MARK HOLLIS - Die Greta Garbo des Pop

21. Februar 2018

Mark Hollis Talk Talk

Die Geschichte der Band Talk Talk, die vor allem die Geschichte des Mark Hollis ist, gibt eine der ungewöhnlichsten Entwicklungen in der Rockmusik wieder. Gestartet Anfang der Achtzigerjahre als Synth-Pop-Act im Geiste der New Romantics, war das erste Album „The Party’s Over“ noch ein Kind seiner Zeit. Das nachfolgende „It’s My Life“ wurde in Deutschland zu einem Riesenerfolg; die Single „Such A Shame“ kletterte in den Charts bis auf Platz zwei. Die Songs waren eingängig, gleichzeitig aber auch eigenartig, anders. Da war etwa das verstörende Elefantentrompeten am Anfang von „Such A Shame“ oder der unorthodoxe – mal nuschelnde, mal hysterische – Gesang des Mark Hollis. Was, bitteschön, war das für eine Band?

Raum für Avantgardistisches

Einen Teil der Antwort erhielt das Publikum mit dem Folgealbum „The Colour Of Spring“. Hier waren die Stücke zwar noch als Popsongs zu erkennen, aber die Arrangements kippten plötzlich häufiger ins Avantgardistische. So setzt im Refrain des Openers „Happiness Is Easy“ ein atonaler Kinderchor ein. Das wahre Enigma kam jedoch in Gestalt des 88er Albums „Spirit Of Eden“: Die von siebzehn Instrumentalisten und einem Chor eingespielten sechs Stücke – wobei die ersten drei eigentlich eine Suite bilden – waren nicht mehr als Popmusik identifizierbar. Es dominierten abstrakte Klanggemälde, die von der avantgardistischen Musik eines Claude Debussy oder Erik Satie inspiriert waren und das Feld für nachfolgende Gruppen wie Radiohead bestellten. Die Kritiker jubelten, die Mainstreamhörer wandten sich ab. Die Plattenfirma zeigte wenig Verständnis für die neue Ausrichtung ihres einstigen Goldesels, die aus heutiger Sicht jedoch der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung war. Talk Talk wechselten das Label und verfeinerten ihren Sound auf dem drei Jahre später veröffentlichten Nachfolger „Laughing Stock“ noch. „Dann war alles erreicht, was ich mit der Band machen wollte“, so Hollis 1998. Konzerte hatten Talk Talk seit 1986 nicht mehr gespielt, da sie es für unmöglich hielten, die komplexen Klangkonstrukte ihrer letzten beiden Alben auf die Bühne zu bringen. „Allein der Versuch wäre krank gewesen“, so Hollis Jahre später.

Mit „Spirit Of Eden“ und „Laughing Stock“ galt Mark Hollis plötzlich als ein Ausnahmekünstler, als einer, der sich nicht um die Konventionen des Popgeschäfts scherte. Er hatte Grenzen überschritten und eine schwer zugängliche, aber gerade deswegen magische Kunst geschaffen: Songs, die trotz der Mitarbeit zahlreicher Musiker wie Kammermusik klingen.

Sieben Jahre nach seiner letzten Platte mit Talk Talk erschien Hollis’ selbstbetiteltes Soloalbum. Selten war der Einstieg in ein Popalbum passender: rund zwanzig Sekunden lang hört man erst mal – gar nichts. Erst dann schälen sich die ersten Töne des Openers „The Colour Of Spring“ heraus. Hollis hatte die mehrjährige Pause genutzt, um, nach eigenen Angaben, das Musikschreiben zu lernen und sich noch tiefer in seine Kompositionskunst zu stürzen. Erst spielte er mit dem Gedanken, die Platte als Talk-Talk-Arbeit herauszubringen (obwohl trotz vierzehn Mitmusikern kein anderes Mitglied beteiligt war), auch der Titel, „Mountains Of The Moon“, stand schon fest. Erst während des Mastering entschied sich Hollis dafür, den Bandnamen nicht zu verwenden.

Tatsächlich strahlen die acht akustisch eingespielten Tracks (nicht einmal Verstärker wurden verwendet) eine noch größere Zerbrechlichkeit aus als die Musik der Spätphase von Talk Talk. Das Album war noch schwerer zugänglich, noch fragmentarischer und zurückhaltender als „Laughing Stock“. Hinzukam, dass die gesungenen – oder besser: genuschelten – Worte kaum noch zu identifizieren waren. „Raum war schon immer wichtig für mich. Es ist besser, du spielst nur eine Note gut als zwei schlecht“, so Hollis 1998. „Das Wichtigste in Bezug auf die Entwicklung meiner Musik war, von der Elektronik wegzukommen und zu einer Natürlichkeit zurückzukehren.“

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