EUROPE - Interview mit John Norum

23. September 2015

Europe

eclipsed: Vor einigen Monaten erschien mit „War Of Kings“ ein Album, das allseits auf hervorragende bis euphorische Kritiken und begeisterte Fans stieß. Ist das nicht der Traum eines jeden Musikers?

John Norum: Oh, ja. Ich muss gar nicht typischerweise erklären, weshalb und warum „War Of Kings“ unser bestes Album ist. Das übernehmen nun schon die Presse und unsere Fans für uns. Bei so viel Lob muss man sich manchmal kneifen.

eclipsed: Ist es wirklich euer bestes Album, wie nicht nur das eclipsed-Magazin schrieb? Wie siehst du „War Of Kings“ mit einigen Monaten Abstand?

Norum: Ich finde, es ist das Album, auf dem Europe am nächsten dran sind an dem, was wir schon immer machen wollten. So, wie wir auf den letzten Alben klangen, habe ich es mir immer gewünscht, dass wir mal klingen würden. Ich denke, „War Of Kings“ ist der bisherige Endpunkt einer Entwicklung, die uns niemand zugetraut hätte. Und um ehrlich zu sein, bin ich total happy, dass wir uns als Band so sehr haben steigern können. Als wir Ende der Siebzigerjahre starteten, waren wir musikalisch noch nicht so versiert, um solche Alben aufzunehmen. Und bevor wir uns bis Mitte der Achtzigerjahre mit unseren beiden ersten Alben dem annähern konnten, was in unseren Köpfen war, da hat uns der Zeitgeist überrollt: Europe waren auf einmal mittendrin im Business der Teenie-Magazine und TV-Playback-Shows; wir waren nicht mehr die Band, die wir sein sollten und wollten. Das hat sich nach der 2003er-Reunion dann geändert, wir haben uns seit damals von Album zu Album fast kontinuierlich steigern können, was beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. Denn leider hast du als Musiker oft dein Pulver nach den ersten drei Alben verschossen. Aber wir sind in der glücklichen Lage, zuzulegen. Das macht sich auch live bemerkbar, wir müssen nicht nur mit Großtaten aus der Vergangenheit unser Programm gestalten. Wir schleppen halt „The Final Countdown“, „Rock The Night“ oder „Carrie“ und einige andere Songs mit und spielen ohne Schminke dann das, was wir und unsere Fans mögen. Wenn ich ehrlich bin, kann ich es gar nicht erwarten, dass es wieder auf Tournee geht. Jede neue Europe-Tour bereitet mir noch mehr Freude.

eclipsed: Rückblende: Auf dem Höhepunkt der „Final Countdown“-Hysterie bist du ausgestiegen …

Norum: Damals ging es nur noch um das äußere Erscheinungsbild und nicht mehr um die Musik. Ich habe es gehasst, so sehr, dass ich ausgestiegen bin. Was für eine Farce, da bist du mit deinen Kumpels zusammen, die alle dieselben Bands lieben wie du, und anstatt über diese Musik zu reden, schminkst du dich und toupierst dir die Haare, um in irgendeinem Teenie-Magazin nett auszusehen. Ich fühlte mich nach dem Erfolg von „The Final Countdown“, als wäre ich bei den New Kids On The Block. Aber ich wollte Musiker sein, mich als Gitarrist und Songschreiber entwickeln. Ich erinnere mich noch an eine TV-Show, in Spanien oder Frankreich. Da saß ich in der Garderobe und wusste echt nicht, warum ich das alles noch mitmachte. Und da habe ich entschieden – bis hierher und nicht weiter!

eclipsed: Wenn du von der Musik redest, die für dich und Europe wichtig war in den Anfängen, dann meinst du damit ...?

Norum: Dass ich ein wahnsinniger Gary-Moore-Fan bin, brauche ich wohl niemandem mehr auf die Nase zu binden. Aber daneben habe ich noch reichlich Thin Lizzy, Frank Marino und Michael Schenker zu UFO-Zeiten inhaliert. Mein absolutes Lieblingsalbum allerdings ist und bleibt „Tokyo Tapes“ von den Scorpions. Uli Roth spielt darauf göttlich.

eclipsed: Das klingt, als hätte sich dein Musikgeschmack seit den Siebzigerjahren nicht verändert?

NORUM: Das, was man heute Classic Rock oder klassischen Hardrock nennt, das ist und war immer mein Ding. Im Laufe der Jahre hat sich der Schwerpunkt immer mal wieder in Richtung Bluesrock verschoben. Aber Schenker, Thin Lizzy oder Uli Roth gehen immer. Neuere Bands, die sich auf dieser Basis bewegen, mag ich ebenfalls.

eclipsed: Nochmals zurück zu „War Of Kings“. Ihr hattet mit dem vorletzten Album „Bag Of Bones“ (2012) schon ein großartiges Werk vorgelegt. Worin besteht für dich der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Alben?

Norum: „Bag Of Bones“ war eine tolle Erfahrung. Das Album haben wir mit Kevin Shirley (u.a. Joe Bonamassa, Iron Maiden, Mr. Big – Anm.) aufgenommen, und wir wollten es so live wie möglich einspielen. Das haben wir dann im Grunde genommen auch getan, aber Kevin ist ein Perfektionist, der lässt dich dein Zeug als Band zwar an einem Stück einspielen, aber bis es so weit ist, muss alles stimmen – technisch gesehen. Nichts gegen Kevin und „Bag Of Bones“. Ich kann mir gut vorstellen, nochmals mit ihm was aufzunehmen, aber der Unterschied zu Dave (Cobb, „Rival Sons“- und „War Of Kings“-Produzent – Anm.) besteht darin, dass er einfach ein ganz anderer Typ ist. Auch er hat uns in einem Raum zusammengebracht und uns als komplette Band aufgenommen. Aber Dave ist ein Hippie. Der sorgt dafür, dass alle gut drauf sind, und er bringt dich dazu, Dinge auszuprobieren, an die du vorher noch nicht gedacht hast. In diesem Sinne ist „Bag Of Bones“ die bestmögliche Umsetzung unserer Ideen und auch die bestmögliche Auswahl unserer Song-Ideen des Jahres 2012. Aber Dave hat uns noch mehr herausgefordert. Und er hat derart noch mehr aus uns und unseren Songs herausgeholt. Ohne unsere musikalischen Fähigkeiten und unsere Songs hätte das Album nicht so gut sein können, aber Dave hat wahrscheinlich den gewissen Unterschied ausgemacht.

eclipsed: Was ist der Unterschied, wenn ihr nun auf Tour seid – im Gegensatz zur ersten Europe-Phase?

Norum: Das ist komplett anders. Vor allem relaxter und ohne diesen ganzen Hype.

eclipsed: Joey (Tempest, Sänger von Europe – Anm.) hat mir erzählt, dass Europe früher die totale Party-Band war. Also Highlife und Drogen, das erschüttert unser Weltbild?

Norum: Wir waren nie die Drogen-Band, aber Parties mit reichlich Alkohol gab es in den Achtzigern jeden Abend. Da bekomme ich jetzt noch Kopfschmerzen. Ich hatte über Monate jeden Tag einen Kater. Da kannst du gar keine gute Konzertleistung abliefern.

eclipsed: Oder musst dann doch Drogen nehmen?

Norum: Damit du nicht merkst, wie schlecht du eigentlich spielst. (lacht). Nein, das ist nie unser Ding gewesen.

eclipsed: Und wie ist es heute auf Tour?

Norum: Wie leben nun auch nicht abstinent, aber zugeschlagen wird nur noch, wenn wir einen Day-off danach haben.

eclipsed: Ein immerwährendes Thema ist „The Final Countdown“. Es gibt Classic-Rock-Fans, die den Song so sehr verabscheuen, dass sie sich die letzten guten Europe-Alben gar nicht erst angehört haben. Kannst du das nachvollziehen?

Norum: Ich denke, dass uns der Song eher genützt als geschadet hat – und ich bin trotzdem der Erste, der zugibt, dass die Studio-Version des Songs sich sehr „cheesy“ anhört. So war das in den Achtzigern, da wurde ein Song soundtechnisch zugekleistert. Aber wenn diese Leute, von denen du sprichst, den Song heute von uns live gespielt hören, werden sie merken, was für ein guter Titel das ist. Er ist groovy, und wir spielen ihn um einiges härter als auf dem Originalalbum. Als wir mit Europe 2003 wieder anfingen, war es übrigens auch „The Final Countdown“, der die Promoter dazu brachte, uns für Konzerte zu buchen. So war der Song einerseits der Anfang vom Ende für Europe in der ersten Phase, aber später auch unser Startkapital.

eclipsed: Was ist dein persönlicher Europe-Lieblingssong?

Norum: „Last Look At Eden“ (Titeltrack des 2009er-Albums – Anm.). An dem Song kann ich mich gar nicht satthören.

eclipsed: Da spielst du auch ein besonders gutes Solo.

Norum: Ich kann es nicht genau erklären, weshalb ich den Song so sehr mag. Er ist catchy und dennoch heavy und für mich ein zeitloser Klassiker. Eben unser bester Song.

eclipsed: Als Europäer warst du einige Jahre in Kalifornien …

Norum: Ich lebe nun mit meiner neuen Frau Camilla (Wåhlander – Anm.) und den Kindern in Stockholm. Und auch wenn ich die Sonne Kaliforniens gemocht habe, so fühle ich mich hier doch viel mehr zu Hause als irgendwo sonst auf der Welt.

eclipsed: Der Tod deiner Ex-Frau Michelle (Meldrum-Norum, Gitarristin u.a. der Melodic-Metaller Phantom Blue – Anm.) im Jahr 2008 hat allerdings den Rückzug beschleunigt, oder?

Norum: Das ist schön, dass sich die Leute, die sie kannten, wenn auch nur flüchtig, so wie du, sich in positiver Weise an sie erinnern. Was für ein toller Mensch – was für ein Verlust.

eclipsed: Ihr teiltet die gleiche Vorliebe für Schenker und Uli Roth, nicht?

Norum: My soulmate. Den Rest erzähle ich, wenn der offizielle Teil des Interviews beendet ist.

eclipsed: Selbstverständlich. Nun sind alle Europäer wieder in Europa. Joey in London und der Rest in Schweden. Hat das den Zusammenhalt nochmals gestärkt?

Norum: Ja. Schweden und England sind auch die Länder, in denen wir am erfolgreichsten sind. Das passt.

eclipsed: Du hast neben Europe bei verschiedensten Alben mitgewirkt. Gibt es ein Projekt oder Album, das dir besonders wichtig war oder ist?

Norum: Ich mag bis heute „Up From The Ashes“ (1990er-Soloalbum von Don Dokken – Anm.). Vielleicht ist es nicht das beste Album, bei dem ich mitgewirkt habe, aber ich habe es in sehr guter Erinnerung. Außer mir spielt mit Mikkey Dee (Ex-King-Diamond- und jetziger Motörhead-Drummer – Anm.) ein weiterer Schwede mit.

eclipsed: Welches deiner Soloalben kannst du empfehlen?

Norum: „Face It Live“ (1997). Diese Live-Scheibe, die wir in Japan aufgenommen haben, finde ich immer noch sehr gelungen.

eclipsed: Dein letztes Album „Play Yard Blues“ erschien vor fünf Jahren. Ist da etwas Neues in Planung?

Norum: Ich bin dabei, einen Nachfolger zu produzieren. Aber ganz ohne Druck und Deadline. Ich bin schon ziemlich weit, und es wird eine Mischung aus Instrumentals und einigen gesungenen Songs. Das meiste wieder im harten Bluesrock-Stil von „Play Yard Blues“. Aber ich kann zurzeit noch nicht wirklich sagen, wann es fertig sein wird.

Interview: Michael Lorant

Europe: Diskografie (Studioalben)
1. Europe (1983)
2. Wings Of Tomorrow (1984)
3. The Final Countdown (1986)
4. Out Of This World (1988) – ohne John Norum
5. Prisoners In Paradise (1991) – ohne John Norum
6. Start From The Dark (2004)
7. Secret Society (2006)
8. Last Look At Eden (2009)
9. Bag Of Bones (2012)
10. War Of Kings (2015)

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