SONGS FROM THE WOOD - Die Geschichte des Folkprog, Teil II

Die Anreicherung des Prog mit Folkelementen war speziell in den 70er-Jahren sehr beliebt. Wichtige Merkmale waren die Verwendung von folkloretypischen Instrumenten und alternativen Gitarrenstimmungen sowie Texte mit Bezug zur Natur oder zur Geschichte des Heimatlandes. Dennoch ist der Begriff „Folkprog“ schwammig. Tatsächlich lassen sich nur wenige Gruppen eindeutig in diesem Genre verorten, und das auch nicht unbedingt über einen längeren Zeitraum. Außerdem sind die Grenzen zum (progressiven) Folk beziehungsweise zum Psychedelic Folk fließend.

Die 60er-Jahre: Folk-Revival und (Progressive) Folk als Vorreiter des Folkprog

Das Geburtsjahr des Folkprog lässt sich schwer ermitteln, aber man darf annehmen, dass die 1967 erschienene LP „The 5000 Spirits Or The Layers Of The Onion“ von der Incredible String Band eines der ersten Folkprogalben war. Das Geburtsland des Folkprog steht hingegen fest: England. Hier waren die meisten Gruppen und Künstler beheimatet, die das Genre maßgeblich beeinflussten. Das US-Folkrevival (mit Pete Seeger und Joan Baez) scheint bei ihnen allerdings weniger Spuren hinterlassen zu haben als der Electric Folk von Bob Dylan oder den Byrds. Entscheidend war außerdem das britische Folkrevival mit Gitarristen wie John Renbourn, Bert Jansch, Davey Graham, Martin Carthy oder John Martyn. Diese experimentierten mit Alternative Tunings, ungewöhnlichen Taktarten und Weltmusikzutaten und beeinflussten damit auch den Psychedelic Pop und die progressive Folkszene. Zu Letzterer zählten Acts wie Fairport Convention und die Incredible String Band, außerdem Lindisfarne, Magna Carta, Pentangle, Spirogyra und Steeleye Span – Gruppen, die trotz innovativer Ideen gemeinhin nicht als Folkprog kategorisiert werden, die diesen aber sehr wohl befruchteten.

Die goldene Ära des Folkprog (70er-Jahre)

Wenn es eine Hochphase des Folkprog gab, dann in den 70er-Jahren. Damals profitierten die britischen Bands von zwei Dingen: vom öffentlichen Interesse an Mittelalter- und Renaissancemusik wie von der Unterstützung der Plattenfirmen (vor allem Island, Polydor, Transatlantic und Elektra). Jethro Tull machten nie einen Hehl aus ihrer Folkaffinität und intensivierten diese auf „Benefit“, „Aqualung“ und „Thick As A Brick“. Von 1977 bis 1979 trieben sie mit ihrer Folkprogtrilogie („Songs From The Wood“, „Heavy Horses“, „Stormwatch“) die musikalischen Möglichkeiten des Genres auf die Spitze. Nicht minder wichtig war Mike Oldfield, der mit „Hergest Ridge“ (1974) und „Ommadawn“ (1975) zwei eigenständige Folkprogklassiker schuf, auf denen er eine mystisch verklärte Atmosphäre zauberte. Die Liebe zur Folklore ist auch bei Renaissance spürbar, besonders auf „Ashes Are Burning“ (1973), „Turn Of The Cards“ (1974) und „Scheherazade And Other Stories“ (1975). Eher Kultstatus haben dagegen Amazing Blondel, die laut eigener Aussage „pseudo-elisabethanische klassische/akustische Musik“ spielten und mit dem Titelsong der LP „Fantasia Lindum“ (1971) die erste Folkprogsuite schufen. Etwas zupackender klangen die Strawbs, die sich zwischen Folk, Rock und sinfonischem Prog bewegten und mittlerweile im 53. Karrierejahr sind. Anspieltipp: das fantasievolle Konzeptalbum „Grave New World“ (1972). Und was wäre der Folkprog ohne die Londoner Band Gryphon, die von Mittelalter- und Renaissancemusik beeinflusst war? Ihre LP „Red Queen To Gryphon Three“ (1974) ist kompositorisch auf demselben Level wie die besten Gentle-Giant-Platten. Ebenfalls sehr eigenständig waren Jade Warrior, die in ihre verträumte Klanglandschaften Psychedelic- und World-Music-Einflüsse verarbeiteten, sowie Roy Harper, der mit „Stormcock“ (1971) und „Lifemask“ (1973) faszinierende Platten aufnahm.

Lest mehr im eclipsed Nr. 192 (07/08-2017).