THE BEATLES - Das Weiße Album

18. Juni 2018

The Beatles

THE BEATLES - Das Weiße Album

1968 war ein Jahr des Umbruchs. Auch im Lager der berühmtesten Band von allen: Als die Beatles im Frühling mit der Arbeit am „Sgt. Pepper“-Nachfolger begannen, war kaum noch etwas wie zuvor – vor allem dies nicht: John, Paul, George & Ringo waren keine Gang mehr, sondern vier erwachsene junge Männer. Eine Tatsache, die „The Beatles“ jedoch nicht schaden sollte. Wir besehen uns im Folgenden Voraussetzungen, Wesenhaftigkeit und Folgen der Platte, die unter dem inoffiziellen Titel „Weißes Album“ berühmt geworden ist.

„Rückblickend würde ich sagen, dass dieser Abend der letzte war, an dem die Beatles fröhlich im Studio zusammenarbeiteten. Und nicht ganz zufällig war es auch die letzte Beatles-Session, an der weder Magic Alex noch Yoko Ono teilnahmen.“ Zwar streiten die Gelehrten bis heute, ob Yoko tatsächlich nicht dabei war, zweifellos aber ist hier die Rede vom 11. Februar 1968. Und der da aus dem Nähkästchen plaudert, war an jenem Sonntag dabei: Geoff Emerick, Toningenieur der Beatles seit den frühen Jahren, rechte Hand von Produzent George Martin und mithin ein verlässlicher Zeitzeuge in Fragen des Beatles-Binnenklimas (das Zitat entstammt seinem Buch „Here, There And Everywhere“).

An diesem Tag nehmen die Beatles in den EMI Studios in Londons Abbey Road einen neuen Lennon-Song auf, der den Titel „Hey Bulldog“ trägt und erst auf dem im Januar 1969 veröffentlichten Soundtrackalbum „Yellow Submarine“ erscheinen wird. Es ist die letzte Studiosession der Band vor einer längeren Pause, die alle vier Musiker im indischen Rishikesh verbringen werden. Dort wollen sie einen Kurs ihres Gurus Maharishi Mahesh Yogi zu Transzendentaler Meditation besuchen.

Als sie am 30. Mai wieder an der Abbey Road auftauchen und dort mit der Arbeit an einem neuen Album beginnen, sind sie, wie Emerick schreibt, „vollkommen andere Menschen“.

Magical Mystery Flop

Es muss also zwischendurch Gravierendes geschehen sein. Lässt man die überlieferten Zeugnisse aller Beteiligten Revue passieren, findet sich in Indien allerdings nicht ein einziges Ereignis, das einen solchen Wandel erklären könnte. Im Gegenteil, mehr oder weniger übereinstimmend beschreiben sämtliche Quellen die Zeit im Gurucamp von Rishikesh als harmonisch und entspannt. So berichtet George Harrisons damalige Frau Pattie Boyd in ihrer Autobiografie „Wonderful Tonight“: „George, John und Paul schrieben dort einige Songs, während Donovan ihnen Fingerpicking-Techniken auf der Gitarre beibrachte. Irgendeiner spielte immer, es gab Gespräche untereinander, es wurde gesungen, und immerzu war irgendwo irgendetwas los, man hockte viel zusammen.“

Zwar reisten Ringo und Ehefrau Maureen schon nach knapp zwei Wochen wieder ab, da sie Probleme mit den vielen Insekten hatte und ihm das vegetarische Essen nicht bekam, aber im Grunde waren alle Indienreisenden guter Dinge. Sie kamen dort sogar, wie Ian MacDonald in seinem Standardwerk „Revolution In The Head“ anmerkt, ohne Drogen aus, wenn man von gelegentlichen Joints absieht.

Die Gründe für den Wandel im Betriebsklima des vierköpfigen Pop-Miraculums vom Mersey liegen also tiefer. Und sie finden ihren Ursprung schon im Vorjahr, als die Band mit dem genialischen „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ ihren, wie manche meinen, künstlerischen Höhepunkt erlebte. Nachdem das Werk den Soundtrack zum viel beschworenen Summer of Love lieferte und die Singlehymne „All You Need Is Love“ diesem kurz darauf noch ein Sahnehäubchen draufsetzte, waren die Fab Four und das Hippie-Movement eins geworden – die Welt war Sgt. Pepper, und Sgt. Pepper war das Evangelium der Gegenkultur. So weit, so gut.

Zum ersten Mal in ihrer gemeinsamen Karriere aber geriet der Höhenflug der Fab Four in heftige Turbulenzen. Es begann mit dem 27. August 1967 und der Nachricht, dass sich ihr Manager Brian Epstein mit Schlaftabletten das Leben genommen hatte. Plötzlich war die Gruppe auf sich allein gestellt. Den nächsten Schlag ins Kontor brachte das Weihnachtsfest: Der ambitionierte „Magical Mystery Tour“-Film, den die BBC am zweiten Weihnachtstag ausstrahlte, fiel bei Kritik und Zuschauern durch. Die Beatles hatten das Ganze als einen launigen Experimentalfilm betrachtet – abseits des Bandcamps indes konnten die Menschen über den abgehobenen und wenig kohärenten Unsinn nicht wirklich lachen. Paul McCartney sah sich genötigt, dem Fernsehmoderator David Frost schon am nächsten Tag ein Interview zu geben, in dem er die künstlerischen Intentionen des Films erklärte und rechtfertigte.

Bis dahin waren die Beatles wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie sowieso nichts falsch machen konnten. Jetzt aber war genau das passiert. Wirklich jucken tat sie das aber nicht, und es ist kaum anzunehmen, dass die Band dadurch nachhaltig verunsichert wurde. Tief in ihrem kollektiven Unterbewusstsein freilich werden Lennon & Co. gespürt haben, dass sie den Bogen überspannt hatten und ihnen der Draht zu denen da draußen abhandengekommen war. Aber auch das störte kaum. John Lennon beispielsweise lehnte es ohnehin ab, als Beatle den Erwartungen des Publikums entsprechen zu müssen: „Ich glaube nicht, dass wir den Fans gegenüber irgendeine Verantwortung tragen. Wenn man zulässt, dass alles von den Fans diktiert wird, führt man sein Leben nur für andere Leute.“

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