PINK FLOYD - „Meddle“: Ein Meilenstein wird 50

9. September 2021

Pink Floyd

PINK FLOYD - „Meddle“: Ein Meilenstein wird 50

Es war ein zähes Ringen um jeden Ton, eine frustrierende Suche nach einer Vision, einer zündenden Idee. Pink Floyd taten sich zunächst sehr schwer, als es darum ging, ein neues Album einzuspielen. Not macht erfinderisch, und so wagte die Band einen neuen Ansatz, doch bedurfte es dafür eines Aha-Effekts, eines erleuchtenden Augenblicks, der den Weg wies. Ende 1971, nach einem schier endlosen Aufnahmeprozess, wurde „Meddle“ schließlich veröffentlicht. Es zeigte Pink Floyd fokussiert wie nie zuvor. Die Band hatte zu sich selbst gefunden, war endgültig angekommen in den 70er-Jahren. „Meddle“ war buchstäblich ein Meilenstein auf dem Weg zu „The Dark Side Of The Moon“ und „Wish You Were Here“.

Kurz vor Schluss, am Ende von „Echoes“, das zugleich auch das Ende von „Meddle“ ist, während Drums, Keyboards, Bass und Gitarre sich langsam dem Fade-out beugen, kommt die akustische Täuschung: Der Ton – er wirkt wie gespensterhafte Stimmen – wird höher und höher. Pink Floyd bedienen sich hier einer sogenannten Shepard-Skala, erzeugt durch überlagerte, jeweils um eine Oktave nach oben verschobene Sinustöne, die das menschliche Ohr als bis ins Unendliche immer höher werdende Tonleiter wahrnimmt. Dieser Effekt und das berühmte nach einem Echolot klingende Piano, mit dem „Echoes“ 23 Minuten zuvor auch beginnt, beenden Pink Floyds sechstes Studioalbum.

Eigentlich waren die Voraussetzungen gut. Pink Floyds fünftes Album „Atom Heart Mother“ hatte unerwartet die Spitzenposition der UK-Charts erobert – die erste Nummer-1-Platzierung überhaupt für die Briten. Durch die Zusammenarbeit mit dem Avantgarde-Musiker Ron Geesin hatte die Band gelernt, mit Klängen und dem Equipment zu experimentieren. Die EMI hatte mit Pink Floyd einen neuen Vertrag gemacht, der zwar ihr Honorar ein wenig kürzte, der Band im Gegenzug aber unbegrenzten Zugang zu den Londoner Abbey Road Studios, den heiligen Hallen der Rock- und Popmusik, sicherte. Nick Mason erinnerte sich 2012: „Ich glaube, nur die Beatles hatten damals einen ähnlichen Deal. Es gab keinen Druck von der EMI, irgendetwas zu veröffentlichen.“

Eine Band auf der Suche nach sich selbst

Alles in bester Ordnung, sollte man meinen. Und doch: Pink Floyd tun sich Anfang 1971 schwer mit der Arbeit an neuem Material. Syd Barretts Ausstieg – oder Rauswurf, ganz wie man will – ist gerade mal drei Jahre her und wirft noch immer einen Schatten auf ihre Karriere. Zudem ist die Band trotz des kommerziellen Erfolges von „Atom Heart Mother“ in künstlerischer Hinsicht unzufrieden mit dem Werk. Die Maschine, die Nick Mason für das Cover von „Relics“ zeichnet, die im Mai 1971 veröffentlichte Zusammenstellung alter, bisher größtenteils noch auf keinem Album erschienener Songs, kann als unbeabsichtigtes bzw. unbewusstes Sinnbild für die Gruppe gesehen werden: ein dampfendes, pfeifendes, zischendes, rumpelndes, bizarres Etwas, das beinahe zufällig auch Musik erzeugt. Im Januar 1971, als sich Pink Floyd in den Abbey Road Studios einquartieren, ist die Band daher auf der Suche nach sich selbst.

Vielleicht waren Pink Floyd aber auch schlicht erschöpft. 1970 war ein umtriebiges Jahr gewesen: Zwischen Februar und Juli hatten David Gilmour und Rick Wright das zweite Syd-Barrett-Soloalbum produziert, eine nervenaufreibende Angelegenheit, da es sich als schwierig erwies, überhaupt Musik aus Barrett herauszukitzeln. Vor allem aber hatten die ebenso schwierigen Aufnahmen für „Atom Heart Mother“ und die ständigen Konzerte an den Kräften der Gruppe gezehrt. Aufnahmesessions und Liveauftritte hatten sich munter abgewechselt. Insgesamt 92 Konzerte im Jahr 1970 waren zwar keine übermäßig große Zahl: 1969 waren es ungefähr genauso viele gewesen, 1967 sogar doppelt so viele. Doch während Waters, Wright, Mason und Gilmour 1969 kein einziges Konzert in Nordamerika gegeben hatten, waren es 1970 allein 28 in den USA und damit zum ersten Mal mehr Auftritte in einem anderen Land als in Großbritannien (27). Reisestress und wiederholte Jetlags dürften auch an den damals noch recht jungen Musikern nicht spurlos vorübergegangen sein. Nicht auszuschließen also, dass Pink Floyd zum ersten Mal in ihrer noch jungen Karriere ausgebrannt waren. Nick Mason schreibt dazu in seinem Buch „Inside Out. A Personal History Of Pink Floyd“ (2004):„Obwohl wir diese Arbeitsbelastung selbst wollten, war uns wohl nicht bewusst, wie strapaziös all das war.“

Entsprechend zäh gestaltet sich der Beginn der Aufnahmesessions im Januar 1971 in der Abbey Road. Ohne Orientierung, ohne Ideen geht die Band ins Studio und weiß nicht, was sie tun soll. Heutzutage würde man so etwas wohl als klassischen Fall von völlig fehlgeschlagener Vorproduktion bezeichnen. Rick Wright drückte es 1972 so aus: „Eine Bluesband konnte loslegen und einfach Blues spielen. Aber wir tappten im Dunklen. Wir suchen immer nach dem, was wir eigentlich machen können.“ Nur eines steht offenbar von Anfang an fest: Nach den Solotrips auf „Ummagumma“ und den drei Einzelkompositionen von Waters, Wright und Gilmour auf „Atom Heart Mother“ soll das nächste Werk ein echtes Bandalbum werden. Gegenüber dem Magazin „Guitar World“ sagte Nick Mason im Jahr 2012: „Durch die Alben zuvor hatten wir gelernt, dass es besser war, wenn wir zusammenarbeiteten. Es gab keinen großen Plan, als wir mit ‚Meddle‘ begannen, außer dass es eine Gemeinschaftsarbeit werden sollte. Es gab kein Konzept. Ich glaube, wir hatten nicht einmal irgendwelche Ideen, als wir ins Studio gingen.“

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