HELLO GOODBYE - Vor 60 Jahren: John Lennon trifft Paul McCartney

11. Juli 2017

The Beatles Beatles

Es ist Samstag, es ist heiß, und ganz Woolton ist auf den Beinen. Im kleinen Garten der St. Peter’s Church, zwischen Getränkestand und Barbecue, steht ein Pritschenwagen. Um viertel nach vier an jenem 7. Juli des Jahres 1957 klettern ein paar Halbwüchsige mit Gitarren auf die Ladefläche und legen los. Sie sind eine der vielen zu dieser Zeit in England aus dem Kraut schießenden Skifflebands, in diesem Fall sogar aus der direkten Nachbarschaft, und sie sind kaum besser oder schlechter als andere. Ihr Anführer, ein hemdsärmeliger Bursche mit Elvistolle und kariertem Hemd, hämmert auf seine Billigklampfe ein und gibt die üblichen Gassenhauer zum Besten: den uralten Folkkracher „Maggie Mae“, „Rock Island Line“ von Lonnie Donegan und „Come Go With Me“ von der US-Gruppe The Del-Vikings. Die Jungs nennen sich The Quarrymen, angelehnt an die Quarry Bank High School, die sie besuchen, und sie sind vom Organisationskomitee der Kirchweih dazu auserkoren worden, das Rahmenprogramm für eine Demonstration der Liverpooler Polizeihundestaffel zu bestreiten.

Man darf wohl annehmen, dass jener Nachmittag ohne Folgen geblieben wäre, hätte nicht – und das macht dieses Gartenfest zu einem Urknall der Popgeschichte – im Publikum ein dicklicher Junge, mehr Kind noch als Teenager, gestanden, der sich die Gruppe um den Sänger John Lennon sehr genau ansah. Später, als die Band ihren Auftritt beendet hat und ihre Ausrüstung in den Gemeindesaal schafft, wird dieser Junge in Begleitung seines Kumpels Ivan Vaughan ebenfalls den Saal betreten, sich Lennon vorstellen und ihm und seinen Mitstreitern demonstrieren, was er mit seinen gerade mal 15 Jahren draufhat – weit mehr als die staunenden Skifflefans, die ihn umringen. Paul McCartney wird sich Lennons Gitarre schnappen, sie umstimmen – was keiner der Umstehenden zuwege bringen könnte – und eine astreine Version von Eddie Cochrans „Twenty Flight Rock“ raushauen. Lennon wird abfällige Witze über den Kerl machen und doch schwer beeindruckt sein. Noch im Laufe des Tages wird er entscheiden, McCartney in seine Band zu holen. Später erklärte er dazu: „Mir schoss durch den Kopf, dass ich ihn nicht aus der Reihe tanzen lassen durfte, wenn ich ihn aufnahm. Aber er war gut, daher war er es wert.“

Die Symbiose

Interessant am Startschuss zur erfolgreichsten Arbeitsbeziehung in der Geschichte der modernen Popmusik ist die ganz spezielle Chemie, die sich bereits bei diesem ersten Treffen offenbart: Lennon ist der unumstrittene Boss der Quarrymen. Wenn er sich einen so über die Maßen talentierten und fähigeren Musiker, als er selbst es ist, in die Band holen würde, dann würde er, das wusste Lennon, diesen Status aufs Spiel setzen. Gleichzeitig aber spürt er, dass die Band durch McCartney besser, viel besser werden würde. Er entscheidet sich für das große Ganze. Und Paul McCartney, 18 Monate jünger als Lennon, in diesem Alter eine Ewigkeit, weiß, dass er mit seinen Fähigkeiten punkten kann, das Terrain des Anführers aber dem anderen überlassen muss. Dennoch ist er selbstbewusst genug, um das bald darauf überbrachte offizielle Angebot, bei den Quarrymen einzusteigen, zunächst nur zögerlich zu beantworten: Ja, gerne, aber erst einmal wolle er mit seiner Familie Urlaub machen, und nach den Ferien könne man ja mal sehen. Dem notorisch ungeduldigen Lennon wird die Antwort kaum gefallen haben.

Tatsächlich beginnen die beiden Jungs erst im Spätsommer 1957, gemeinsam aus den Quarrymen eine richtige Band zu formen. Dass ihre Beziehung eine symbiotische sein wird, muss ihnen sehr bald bewusst geworden sein. Die zwei Teenager hätten kaum unterschiedlicher sein können, und doch ergänzen sie sich perfekt. Lennon ist der unsichere Rüpel, McCartney der selbstsichere Diplomat, Lennon der Teddyboy, McCartney der Popfan; Lennon ist das Herz, McCartney das Hirn des Duos. Und doch haben sie jede Menge gemeinsam: Beide sind hochintelligent, beide haben, trotz ihrer vergleichsweise einfachen Herkunft, ein Faible für Sprache und Gedichte, beide lieben den Rock’n’Roll, und beide brauchen die Musik, um irgendwie mit ihren persönlichen Tragödien fertigzuwerden. Acht Monate vor dem Gartenfest in Woolton ist Pauls Mutter Mary an Brustkrebs gestorben, nur ein Jahr später, im Juli 1958 wird Johns Mutter Julia von einem Auto überfahren werden.

Nach der ersten Begegnung folgen fünf Jahre, in denen John und Paul zu Lennon/McCartney werden. Gemeinsame Nachmittage bei Paul in 20 Forthlin Road, wo sie immer wieder dieselben Platten anhören, mühsam nach den Akkorden suchen, Textzeilen in Schulhefte kritzeln und herumalbern; Hunderte von Auftritten mit den Quarrymen, später dann den Silver Beatles, denen das Silver bald abhandenkommt; endlose Nächte auf Provinzbühnen, in klapprigen Lieferwagen, auf verregneten Landstraßen. Flüchtige Mädchenbekanntschaften, Streitereien um die letzte Zigarette.

Nach und nach entsteht dabei ein Haufen Songs, die beide zusammen schreiben. Brüderlich teilen sie ihre besten Ideen, erspüren den Geist der Buddy-Holly-Songs, die sie so lieben, quälen sich, bis sie der Präzision des Harmoniegesangs der Everly Brothers beikommen, und klauben sich aus allen erreichbaren Ecken neue Akkorde und Tricks auf der Gitarre zusammen (auch wenn sie dafür mit dem Bus durch ganz Liverpool fahren müssen, um den einen Typen zu besuchen, von dem sie gehört haben, dass er weiß, wie man ein H-Dur mit großer Septime greifen kann).

Dann Hamburg, die Schmelze, in der die jungen Beatles, inzwischen ergänzt um den noch jüngeren George Harrison, den Hochbegabten Stu Sutcliffe und Pete Best, der noch nicht ahnt, was ihm blüht, zur musikalischen Weltmacht gegossen werden. Reeperbahn, Nutten, Preludin, Alkohol, Astrid und Klaus, Gretel und Alfons, „Mach Schau!“ – und die Musik. Acht Stunden pro Nacht, eight days a week...

Fünf Jahre nach dem Gartenfest: John und Paul sind „kleine Haie“, partners in crime, brothers in beat. Das Pflänzchen, dessen Samen in Woolton gelegt wurde, tritt nun in seine volle Blüte: Paul führt die Gruppe mit seiner Musikalität und seinem Charme als Performer. John und seine große Klappe sind der Boss, und mit seiner Rhythmusgitarre bildet Lennon das Rückgrat der Band. All die Buddy Hollys und Everlys und Vincents und wer da sonst noch glaubt, was zu melden zu haben, werden sie nun an die Wand schreiben.

Lest mehr im eclipsed Nr. 192 (07/08-2017).