Gleich zwei große Alben von Jethro Tull hatten 2022 einen runden Geburtstag. Gar schon 50 Jahre alt geworden ist „Thick As A Brick“, das als erstes klassisches und zugleich bestes Prog- und Konzeptalbum der Band gilt: Mit einem einzigen, monumentalen, auf zwei LP-Seiten verteilten Stück brachten Ian Anderson und seine Band dem Prog-Genre, seinen Kritikern wie Fans die Flötentöne bei und amüsierten sich dabei köstlich auf Monty-Python-Art mit einer Story um das fiktive Wunderkind Gerald Bostock. Das gänzlich anders geartete „The Broadsword And The Beast“ war eine Dekade später das beste Werk, das die Band in den 80er-Jahren schuf. Spiritus Rector Ian Anderson gewährte uns exklusive Einblicke in die Hintergründe beider Alben.
1972 war ein besonders fruchtbares Jahr für den progressiven Rock. Alben wie „Close To The Edge“ von Yes und „Foxtrot“ von Genesis führten das Genre auf seinen Zenit. Auch Jethro Tulls „Thick As A Brick“, noch vor diesen Werken im März 1972 veröffentlicht und erstes Nummer-1-Album der Band in den USA, gehört unzweifelhaft in diese Reihe. Es war zudem ihr erstes reinrassiges Prog-Werk, das aufgrund seines persiflierenden Charakters eine Sonderstellung einnimmt. Wir würdigen das Ausnahmealbum dem Titel entsprechend mit neun speziellen Ziegelsteinen, die seine Konzeption und anhaltende Bedeutung erläutern.
Ziegelstein 1: Anstößiger Titel
Der Albumtitel ist bereits Teil des Konzepts: „Thick As A Brick“ (wortwörtlich „dick wie ein Ziegel“, wobei „thick“ auch „dicht“ oder „dumm“ bedeuten kann), der Titel eines Gedichtes eines gewissen Gerald Bostock, lässt sich etwa mit „dumm wie Bohnenstroh“ oder „saublöd“ übersetzen. Schon in dieser respektlosen Formulierung deutet sich der herrlich ironische Charakter des Werks an.
Ziegelstein 2: Geniale Konzeptalbumparodie
Ausgangspunkt des Albums war die aus Andersons Sicht zu selbstgefällige Attitüde und Überambitioniertheit von Prog-Bands wie Yes und ELP, der er etwas Ironisches entgegensetzen wollte: „Anfang der 70er waren Bands wie ELP ein bisschen zu sehr von sich überzeugt. Alles war zu ernst und aufgeblasen.“ Die Initialzündung bildete seine Irritation darüber, dass auch Tulls „Aqualung“ ein Jahr zuvor von Kritikern wie Publikum mit dem Stempel „Konzeptalbum“ versehen worden war, obwohl er selbst es lediglich als Sammlung von Songs mit einigen losen thematischen Zusammenhängen betrachtete. Daraufhin beschloss er, wenn die Leute schon so etwas wollten, etwas zu schreiben, das „wirklich die Mutter aller Konzeptalben“ sein würde. Ergebnis: ein rund 44-minütiges, auf zwei LP-Seiten verteiltes Stück, das die Konzeptformel des Prog – noch vor Veröffentlichung der Standards setzenden Longtracks „Close To The Edge“ und „Supper’s Ready“ (beide September 1972) – auf die Spitze trieb.
Ziegelstein 3: Persiflage nach Monty-Python-Art
Als großer Bewunderer des surrealen Humors der britischen Komikertruppe Monty Python inszenierte Anderson das komplexe Werk als aberwitzige Persiflage auf das Genre und die Musikkritiker in ihrem Stil: „Seit den frühesten Tagen gab es bei Tull immer etwas Humor. Daran gewöhnten sich die Leute vielleicht gleich am Anfang mit unserem allerersten Albumcover zu ‚This Was‘.“ Ironie des Schicksals war jedoch, dass die Parodie am Ende selbst als ganz großes Konzeptalbum galt. Ging der Schuss also nach hinten los? „Nicht wirklich, da es doch ein bisschen mehr Planung bereits bei der Fertigstellung des Albums und der Promotion gab. Natürlich war es ein eigenständiges Progressive-Rock-Album! Es hat Spaß gemacht, sogar noch eine Stufe weiterzugehen als Yes und die anderen frühen Prog-Bands.“