MOON LETTERS - Postkarte aus der Zukunft

7. November 2022

Moon Letters

MOON LETTERS - Postkarte aus der Zukunft

Seattle ist bekannt dafür, Ende der Achtziger den rauen Grunge mit Bands wie Pearl Jam oder Soundgarden geboren zu haben. Dass eine Progkapelle, die klar in der Tradition von Kansas, Yes und Spock’s Beard steht, ebenfalls an diesem Ort entstanden ist, mag zunächst verwundern. Sänger Michael Trew klärt nicht nur über Inhalt und Musik ihres zweiten Albums „Thank You From The Future“ auf, sondern auch über seine Sicht zur Zukunft, den schönen Bandnamen und das psychedelische Cover.

eclipsed: Wie ist die Band entstanden? Ihr kommt ja aus Seattle, der Heimat des Grunge. Eine Retro-Progband aus Seattle, wie (un)wahrscheinlich ist das?

Michael Trew: (lacht) Nun, jede Stadt hat doch ihre eigene kleine Musikgeschichte … Wir alle sind natürlich schon auch mit dem Rock der 90er Jahre aufgewachsen, und jeder hat da seine eigenen Favoriten. Es gibt zum Beispiel ein bisschen Prog in bestimmten Soundgarden-Stücken. In der Schule hatte ich zwei Freunde, die sich für klassischen Prog-Rock interessierten: einen Klaviervirtuosen und einen großartigen Jazz-Fusion-Bassisten. Beide gaben mir immer wieder Mixtapes von Yes und so. Mein Gehirn wusste erst einfach nicht, was ich damit anfangen sollte. Später fand ich online einen Typen, der einem sechs Stunden Genesis live auf VHS-Kassette schickte. Zwei der Bänder waren natürlich im PAL-Format (lacht). Nein, in Seattle gibt es längst eine blühende Art-Rock-Community. Egal, ob du dich beim Seaprog-Festival treffen oder bei einigen der einmaligen Gigs dabei sein willst, die von Jazz-Fusion über schwere Instrumentalmusik bis hin zu Kammerrock gehen. Und da wird man vielleicht auf einige andere großartige Leute stoßen. Ich denke, der Hauptfaktor für die Gründung der Moon Letters war aber, dass das die Art von Band war, in die jeder von uns 2016 einsteigen wollte.

eclipsed: Wie kam es zu diesem wunderschönen Bandnamen Moon Letters? Welche musikalischen Briefe verschickt ihr vom Mond?

Trew: Ich würde sagen, der Name ist die Grundidee von „unter der Oberfläche gibt es ein tieferes Unbekanntes“. Und ich meine das eher in der Art eines spirituellen Suchenden, nicht in einer Art Verschwörungstheorie. Der Name wurde auch von einem bestimmten, abgefahrenen 70er-Jahre-B-Movie inspiriert, so eine Art Version vom „Hobbit“, den ich als Kind endlos angeschaut habe. (der konkrete Filmtitel war Trew trotz mehrmaliger Nachfrage nicht zu entlocken – Anm. d. Verf.)

eclipsed: Apropos Albumtitel „Thank You From The Future“: Wofür möchtest du dich angesichts der bevorstehenden Umweltkatastrophe des Klimawandels, die ja unsere Generation verursacht, aus der Zukunft danken?

Trew: Ich möchte mir selbst dafür danken, dass ich, um in einer saubereren Welt zu leben, beigetragen habe. Das meiste davon kann ich im kleinen Rahmen mit alltäglichen Entscheidungen tun. Ich wünschte, ich könnte die Massen dazu bewegen, dasselbe zu tun. Es ist etwas, womit ich jeden Tag zu kämpfen habe.

eclipsed: Welche Inhalte haben denn eure Texte?

Trew: Sie berühren Themen, die wir alle durchleben. Als die Lockdowns 2020 zum ersten Mal stattfanden und Tiere begannen, wieder in städtische Gebiete und Wasserstraßen einzudringen, war das aufregend für mich. Die Texte der „Astral Projectionist“-Suite, die Album-Tracks 2 bis 4, wurden von den Romanen der „Space Trilogy“ von C.S. Lewis inspiriert (deutsch veröffentlicht als „Perelandra Trilogie“, entstanden 1938 bis 1945 – Anm. d. Verf.). Ich liebe die Vorstellungskraft, die erforderlich ist, um Science-Fiction in der Zeit vor der tatsächlichen Raumfahrt zu schreiben. Das Berührendste für mich war, dass die Hauptfigur sich schämte, den Menschen auf den anderen Planeten sagen zu müssen, wie dunkel der Charakter der Menschheit sein kann.

eclipsed: Das Cover ist beeindruckend. Sehr 50er/60er-Jahre nostalgisch und zugleich psychedelisch in der Farbgebung: eine Frau mit Kamera, gesetzt in Schwarzweiß wie aus den Sixties, inmitten eines farbigen Blumenmeeres, dahinter am Horizont der versinkende Saturn. Wer hatte diese Vision?

Trew: Dies war ein fertiges Stück des Künstlers Mariano Peccinetti, wir haben ihn nur gebeten, die Frau in schwarz und weiß abzubilden. Wir waren sehr daran interessiert, eine Art spacige, lineare Collagenkunst für das Cover zu verwenden. Ich finde es toll, dass es in Marianos Arbeit immer eine Wendung gibt. Da sind aber auch noch mehrere Kinder auf dem gesamten Bild (Vorder- und Rückseite des Albumcovers gehören zusammen – Anm. d. Verf.), deren Silhouette regenbogenartig abgebildet ist. Das Wichtigste scheint mir da zu sein, dass bei den Kindern unerwartete Phänomene passieren. Transportieren sie zu/von irgendwohin oder machen sie eine wundersame Transformation durch?

eclipsed: Eure Songs sind US-Retro-Prog im Stile von Kansas bis Spock’s Beard, aber auch Rick-Wakeman/Yes-Sounds kommen ins Spiel, mit starken Harmonie-Chören, für die Queen und ELO bekannt sind. Woher kommt dieser Sound-Mix?

Trew: Es gibt viel großartige Musik, die jedes Mitglied beisteuert. Wahrscheinlich ist es genau das, was mich schon anfangs zu all den Jungs hingezogen hat. Wir lieben große dynamische Veränderungen und musikalische Steigerungen, also passen alle Acts, die du aufgelistet hast. Ich würde sagen, Queen und Kansas, zusammen mit Rainbow und Van Halen, erklären unsere schwereren Wurzeln. Ich mag Queens chorischen Gesangssound, sowie einige der kunstvollen Verflechtungen von Simon & Garfunkel.

eclipsed: Wie würdest du die Unterschiede oder Fortschritte von eurem ersten Album hin zu „Thank You From The Future“ beschreiben?

Trew: Das erste Album war eher eine Konzeptarbeit, die wir durchgezogen haben. Eine Balance zwischen hübschem Stoff und düsterer Schwere, denn das passte zur Erzählung. Das neue Album wurde mehr von den verschiedenen Bandmitgliedern geschrieben, und wir hatten wirklich die Chance, unsere anspruchsvollere/experimentelle Seite zu nutzen. Es gibt immer noch Erzählungen, aber mehr von Song zu Song. Wir waren besser organisiert und jeder von uns war in der Herangehensweise an unsere Sounds und in der Performance gewachsen.

eclipsed: Wie sieht die Zukunft für die Moon Letters selbst aus? Irgendwelche Projekte in der Warteschleife?

Trew: Wir haben gerade Neues geschrieben und darüber gesprochen, welche Art von Album wir als nächstes machen könnten. Eventuell wollen wir  auch ein Musikvideo produzieren. Wir haben auch begonnen, mit einigen Plattenlabels über unsere Zukunft zu sprechen. Die zweite Band unseres Keyboarders John Smith Allday, Chaos And The Cosmos, plant zudem, ihr Debüt noch später in diesem Jahr zu veröffentlichen.

* * * Interview: Walter Sehrer