KURT VILE im Interview - B'lieve I'm Goin Down...

22. Oktober 2015

Kurt Vile

eclipsed: Deine neue Platte klingt wie eine musikalische Version von „Night Hawks“, dem Gemälde von Edward Hopper. Es hat so eine sinistre Stimmung.

Vile: Die Platte ist nicht anders entstanden als meine früheren Platten. Ich hatte eine Handvoll Songs, die ich aufnehmen wollte. Als ich ins Studio ging, war ich mit den Songs, die ich am besten vorbereitet hatte, zufrieden. Aber die besseren Songs waren jene, die ich einfach so nebenbei und zwischendurch schrieb, denn sie reflektierten jeweils einen bestimmten Moment. Das ist ein Charakteristikum dieser Platte. Vieles entschied sich tatsächlich erst in dem Moment, in dem wir es aufnahmen. Die Platte hat somit nach ihrer eigenen Form verlangt.

eclipsed: Auf dieser Platte gehört ja alles irgendwie zusammen. Sie hat eine ganzheitliche Form. Wenn man genauer hinhört, findet man aber viele sehr unterschiedliche Details. Es ist, als würden Otis Redding und Lou Reed eine Country-Platte mit Sonic Youth als Backing Band machen.

Vile: Das ist keine Konzept-Platte oder dergleichen. Ich hatte nichts vormeditiert. Ich mache nun schon so lange Musik, aber ich bin immer noch ein obsessiver Musikfan. Und ich bin Amerikaner, somit kann ich mich gar nicht dagegen wehren, dass all diese amerikanischen Elemente in meiner Musik auftauchen. Ich kann ja nicht meinen Wurzeln und Einflüssen entkommen. Anfangs sollte es schon irgendwie meine Version einer modernen Folk-Platte sein. Als ich aber mit den Aufnahmen begann, hatte ich dieses Konzept völlig vergessen.

eclipsed: Du bedienst gleichzeitig zwei Zeitzonen. Die CD ist stark an den sechziger und siebziger Jahren orientiert, aber sie ist auch total aktuell.

Vile: Ich liebe alte Musik und romantisiere diese Zeit, die ich nie erlebt habe. Ich mag die Idee, dass eine Platte alt und trotzdem nicht nostalgisch oder retro klingt.

eclipsed: Die Melodien und Klänge auf der CD sind wunderschön, aber du hast ja einen recht zynischen Umgang mit den Texten. Zum Beispiel, wie du Sam Cookes „What A Wonderful World“ einbaust ...

Vile: Schriftsteller beziehen sich stets auf andere Bücher. Ich bin mir bewusst, dass ich mich auf andere Musik beziehe. Alles ist irgendwo geborgt, nichts ist wirklich neu. Die Musiker der sechziger und siebziger Jahre haben sich auf die Blues- und Folk-Tradition bezogen. Meine Einflüsse gehen also noch viel weiter zurück. Aber ich kann nicht mit diesen Musikern konkurrieren, weil ich einen ganz anderen Background habe. Manch eine Hommage kommt ganz unbeabsichtigt zustande, aber wenn man es merkt, sollte man sich ihr nicht in den Weg stellen. Wie oft hat Neil Young sich auf Texte von Bob Dylan bezogen? Sein „Ambulance Blues“ klingt exakt wie „The Needle Of Death“ von Bert Jansch, und doch sind es zwei ganz unterschiedliche Songs. Dylans „Fourth Time Around“ kommt rüber wie „Norwegian Wood“ von den Beatles. Davor dürfen wir uns nicht fürchten, es gehört dazu. So kommt es eben auch zur Ähnlichkeit meines Songs „Dust Bunnies“ zu Sam Cookes „What A Wonderful World“.

eclipsed: Aber du beziehst dich ja auch auf deine eigene Sprache. Wie viel hast du von früheren Platten übernommen? Oder musst du dich eher davon entfernen.

Vile: Das funktioniert genauso wie mit fremden Songs. Unbewusst schleppt man immer etwas von früheren Platten mit. Aber ich versuche mich selbst nicht zu sehr zu recyclen. Das ist eine natürlich Evolution, die da stattfindet. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in deiner Laufbahn versuchst du immer besser zu werden. Dann bist du irgendwann lange genug dabei und versuchst vieles wieder loszuwerden. Ich kann ein paar Wochen aufhören zu spielen, und wenn ich dann wieder anfange, werde ich immer noch wie ich selbst klingen, ohne dafür etwas getan zu haben. Meine musikalische Persönlichkeit definiert sich ja nicht nur über meine Songs, sondern auch über mein Umfeld, die Familie und all diese Dinge.

eclipsed: Bei deinen Songs spielen ja nicht nur Text und Melodie eine Rolle, sondern immer auch die Stimmung, die cinematische Komponente. Wie bringst du dieses Element in die Songs?

Vile: Ich weiß nicht. Ich fühle es einfach. Aber ich bin mir nicht immer all der Elemente bewusst, die ich einem Song beigebe. Ich würde schon sehr gern mal einen Soundtrack machen, bei dem ich mich gerade auf diese cinematischen Elemente stütze. Ich würde einen meiner Songs gern in einem perfekten Moment in einem großen Film erleben.

eclipsed: Warum hast du die Platte an so vielen unterschiedlichen Orten in den USA aufgenommen?

Vile: Ich habe das auch schon auf früheren Platten gemacht. Man könnte es Methode nennen, aber eigentlich ist das eine Sache der Logistik. Ich will mit Musikern spielen, die an unterschiedlichen Orten leben. Die können nicht alle zu mir kommen, manchmal muss ich auch zu ihnen gehen. Also musste ich in Los Angeles, New York und Athens aufnehmen. Ich profitiere davon, weil ich ständig die Umgebung wechsle und stetig ein neues Verhältnis zu mir selbst und den Songs finde.

eclipsed: Kann man die Platte in diesem Sinne als Reisetagebuch betrachten?

Vile: Durchaus. Wenn ich die Songs höre, sind all diese zusätzlichen Erinnerungen involviert. Ich kann mich an jeden einzelnen Song selbst meiner allerersten selbstveröffentlichten Platten genau erinnern, unter welchen Umständen er aufgenommen wurde. Früher waren das die unterschiedlichen Zimmer meines Hauses, heute sind es Orte überall im Land.

eclipsed: Insofern brauchst du keinen Soundtrack mehr zu machen, sondern deine Songs verlangen nach den Bildern für das Road Movie, das sie ohnehin schon sind.

Vile: Ich würde schon gern einen Dokumentarfilm über uns machen. Wir haben ein paar Auftritte und eine Session in Joshua Tree gefilmt. Und es gibt Tonnen psychedelischer Aufnahmen, die noch unveröffentlicht sind. Die könnten der Soundtrack sein.

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