BRAIN RECORDS - Die Kopfarbeiter des Krautrock

„Brain. Manche sitzen drauf – wir stehen drauf“, so lautet der Slogan, dick, groß, schwarz auf weiß oben auf der allerersten Printwerbung, die Brain Records im März 1972 geschaltet hat. „Jedes Album DM 22,- unverb. Richtpreis inkl. MWSt.“ steht unten links ganz klein. 22 DM für „Lonesome Crow“ der Scorpions, „Together“ von Jane, für Gomorrhas „I Turned To See Whose Voice It Was“, für „Neu!“ von Neu! und Spirogyras „St. Radigunds“. Die Cover dieser fünf Alben sind auf der Werbung abgebildet, es sind die ersten, die überhaupt bei Brain Records veröffentlicht wurden. Sie sind der Anfang einer vielleicht nicht kommerziellen, aber gewiss künstlerischen Erfolgsstory.

Auch wenn der US-Journalist Lester Bangs 1975 im Magazin „Creem“ fragte: „Wo geht der Rock hin?“, um selbst die Antwort zu geben: „Er wird gerade von den Deutschen und den Maschinen übernommen“, war in der Zeit, als das Unternehmen Brain existierte – von 1972 bis in die frühen Achtziger – der heutige Stellenwert des Labels im Speziellen und der Rockmusik Made in Germany im Allgemeinen noch nicht abzusehen. Heute, fünfundvierzig Jahre nach der Gründung, gilt Brain neben Ohr als das wichtigste Krautrocklabel.

Künstlerisch und ökonomisch wertvoll

Alles begann in Zeiten politischer, gesellschaftlicher und künstlerischer Umwälzungen, die sich seit Ende der Sechziger auch in der Musik vollzogen. Das Album als Kunstform hatte sich vor allem dank britischer Bands durchgesetzt. Progressive, avantgardistische, experimentelle Musik war nicht nur künstlerisch, sondern mittlerweile auch ökonomisch wertvoll. Kein Wunder also, dass in dieser Zeit große Plattenfirmen Unterlabels gründeten, um dieser neuen Musik eine Plattform zu bieten. EMI gründete 1969 Harvest, Philips startete im selben Jahr Vertigo. Zeitgleich legte die Deutsche Grammophon mit Kuckuck Schallplatten eine ähnliche Untersparte vor und bot die erste Bühne für progressive Musik. Out Of Focus, Ihre Kinder, Deuter, Eberhard Schoener veröffentlichten dort. Der deutsche Ableger der schwedischen Metronome Records startete ebenfalls 1969 das Unterlabel Ohr. Unter der Führung des Musikjournalisten Rolf-Ulrich Kaiser gab Ohr bis 1973 Alben von Tangerine Dream, Ash Ra Tempel, Klaus Schulze, Guru Guru, Floh de Cologne, Bernd Witthüser, Embryo, Birth Control und weiteren deutschen Quer-, Vor- und Neudenkern heraus.

Ohr ist zugleich die Keimzelle von Brain Records. Rolf-Ulrich Kaisers von Timothy Leary beeinflussten LSD-Experimente, sein herablassendes Auftreten sowie seine esoterischen Irrungen und Wirrungen führten zum Streit mit Medien, Musikern und Mitarbeitern. In der Folge trennten sich die beiden bislang für Ohr tätigen A&R-Manager Bruno Wendel und Günter Körber von Kaiser und gründeten – ebenfalls unter dem Dach der Metronome – 1972 in Hamburg Brain Records.

Kaiser selbst, der bereits 1971 das Label Pilz (im Vertrieb von BASF Musikproduktion) gestartet hatte und Alben von Popol Vuh, Hölderlin, Wallenstein und anderen herausbrachte, hatte mit der Plattenfirma Kosmische Kuriere ein weiteres Standbein. Aufnahmen von Klaus Schulze, Witthüser & Westrupp, Ash Ra Tempel und Wallenstein erschienen dort. Außerdem fügte Kaiser unverwendete und unautorisierte Aufnahmen jener Gruppen zusammen und veröffentlichte diese als Platten der sogenannten Cosmic Jokers. Kein Wunder, dass Klaus Schulze, Walter Westrupp, Bernd Witthüser, Ash Ra Tempels Manuel Göttsching und andere rechtliche Schritte gegen Kaiser einleiteten. 1975 erschien das letzte Album auf Kosmische Kuriere. Kaiser verschwand aus der Öffentlichkeit.

Lest mehr im eclipsed Nr. 189 (04-2017).