Szenereport: ROCK UND PSYCHEDELIC AUS DER TÜRKEI

Szenereport: ROCK UND PSYCHEDELIC AUS DER TÜRKEI

Die Rockszene in der Türkei ist im deutschsprachigen Raum nahezu unbekannt. Dabei hat sich dort seit den späten Sechzigerjahren eine eigenständige Spielart zeitgenössischer Musik entwickelt, deren exotischer, ja, psychedelischer Charme gerade in dem Mix aus Traditionen und Moderne begründet liegt. Bir sevgili uğruna, Sen de benim gibi yanma arkadaş“, und später im Refrain: „O yaşlı gözlerine, o yalan sözlerine, Kanma arkadaş“ – diese Textzeilen haben viele gesungen. Der Hardrocker Ogün Sanlısoy etwa – sein Video wurde dafür bislang 1,5 Millionen Mal auf YouTube angeklickt. Ebenso Yıldız Tilbe, Türkin kurdischer Abstammung, die seit den 90ern 15 Alben veröffentlicht hat und auch mit drastischen antisemitischen Äußerungen aufgefallen ist (3,7 Mio. Klicks). Genauso Umut Kaya (2,2 Mio. Klicks) – sie alle coverten den Song „Anma Arkadaş“ von Erkin Koray.

Der 1941 geborene Koray ist einer der Pioniere der türkischen Rockmusik. Das Konzert am 29. Dezember 1957 mit seiner Schülerband an einem Istanbuler Gymnasium gilt als Geburtsstunde des türkischen Rock, seine 1967 veröffentlichte Single „Anma Arkadaş“ als erste psychedelische Veröffentlichung eines türkischen Musikers. Die eingängige Melodie und der exotische Klang der Bağlama (eine Langhalslaute, ähnlich der Saz und der Bouzouki) geben dem Song einen zeitlosen, fremdartigen Touch. Nachdem sein erstes Album von 1973 nur eine von ihm nicht autorisierte Zusammenstellung früher Singles war, ist der Nachfolger „Elektronik Türküler“ (deutsch: elektronische Lieder) bis heute einer der Höhepunkte von „Rock made in Turkey“. Koray: „Ich konnte Dinge erschaffen, die auf den Singles nicht möglich waren. Ich bin so weit wie möglich gegangen, um elektronische Elemente in unsere Volkslieder einzubringen, ohne deren Schönheit und Natürlichkeit zu schaden.“

Dies zeigt die zwei Eigenarten der türkischen Rockmusik: das Besinnen auf alte Folksongs sowie die Verbindung türkischer Folklore mit westlichen Stilmitteln und Klängen. So bleibt der exotische Charme erhalten und sorgt für das psychedelische Feeling. Auch Erkin Koray griff auf Traditionen zurück. Zu den Ahnen und Urahnen dieser Musik zählen Âşık Veysel und Neşet Ertaş. Veysel, der 1973 im selben kleinen Dorf in der zentralen Türkei starb, in dem er 79 Jahre zuvor geboren wurde, gilt als einer der berühmtesten Bağlama-Spieler, Sänger und Dichter Anatoliens. Kein Geringerer als Joe Satriani widmete Veysel 2008 auf seinem Album „Professor Satchafunkilus And The Musterion Of Rock“ die Stücke „Asik Vaysel“ und „Andalusia“. Auch Neşet Ertaş (1938-2012) ist als Bağlama-Spieler, Sänger und Dichter eine Legende in Anatolien. Er wird oft als der türkische Bob Dylan bzw. Leonard Cohen bezeichnet. Wie sein ebenfalls bekannter Vater Muharrem Ertaş zog er von Ort zu Ort und trug Volksweisen und eigene Gedichte vor.

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