TIM BOWNESS - elf filmische Kurzgeschichten

20. März 2019

Tim Bowness

TIM BOWNESS - elf filmische Kurzgeschichten

Er muss lachen, wenn man ihn auf die für ihn typische Melancholie anspricht und außerdem: „Ich mag nicht gerne reden. Ich mochte es noch nie. Im Schreiben bin ich viel besser. Wenn du möchtest, beantworte ich deine Fragen auch gern per Email“, gibt Tim Bowness gleich zu Beginn des Gespräches zu. Doch so einfach kommt er nicht davon. Schon gar nicht, wenn man den zurückhaltenden britischen Sänger schon mal am Telefon hat. Außerdem hat Bowness, der seit vielen Jahren und diversen Alben zusammen mit seinem musikalischen Partner Steven Wilson das Artpop/Artrock-Duo no-man bildet, einiges zu erzählen über sein neues Soloalbum „Flowers At The Scene“. Ein Album, das den für ihn typischen Artpop mit – ja doch – melancholischen Songs bietet und für das er die Unterstützung einer illustren Schar musikalischer Gäste gewinnen konnte.

eclipsed: Dein letztes Album „Lost In The Ghost Light“ war ein Konzeptalbum. Jetzt sind es elf unabhängige Songs.

Tim Bowness: Ja, ich wollte bewusst Kurzgeschichten schaffen und kein zusammenhängendes Konzept. Jeder einzelne Song ist wie ein kleiner Film. Ich habe versucht, hinter Schlagzeilen zu blicken. Zum Beispiel las ich in einer Zeitung die Überschrift, dass ein Kind getötet wurde. Ich habe mir vorgestellt, was das für die Familie und die Freunde bedeutet.

eclipsed: Du hast mit Peter Hammill (Van Der Graaf Generator), Kevin Godley (10cc), Andy Partridge (XTC), Jim Matheos (Fates Warning) und Colin Edwin (Porcupine Tree) prominente Gäste dabei.

Bowness: Schon beim Schreiben der Stücke hatte ich klare Vorstellungen, wie was klingen sollte, welche Stimmen und Instrumente ich brauchte. Daraufhin habe ich die betreffenden Musiker einfach angesprochen. Als ich den Song „It’s The World“ schrieb, hatte ich gleich Peter Hammills Stimme im Kopf. Von Kevin Godley und 10cc war ich schon immer ein großer Fan. Meine allererste Single, die ich besessen habe, war eine 10cc-Single. Als ich noch ein Schuljunge war, waren Kate Bush, Peter Gabriel, Peter Hammill, Kevin Godley und David Bowie meine Lieblingssänger. Das ist schon ein tolles Gefühl, dass zwei von diesen fünf jetzt auf meinem Album sind. Bei Jim Matheos und Colin Edwin wusste ich genau, was ich von ihnen wollte und dass sie mich auch überraschen können. Es war interessant zu sehen, wie Jim, der sonst in einem härteren Umfeld agiert, in einem neuen Kontext klingt. Ich habe mir bei diesem Album auch den Luxus geleistet, mehrere Drummer und Bassisten dabei zu haben. So hatte ich von denselben Liedern verschiedene Versionen und konnte mir die besten aussuchen.

eclipsed: „I Go Deeper“ und Borderline“ wurden als Videosingles ausgekoppelt. Warum diese beiden Songs?

Bowness: Das sind nicht unbedingt die herausragenden Showcase-Songs. Aber es gab sofort einen Konsens mit dem Plattenlabel, welche Songs wir auswählen sollten. Es hätten auch fünf oder sechs andere sein können. Auch wenn es elf selbständige Songs geworden sind, so ist es doch nicht nur eine Sammlung von Liedern geworden.

eclipsed: Du hast verlauten lassen, dass „Flowers At The Scene“ ein Neubeginn für dich sei.

Bowness: All meine Alben – egal ob solo oder mit no-man – hingen bislang irgendwie zusammen. Jedes Album war in gewisser Weise eine Antwort oder Reaktion auf den Vorgänger. Ohne die Vorgänger wäre kein Album so geworden, wie es geworden ist. Das letzte Album „Lost In The Ghost Light“ ist für mich aber das Ende dieser Kette. „Flowers At The Scene“ erscheint für mich unabhängig davon. Vielleicht auch, weil ich jetzt komplett neue musikalische Partner habe.

eclipsed: Steve Kitch von The Pineapple Thief hat das Mastering übernommen. Steven Wilson den Mix. Und er ist auch neben dir und Brian Hulse für die Produktion verantwortlich. Es heißt „produced by no-man“.

Bowness: Steven war zunächst nur für den Mix eingeplant. Aber schon bald stellte sich raus, dass unsere Vorstellungen vom Sound des Albums sehr an no-man erinnern. Er kam auch schnell mit eigenen Ideen zur Struktur und zum Sound. Das kam dem no-man-Stil schon sehr nahe. Von daher ist die Produktion so etwas wie eine no-man-Produktion. Der Unterschied zu no-man ist, dass Steven meine Songs und Vorgaben nicht ergänzt, nicht überarbeitet hat, wie er es sonst bei no-man tut. Dennoch: Wir haben nebenbei während der Aufnahmen zu „Flowers At The Scene“ auch schon richtige no-man-Sessions gestartet und zusammen an Songs gearbeitet. Nachdem das Soloalbum fertig war, haben wir mit den no-man-Sessions weitergemacht.  Das soll auch noch weitergehen, wenn Steven im April mit seiner Solotour fertig ist. Ich kann mir also vorstellen, dass Ende 2019 oder in 2020 ein neues no-man-Album erscheinen könnte.

eclipsed: Dein Koproduzent und Keyboarder Brian Hulse war in den 80er Jahren – bevor es überhaupt no-man gab – zusammen mit Dir bei der Band Plenty, mit der du erst letztes Jahr – 30 Jahre nach eurer aktiven Zeit – das neu eingespielte Debüt „Hide“ veröffentlicht hast. Hatte das einen Einfluss?

Bowness: Nur insofern, dass ich nach so vielen Jahren wieder mit Brian zusammengearbeitet habe. Er hat mich zurückgebracht auf eine bestimmte Art des Singens und des Komponierens. Eine Art, die ich lange nicht mehr hatte. Damals, Ende der 80er Jahre, musste ich mich entscheiden: Gehe ich nach London und konzentriere mich auf no-man? Oder bleibe ich in Liverpool und mache mit Plenty weiter? Ich habe die Entscheidung für no-man nie bereut. Auch wenn Brian als Koproduzent und Keyboarder das neue Album mitgeprägt hat, ist es kein neues Plenty-Album. Denn ich allein habe die Richtung vorgegeben.

eclipsed: Das Album hat viele verschiedene Stimmungen. Harte Songs, weiche Songs, melancholische Songs, fröhliche Songs. In welcher Stimmung warst du?

Bowness: Ich war ziemlich positiv gestimmt. Ich fand es einfach interessant, was passiert und wie sich alles entwickelt. Ich hatte diesen neuen Ansatz und wollte alles dynamisch halten. Alles war frisch, auch wenn es mal traurige Lyrics sind.

eclipsed: Das Album besticht auch durch seine feinen Arrangements. Sind das Deine Ideen?

Bowness: Ja, das sind fast alles meine Ideen. Ich wusste eben genau, was ich haben wollte. Aber natürlich sind das alles gute Musiker, die auch Vorschläge gemacht haben. Zum Beispiel Ian Dixon, der australische Trompeter. Er hat die Trompete draußen im australischen Outback aufgenommen. An einem regnerischen Tag. Das ist dann auf „Rainmark“ gelandet.

eclipsed: Was kommt bei dir zuerst: die Lyrics oder die Musik?

Bowness: Im Allgemeinen habe ich erst die Musik und die Melodien. Danach kommen die Texte. Natürlich habe ich eine Sammlung von bislang ungebrauchten Lyrics oder ungebrauchten einzelnen Zeilen, aus denen ich mich auch mal später bediene, wenn es denn zur Musik passt. Ich sage immer: „Ein schlechter Song mit tollen Lyrics bleibt ein schlechter Song. Ein toller Song mit schlechten Lyrics ist ein toller Song.“

eclipsed: Egal ob es die typischen Tim Bowness-Lyrics gibt oder nicht, aber Zeilen wie „A journey too far, but not far enough“ und „My mouth is moving, but the voice isn’t mine” aus „I Go Deeper” sind doch wirklich typisch für dich, oder?

Bowness: Ja, ich denke diese Zeilen sind typisch für mich. Ich hoffe aber, dass der Begriff „typisch“ in diesem Zusammenhang positiv zu verstehen ist. Im Sinne von eigener Handschrift. Nicht im Sinne von Langeweile. Ich will ja nicht langweilig sein oder immer dasselbe machen. Ich möchte weiterhin überraschen.

eclipsed: Vor Jahren haben wir uns schon mal über deine Textzeile „Maybe there’s more to life than just writing songs. Maybe not” aus „My Revenge On Seattle” vom „Wild Opera”-Album unterhalten. Wie siehst du die Zeile heute?

Bowness: Damals, Mitte der 90er Jahre, war ich etwas gefrustet. Ich wollte, dass es mit no-man richtig vorangeht und ich habe gemerkt, dass für Steven Porcupine Tree immer wichtiger wurde und no-man quasi nur noch ein Seitenprojekt sein würde. Natürlich denke ich, dass Steven das damals alles richtiggemacht hat. Porcupine Tree sind eine fantastische Band. Zum Glück also hat er sich auf Porcupine Tree konzentriert. Aber für mich war das trotzdem damals nicht leicht. In dieser Phase ist diese Textzeile entstanden.

eclipsed: Deine Karriere dauert nun schon etwa 30 Jahre. Eine lange Zeit. Was waren die wichtigsten Schritte? Die Highlights? Die Lowlights?

Bowness: Ich denke eigentlich nicht in solchen Begriffen wie „Karriere“. Ich schaue einfach voraus und möchte, dass es weitergeht. Aber ein Tiefpunkt war gewiss die Phase, als wir mit no-man Ende der 90er, Anfang der 2000er keinen Plattenvertrag mehr hatten. Da wussten wir nicht wie es weitergeht. Aber genau aus dieser Phase heraus entstand dann ein Highlight: Mit „Returning Jesus“ und „Together We’re Stranger“ haben wir dann einen neuen Sound gefunden. So wollten wir klingen. „Together We’re Stranger“ ist mein Lieblingsalbum von no-man.

*** Interview: Bernd Sievers