TANGERINE DREAM - Im Raum-Zeit-Kontinuum

5. April 2022

Tangerine Dream

TANGERINE DREAM - Im Raum-Zeit-Kontinuum

„Zeit“ heißt ein legendäres Album der Elektronikpioniere aus dem Jahre 1972. Nun schließen Tangerine Dream in ihrer aktuellen Besetzung aus Thorsten Quaeschning, Hoshiko Yamane und Paul Frick mit dem neuen Werk „Raum“ thematisch daran an. Es ist nach dem Tod des Bandgründers Edgar Froese im Jahr 2015 das zweite Studiowerk mit neuem Material seit „Quantum Gate“ (2017). Im Zoom-Interview gaben Quaeschning und Frick Auskunft darüber, wo Tangerine Dream anno 2022 stehen.

Sie waren gemeinsam mit Kraftwerk in den 1970er-Jahren das Aushängeschild bahnbrechender teutonischer elektronischer Musik. Im Gegensatz zu den Kling-Klang-Robotern lief bei den Berlinern auch in den 80ern die Produktion nicht zuletzt dank zahlreicher Filmsoundtracks weiter auf Vollauslastung. In späteren Jahrzehnten verloren sie aber durch allzu viel zeitgeistige musikalische Überzuckerung ihr Alleinstellungsmerkmal. 2014 änderte Edgar Froese diesen Kurs und richtete Bandsound und Besetzung, zu der nun neben Thorsten Quaeschning und Geigerin Hoshiko Yamane auch Ulrich Schnauss gehörte, wieder klarer klassisch elektronisch aus. Diese neue „Quantum-Ära“ brachte seit 2017 auch eine Reihe von Livesession-Veröffentlichungen hervor. 

eclipsed: Es hat sich personell wieder einmal etwas bei euch getan: Paul Frick ist neues Bandmitglied.

Thorsten Quaeschning: Paul und ich kennen uns vom Studium der Kompositionslehre an der Hochschule der Künste Berlin her. Beim Elektro Beats Festival im November 2018 – „The Sessions VI“ – war er live als Gast dabei und ist nun seit Mitte 2020 festes Mitglied. Paul spielt oft kurze, stakkatoartige Töne und lässt dabei viel Raum für Improvisation, was im Bandgefüge toll funktioniert, weshalb wir das neue Album auch mit ihm eingespielt haben.

Paul Frick: Ja, ich komme eher von der Polyrhythmik der Minimal Music und wachse bei TD gerade erst rein. Es ist ein ziemliches Wunder, dass ich nun bei dieser großen Band bin, und ich muss mich ab und zu zwicken. Ich war zuvor eher im Techno und House angesiedelt. Die Chemie zwischen Thorsten und mir ist einfach wunderbar, und ich darf tatsächlich schon viel mitreden. (lacht) Ich maße mir aber nicht an, eine neue ästhetische Richtung bei TD beizusteuern, da gibt es genug aus der Bandhistorie zu schöpfen und neu zu verknüpfen.

eclipsed: Sprechen wir über das neue Album. Warum hat es von „Quantum Gate“ bis „Raum“ fünf Jahre gedauert?

Quaeschning: Das war keine Absicht. Aber wir haben unendlich viel live gespielt und wollten nun diese Erfahrungen auch in das neue Album einbringen. Das ist zwar kein Session-Album, aber wir wollten unsere Art der musikalischen Interaktion auch im Studio umsetzen.

eclipsed: Es gibt zwei jeweils rund viertelstündige Longtracks: „Raum“, ein extrem rauschhaftes, für die Zeit zwischen den 70ern und 80ern typisches Stück, und das hypnotisch-meditative „In 256 Zeichen“, in dem auch Hoshiko hervorsticht. Damit bietet ihr viel Stoff für klassische TD-Hörer. Eine bewusste Entscheidung?

Quaeschning: Das hat sich so entwickelt. Bei „In 256 Zeichen“ hat Hoshiko mit ihrem Ambient-Streicherpart aktiv mitkomponiert. Dann hat Paul Rhythmisches dazuaddiert, und es wurde immer länger. Die Vinyl-Version von „Raum“ beginnt auch mit diesen knapp 20 Minuten, weil wir davon ausgehen, dass LP-Hörer mehr Muße haben. Auf die CD- und Digital-Käufer nehmen wir mit dem viel kürzeren, loungigen „Continuum“ als Opener etwas Rücksicht, durch den sie langsamer reinkommen können. Mit dem Titel- und Longtrack „Raum“ enden aber sowohl Vinyl- als auch CD-Version.

Frick: Ich empfinde es als großartiges und dankbares Erbe von TD, dass es diese langen Stücke immer gab. Das trägt einen einfach weiter. Ich muss da immer an eine Gustav-Mahler-Sinfonie denken – was die mit mir macht. Das steht so diesem aktuellen Schnell-schnell-Spotify-Hören entgegen. 

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