STEVEN WILSON - Das Popintermezzo

15. September 2017

Steven Wilson

Sein Privatleben hält er unter Verschluss, schon seit Jahren. Denn sein Zuhause, so betont Steven Wilson bei Tee mit Sojamilch, sei ein Refugium. Dennoch hat er eclipsed hierhin eingeladen. An einen Ort, an dem er abschalten, aber auch in aller Ruhe arbeiten könne. Was auf dem Anwesen, vierzig Autominuten nördlich von Heathrow, auch kein Problem sein sollte: einem kernsanierten Bauernhaus aus dem 16. Jahrhundert, mit einem riesigen Garten, um den sich seine japanische Freundin kümmert, einem Pavillon und einem Wintergarten mit Panoramablick ins Grüne.

Ganz klar die Schokoladenseite von Hemel Hemptstead, einer sogenannten New Town, nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Boden gestampfte Ansiedlungen, an denen die Opfer deutscher Bombenangriffe aus dem nahegelegenen London eine neue Bleibe fanden. Die Hauptattraktion von Hemel Hempstead ist heute ein monströser Aldi-Markt. Der „Telegraph“ spricht nicht umsonst von „der hässlichsten Stadt des UK“. Doch Wilson, der hier aufgewachsen ist, sieht das ganz anders.

eclipsed: Was hält dich an diesem Ort, der nicht gerade den besten Ruf genießt?

Steven Wilson: (lacht) Meine 86-Jährige Mutter lebt hier, und ich bin 2008 zurückgekehrt, um mich besser um sie kümmern zu können. Klar, Hemel Hempstead ist nicht die schönste Stadt der Welt. Aber ich bin hier aufgewachsen. Das sind meine Wurzeln, und ich habe viele gute Erinnerungen an meine Kindheit. Außerdem bin ich in fünfundzwanzig Minuten in London, was sehr praktisch ist.

eclipsed: Warum ist es für dich nicht mehr genug, ein erfolgreicher Progmusiker zu sein? Warum der Vorstoß in die Welt des Pop, in den Mainstream?

Wilson: Zunächst einmal habe ich mich nie als Progrockkünstler bezeichnet. Das ist eine Einstufung der Medien, mit der ich nie besonders glücklich war. Führ dir meinen Backkatalog vor Augen: In den letzten fünfundzwanzig Jahren habe ich etwa fünfzig bis sechzig Alben gemacht, und nur die Hälfte hat etwas mit Progressive Rock zu tun. Zehn bis fünfzehn gingen in Richtung Drone und elektronische Musik. Ich habe Popplatten gemacht und extreme Metalgeschichten. Außerdem akustische Alben. Aber meine bekanntesten sind ohne Frage die progressiv ausgerichteten. Ganz abgesehen davon, dass sie sich am besten verkauft haben. Ich selbst würde mich allerdings nie so einstufen. Und die Alben, die mir in meiner Karriere am meisten Spaß gemacht haben, waren diejenigen, die nicht ganz den Erwartungen meines Publikums entsprachen und als durchaus kontrovers erachtet wurden. „In Absentia“ zum Beispiel, das etlichen Fans zu metallisch war. Die haben sich von mir abgewandt, gleichzeitig habe ich neue hinzugewonnen. Und dieses Album dürfte denselben Effekt haben.

eclipsed: Empfindest du den Prog als Gefängnis?

Wilson: Es kann sehr frustrierend sein, auf eine Sache reduziert zu werden. Momentan versuche ich, über dieses Album zu reden und die Medien dafür zu interessieren. Doch dabei muss ich erkennen, dass es da unglaubliche Vorurteile gegen mich und die Musik gibt, mit der ich assoziiert werde. Wenn mein Label zum Beispiel den britischen „Telegraph“ anruft, ob sie dort nicht etwas über mich bringen wollen, heißt es: „Dieser Progrocktyp? Nein, über diese Musik bringen wir nichts.“ Das ist deprimierend. So werde ich wahrgenommen. Und wahrscheinlich ist mein Frust ähnlich gelagert wie der einiger Fans, wenn sie sich mit „To The Bone“ auseinandersetzen müssen. Ich mag die Tatsache, dass sich einige darüber aufregen. Es zeigt mir, dass ich das Richtige tue. Es zeigt, dass ich mich entwickle und verändere. Und man kann nicht verlangen, dass da jeder mitzieht.

Lest mehr im eclipsed Nr. 193 (09-2017).