RIVERSIDE - Alles auf Anfang

25. Januar 2023

Riverside

RIVERSIDE - Alles auf Anfang

Das düstere „Wasteland“-Album vermittelte den Eindruck, man müsse sich ein wenig Sorgen um Riverside machen. Allzu melancholisch und zerrissen wirkte jenes Werk, das zwei Jahre nach dem plötzlichen Tod des Gitarristen Piotr Grudziński eingespielt worden war. Auf ihrem jüngsten Longplayer, der den vieldeutigen Titel „ID.Entity“ trägt, wirken die inzwischen wieder als Quartett agierenden Polen dagegen wie ausgewechselt. Die Songs klingen frisch, die Musiker spielen geradezu befreit auf, und die Texte von Frontmann Mariusz Duda sind ungewöhnlich angriffslustig geraten, wobei die Polarisierung der Gesellschaft ebenso thematisiert wird wie Internettracking und toxische Beziehungen.

Mariusz Duda hat es die Stimme verschlagen - weswegen der Riverside-Chefdenker den ursprünglichen anvisierten Interview-Termin um ein paar Tage verschieben muss. Als es dann soweit ist, präsentiert sich der 47-Jährige aber sehr gesprächsfreudig und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, dass er über die Corona-bedingte Zwangspause seiner Band nicht unglücklich war. Denn dadurch konnte er ein wenig Abstand gewinnen, um zu erkennen, dass es Zeit für einen Reset der Band war, der auf „ID.Entity“ überaus gelungen ist. 

eclipsed: „ID.Entity“ ist ein mehrdeutiger Titel, der nicht nur auf die „ID card“ (den Personalausweis), sondern auch auf das „id“ („Es“) aus Sigmund Freuds Schrift „Das Ich und das Es“ anspielt, die 100 Jahre vor eurem neuen Album erschien. Wie kamst du auf das Thema Identität? 

Mariusz Duda: Wenn ich ein neues Projekt starte, hat das immer drei Ebenen: Es soll dabei um mich gehen, aber auch um die Band und das, was gerade in der Welt passiert. Die Identitätskrise ist heute sehr wichtig, denn in Polen und vielen anderen Ländern sind die Menschen sehr polarisiert: Es gibt zwei Fraktionen, die sich anschreien, anstatt zu versuchen, ganz normal miteinander zu reden und einander zu verstehen. Außerdem wollten wir mit Riverside ein neues Kapitel aufschlagen: Es ist das erste Album mit unserem neuen Gitarristen Maciej Meller, und es ist für uns ein Neustart. [Bereits an „Wasteland“ hatte Meller als Gast mitgewirkt, Anm.]

eclipsed: Du hast dich diesmal dafür entschieden, die Live-power der Gruppe auch im Studio einzufangen. Wie haben deine Bandkollegen darauf reagiert?

Duda: Sie haben sich gefreut, denn sie hatten das Gefühl, dass wir endlich wieder eine Band waren. So hatten wir auch bei den ersten vier Alben gearbeitet, aber „Shrine Of New Generation Slaves“, „Love, Fear And The Time Machine“ und „Wasteland“ waren zum größten Teil meine Alben: Ich brachte die Songs mit, und mindestens 60 Prozent der Stücke wurden im Studio komponiert. Die anderen fühlten sich wie Sessionmusiker, weil das Ganze nicht Riverside, sondern eher die Mariusz-Duda-Band war. Daher wollte ich meinen Kollegen mehr Freiraum lassen, um das Album diesmal mit ihnen zusammen zu kreieren. Das hat aber nicht funktioniert (lacht), denn ich habe erneut den Großteil der Musik geschrieben. Allerdings haben wir die Songs gemeinsam im Proberaum arrangiert. Dieser Ansatz war sehr wichtig für unsere Identität. 

eclipsed: Ich finde, dass das Album wesentlich einheitlicher klingt als „Wasteland“. Wie siehst du das?

Duda: Auf den vorherigen Alben wollte ich die Schlagzeugparts eher einfach haben, was einigen Fans aber nicht gefiel. Deshalb wollte ich unserem Schlagzeuger Piotr Kozieradzki mehr Raum geben. Dafür brauchte es allerdings auch entsprechende Songs, nicht nur Balladen. Außerdem konnten wir bei den Keyboards mehr experimentieren. Maciej Meller war der Einzige, der mehr Zeit brauchte und auch erkennen musste, dass bei uns alles sehr kontrolliert ist. Er wusste das nicht und dachte, wir nähmen einfach ein paar Ideen auf, und dann würde Mariusz Duda kommen und sagen: „Nein, wir machen das so!“ (lächelt) Daher fragte er öfters: „Was soll ich spielen?“ Ich zeigte ihm dann gelegentlich ein paar Dinge, aber in Songs wie „The Place Where I Belong“ hört man seinen eigenen Stil. Auf dem nächsten Album hört man vielleicht noch mehr von Maciejs Identität. (lächelt)

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