Bands wie Kraftwerk, NEU!, Die Toten Hosen und Warlock werden heute mit den großen Exporten der Rheinmetropole in Verbindung gebracht. Die Hintergründe für den kometenhaften Aufstieg zum Zentrum der internationalen Musik- und Kunstszene liegen jedoch wie das nicht geborgene Rheingold im Schatten der großen Erfolge. Dass und wie gerade Düsseldorf aufgrund eines Übermaßes an subkulturellem Angebot in den 1970er Jahren zu einer der Wiegen der modernen Popkultur werden konnte, ist nach wie vor nicht ausreichend und abschließend erforscht. Ein Blick auf die Düsseldorfer Clubszene, Hotspots und Treffpunkte zeichnet nun aber zumindest ein Bild, das die Geschichte hautnah erleben lässt und die Zusammenhänge verständlich macht. Die Keimzelle all dessen lässt sich in Europas erster moderner Diskothek verorten, dem CREAMCHEESE im Herzen der Düsseldorfer Altstadt.
Als der Konzertveranstalter Chet Helms nach seiner London-Reise im Sommer 1967 auf einem Love-in in Los Angeles verkündete: „Es passiert überall“, könnte dies ein Schlüsselmoment zum Verständnis einer ganzen Generation gewesen sein. Was meinte Helms? Entgegen der heutigen verzerrten Wahrnehmung der 1960er Jahre waren hierzulande zunächst Beat und Underground die Schlagwörter, bevor sich die Psychedelic- und Krautrock-Szene entwickelte und man von der Hippie-Kultur sprach. Und was ist heute davon übrig geblieben? Mit Blick auf die inflationäre Benutzung dieser Begrifflichkeiten in den letzten Jahren ergibt sich ein Bild, das zur heutigen Darstellung nicht mehr passt. Aktuelle Begriffe wie „Heavy Psych“ gehen am ursprünglichen Spirit vorbei, entbehren einer klaren Logik und versinnbildlichen eher die in vielen Bereichen austauschbare Gemischtwaren-Lage, in der sich das Rockgeschäft heute befindet. Was jedoch verbirgt sich hinter diesen Begriffen, und warum ist ausgerechnet Düsseldorf eines der wichtigsten Zentren der internationalen Musik- und Kunstszene? Vielleicht scheiterten bis dato alle Versuche einer Erklärung am Umstand, dass diese von Experten verfasst wurden, die das Geschehen nicht direkt aus erster Hand erlebt hatten, und so liegt ein wesentlicher Teil der popkulturellen Geschichte Düsseldorfs nach wie vor buchstäblich im Untergrund verborgen. Das 1967 in Düsseldorf eröffnete CREAM-CHEESE steht hierbei stellvertretend für die gesamte Subkultur einer Stadt, die einerseits die Weltkultur beeinflusste, anderseits aber keinen entsprechenden Stellenwert im Narrativ hat.
Von der Gründerzeit zur Beatmusik
Beginnen wir unsere Spurensuche Mitte der 1960er Jahre. Das Düsseldorf des Nachkriegsdeutschlands ist eine aufblühende Büro- und Industriestadt zwischen glühenden Hochöfen und der Königsallee. Traditionen wie der rheinische Karneval werden in einer Stadt, die gern feiert, großgeschrieben. Schon seit der Gründerzeit bot die Stadt mit dem Apollo-Theater oder dem Arabischen Café eine Gastronomie mit innovativem Anspruch. Angeblich mit der längsten Theke der Welt gesegnet, war die Dichte an Kneipen nicht nur in der Düsseldorfer Altstadt sehr hoch. Beatmusik und Beatlemania beherrschten die Charts. Der Club 99 war das Beat-Zentrum der Stadt. Per Stechuhr wurde der Eintrittspreis mit 99 Pfennig plus ein Pfennig pro Minute berechnet. Es spielten Bands wie die Silver Strings, die den Ruf der „längsten Haare im Beat-Geschäft“ hatten. Schallplatten kauften die Teens im Music Shop, dessen Filiale die Kinks bereits Mitte der 1960er Jahre besuchten und der einen leicht anglophilen Touch der britisch besetzten Stadt am Rhein offenbarte, die per Reisebus nur sieben Stunden von London entfernt ist.
Nicht mit dem Reisebus, sondern mit dem Transatlantikflieger reisten 1966 ein paar Studenten der Kunstakademie in die USA und besuchten mit Andy Warhol seinen Club The Dom. Künstler Günther Uecker, der mit seinen Lichtinstallationen nach den Kriegsschrecken der von Bomben erhellten Nächte nun die Schönheit des Lichts in seinem Werk thematisierte, war begeistert und trug die Idee eines modernen Clubs im Stil der Psychedelic-Ära nach Düsseldorf. Die aufwendige Inneneinrichtung mit der 20 Meter langen Theke von Heinz Mack, einer Bühne als Tanzfläche, der TV-Installation von Nam June Paik und Lightshow-Projektoren verzögerte die Eröffnung, sodass der Londoner UFO Club im Jahr 1966 verdienterweise als Keimzelle der europäischen Gegenkultur und erster Außenposten der amerikanischen Hippie-Kultur gilt.