehr Space haben wollte. In dieser Zeit hörte ich viel Mark Hollis, leise, entspannte Musik, die sich unendlich viel Zeit lässt. Als ich mir dessen bewusst wurde, konkretisierte sich der Sound der neuen Platte. Mein Freund Leroy Bach [ehemals Wilco; Anm.] half mir als Produzent. Da war also immer eine Stimme außerhalb meiner selbst, die mich auf mein Gleis zurückstellte.“

Lesen Sie mehr im eclipsed Nr. 183 (September 2016).