Die deutsche Band um ihren Mastermind Florian Fricke wird zum Krautrock gezählt, doch Popol Vuh waren musikalisch stets ein Außenseiter unter den Außenseitern. Ab 1970 veröffentlichte die Band 30 Jahre lang bis zum Tod Frickes 2001 20 Alben. Fünf davon – „Affenstunde“ (1970), „Hosianna Mantra“ (1972), „Einsjäger & Siebenjäger“ (1975) sowie die Soundtracks zu den Werner Herzog-Filmen „Aguirre“ (1975) und „Nosferatu“ (1978) – werden nun einzeln auf CD in einer ersten Staffel (zwei weitere folgen im Herbst 2019 und im Frühjahr 2020) und in einer 5er LP-Box neu veröffentlicht.
Frank Fiedler, Gründungsmitglied und über all die Jahre musikalischer Bergleiter Frickes, ist nicht nur Musiker, sondern auch ein Filmschaffender, der als Kameramann, Drehbuchautor, Regisseur und Sounddesigner an diversen Filmen beteiligt war. Er hat nun auch die Neuauflage der Popol Vuh-Alben remastert.
eclipsed: Frank, wieso kommt es zu dieser neuen Vinyl-Box und zur Neuauflage der Popol Vuh-Alben auf CD?
Frank Fiedler: Das geht wohl hauptsächlich auf Johannes Fricke-Waldthausen, den Sohn von Florian Fricke, zurück. Ihm gehört die Edition Popol Vuh. Ich stehe häufig mit ihm in Korrespondenz. Ich überwache die Popol Vuh Archive. Darüber hinaus erfährt Florians Werk international doch recht viel Anerkennung, so dass ein Mediengigant wie BMG einige Mittel zur Verfügung stellte, dem heute wieder Geltung zu verschaffen. Ob es tatsächlich mit 50 Jahre Popol Vuh zu tun hat, kann ich nicht bestätigen.
eclipsed: Jetzt sind es fünf Alben. Warum gerade diese?
Fiedler: Die Box sollte die essentiellen Alben enthalten. Und das hier sind die Meisterstücke. Es wird aber noch mehr erscheinen. Es gibt ja noch ein paar Meisterstücke mehr.
eclipsed: Die LP-Box trägt ja auch den Namen „The Essential Album Collection Vol. 1“. Da deutet sich schon im Titel ein „Vol. 2“ an.
Fiedler: Ja, das wird vermutlich im Herbst erscheinen und voraussichtlich die sechs Alben „In Den Gärten Pharaos“, „Seligpreisung“, „Das Hohelied Salomos“, „Letzte Tage – Letzte Nächte“, „Brüder Des Schattens, Söhne Des Lichts“ und „Die Nacht Der Seele“ enthalten. Diese liegen schon aufbereitet vor.
eclipsed: Zusammen mit Guido Hieronymus, der in den 90er Jahren auch Mitglied bei Popol Vuh war, hast du die Alben neu remastert. Worauf hast du dabei geachtet.
Fiedler: Der wesentliche Unterschied ist, dass wir den analogen Klang vor allem der siebziger Jahre auf ein digitales Niveau gehoben haben. Die Technik ist ja doch ein gutes Stück vorangeschritten. Ich bin schon lange in diesem Geschäft. Wir wollten den Klang etwas breiter machen und mit mehr Dynamik versehen, aber den analogen Charakter nicht zerstören. Wir sind sehr vorsichtig und intuitiv vorgegangen und haben uns auf unser Gehör verlassen. Guido ist sowieso ein Meister der Klangmodule. Die Arbeit daran hat ungefähr ein halbes Jahr gedauert.
eclipsed: Stand eher die LP-Box im Vordergrund?
Fiedler: Eigentlich war die LP-Box zuerst eher unwichtig. Aber die Leute lieben mittlerweile wieder Vinyl. Die heutigen Schallplattenspieler können den Klang auch viel besser abgreifen. Deswegen machen die LPs auch Sinn. Außerdem sehen die Grafiken in dem größeren Format auch schöner aus und lassen sich aussagekräftiger gestalten.
eclipsed: Popol Vuh waren unter den Krautrocker immer irgendwie die Außenseiter, waren immer anders. Habt ihr euch damals zum Krautrock gehörig gefühlt?
Fiedler: Für uns hörte sich der Begriff schon damals immer furchtbar an. Wir sind ja noch vom Krieg mit seinen Begriffen „Tommies“ und „Krauts“ beeinflusst gewesen. Diese Begriffe mochten wir nicht und deswegen wollten wir auch nicht in die Schublade „Krautrock“ gesteckt werden. Aber wir hatten natürlich Kontakt zu anderen, wirklichen Krautrockbands, zu Amon Düül II, Tangerine Dream, Klaus Schulze, Gila. Mittlerweile ist der schauderhafte Begriff „Krautrock“ aber zu einem Markenzeichen und einem Gütesiegel geworden. Mit Popol Vuh wollten wir unseren Teil beisteuern zum damaligen Aufbruch, der Befreiung aus der Verklemmtheit unserer Elterngeneration. Florian hatte eine klassische Klavierausbildung bei renommierten Klavierlehrern wie Rudolf Hindemith, dem Bruder von Paul Hindemith, und Madame Picht-Achsenfeld. Er hat dadurch immer einen hohen Anspruch an sich selbst gehabt. Auch am Anfang, als wir den Moog-Synthesizer zum Leben erweckten.
eclipsed: Welches sind für dich die Highlights unter den Popol Vuh-Alben?
Fiedler: Das sind „Hosianna Mantra“ und „Seligpreisung“. Diese beiden sind bis ins i-Tüpfelchen durchkomponiert. „Kyrie“ von „Hosianna Mantra“ ist ja schon klassische Musik. Als ich mit Florian 1998 in Italien war, haben wir ein Konzert von Alice gesehen. Und sie hat tatsächlich „Kyrie“ gesungen. Florian hat es gefallen. Und ich habe ein Video davon gemacht. Kann man sich auf meinem Youtube-Kanal ansehen.
eclipsed: Als was siehst du Popol Vuh heute? Was ist das Vermächtnis der Band?
Fiedler: Popol Vuh ist eine Erhebung, etwas Erhellendes. Popol Vuh funktionieren nicht auf einer intellektuellen Ebene, sondern aus einem inneren Herzgefühl. Die Musik, auch wenn sie düster ist wie etwa bei „Nosferatu“, geht den Leuten nahe. Auch Kids, die wegwollen vom Bumbumbum, finden Gefallen an Popol Vuh. Solange sich die westliche Kulturlandschaft mit ihren Freiheiten so weiterentwickelt wie bisher, wird das Interesse an dem Projekt weiterbestehen.
eclipsed: Ihr habt auch auf der Chor-Orgel gespielt. Eine Einzelanfertigung, die Amon Düül II beispielsweise auf „Tanz Der Lemminge“ verwendet haben. Es gibt widersprüchliche Aussagen, was aus dem Instrument geworden ist. Die einen sagen, das Gerät steht in einem Museum, die anderen, dass es verschollen ist.
Fiedler: Oh, das war ein Wahnsinnsteil. Ich habe das Ding mit ins Laufen gebracht. Das war ein mechanisches Gerät mit, ich glaube, 88 Endlosbandschleifen, die alle analog abgetastet wurden. Jeder Bandloop hatte einen eigenen Tonkopf. Wo es abgeblieben ist, weiß ich auch nicht. Ich habe mal danach recherchiert, bin aber nicht fündig geworden. Das Gerät war schon bizarr vom Aussehen her. Zwei große Sperrholzkisten, mit dicken Kabeln verbunden, natürlich einem Keyboard und sehr laut allein durch seine Motorik.
eclipsed: Auf der Wikipedia-Seite über dich steht bei vielen späteren Popol Vuh-Alben „co-worker“ als Beteiligung. Was ist darunter zu verstehen?
Fiedler: Ich habe alles Mögliche gemacht. Eigentlich bin ich nie ein richtiger Musiker gewesen. Für Florian war ich wichtig als jemand, der mit ihm auf Augenhöhe über kulturhistorische Dinge diskutierten konnte, und selbstverständlich für den Austausch der musikalischen Inspiration. Als wir im Herbst 1969 mit dem Moog anfingen, konnte sich Florian durch meine Hilfe mehr auf das Kompositorische konzentrieren, während ich die Filterung gestaltete. Der Moog war ja nicht im heutigen Sinne programmierbar. Dynamische Veränderungen erzeugte man durch gefühlvolles Drehen der Knöpfe und mit dem Ribbon-Controller oberhalb des Keyboards.
eclipsed: Florian Fricke stand immer im Mittelpunkt. War das gerechtfertigt?
Fiedler: Auf jeden Fall. Florian war der Meister. Er hatte ein unglaubliches Musikwissen, er war ein kulturhistorisches Musikarchiv sondergleichen. Als ich später mal ein spezielles Musikstück von Mozart für einen meiner Filme wollte, nannte ich ihm das Stück und sofort setzte er sich ans Klavier und spielte es.
eclipsed: Er hat sich auch mit der Religion der Maya und dem Christentum auseinandergesetzt. Hast du diese Interessen geteilt?
Fiedler: Ja, da waren wir identisch in unserer Neugier. Wir haben nacheinander dieselben Bücher über diese Themen gelesen. Eine große Rolle spielte da der Buddhismus. Ich habe später dann einen Film über meine Auffassung zur buddhistischen Weltschau gemacht, und zwar über eines der Hauptmotive des tibetischen Buddhismus, dem Rad des Lebens, mit Kamerareise in den Himalaya. Der Buddhismus ist für mich mehr eine Philosophie als eine Religion. Er ist naturnäher und eine Art kosmischer Betrachtung. Buddhismus beschreibt vor allem das energetische Gefälle von Geist zu Materie. Schließlich hat auch die Hippiebewegung nach dieser höheren Naturnähe gesucht.
eclipsed: Wie hast du den Tod von Florian Fricke im Dezember 2001 erlebt?
Fiedler: Ich habe den Prozess mitbekommen. Er war Kettenraucher. Auf jeden Fall hatte er einen leichten Schlaganfall. Er kam in die Klinik, wo man ihm den Blutverdünner Marcumar verabreicht hat. Nach ein paar Tagen wurde er dann aus der Klinik entlassen. Zuhause ist er dann nachts durch die Nase verblutet.
eclipsed: Wie würdest du ihn charakterisieren?
Fiedler: Gar nicht so einfach. Ein ambivalenter, zuweilen auch schwieriger Mensch. Einerseits war er ein äußerster Perfektionist. Andererseits war er ein witziger Chaot. Er war schon ein lustiger Typ. Er hat gerne gekocht und für guten Wein gesorgt. Wir wohnten auf dem Land und damals gab es noch nicht an jeder Ecke einen Großmarkt. Doch er wusste immer, wo es guten Wein gab. Eine unverstelltere Welt als heute. Ich habe noch alte Filmaufnahmen, auf denen wir in einem alten VW-Bus die Salzburger-Autobahn entlangfahren. Und die Autobahn war leer. So sieht das heute nicht mehr aus.
eclipsed: Siehst du dich eher als Filmschaffenden oder als Musiker?
Fiedler: Ich mache da für mich keinen Unterschied. Ich beschäftige mich gern mit Musik. Ich habe gerade ein größeres Filmprojekt abgeschlossen. Ich nenne es eine Filmmoritat. Es heißt „Menschheitsbeschimpfung“. Es geht um das Aggressionspotential, das diese Welt dominiert, im Kontext zum Mann/Frau-Verhältnis. Und in diesem Film habe ich sehr viel eigene und auch mit Guido Hieronymus zusammen hergestellte Musik verwendet.
eclipsed: Hast du eigentlich auch mal Werner Herzog und Klaus Kinski kennengelernt?
Fiedler: Klaus Kinski nicht. Werner Herzog auch nur flüchtig. Ende der Neunziger habe ich zusammen mit Florian mal ein Film-Interview zu Florians Musik mit ihm gemacht.
*** Interview: Bernd Sievers