MOTORPSYCHO & STÅLE STORLØKKEN - The Death Defying Unicorn

Kategorie: CD-Reviews | Genre: Prog, Psychedelic/Space Rock, Avantgarde | Heft: Jahrgang 2012, eclipsed Nr. 138 / 3-2012 | VÖ-Jahr: 2012 | Wertung: 9/10, Album des Monats | Label: Stickman | Autor: WK


Sinnloser Gigantismus führt meist ins Leere, denn er basiert allein auf durchschaubaren Effekten, die sich schnell abnutzen. Bei Gustav Mahlers 8. Sinfonie haben wir gelernt, dass Gigantismus auch ergreifend sein kann. Nun ist ergreifend vielleicht der falsche Begriff, um das neue Opus von Motorpsycho zu beschreiben, aber überwältigend ist es allemal. Nicht zuletzt, weil sich die Band viel von den großen Komponisten um 1900 abgeguckt hat. Für die drei Norweger spricht, dass sie ihre eigenen Grenzen sehr gut kennen. Um ein Statement auszuformulieren, das präzise mit allergrößten Formaten arbeitet, mussten sie einen Gleichgesinnten ins Boot holen, der sich auf diese Formate versteht. Sie fanden ihn in dem Keyboarder Ståle Storløkken, der zu Norwegens prominentesten Jazzmusikern gehört. Er zeichnet für die ausgefeilten Arrangements mit dem Trondheim Jazz Orchestra, den Trondheimsolistene und Stargeiger Ola Kvernberg verantwortlich. Gemeinsam greifen sie nach den Sternen. Die Musik wird immer größer und größer und größer. Und noch größer und noch größer und noch größer. Und es hört nicht auf. Doch niemals verliert die Band den erzählerischen Faden ihrer abstrusen Seemannsgeschichte. Das große Format ist hier kein Selbstzweck. Zu keinem Zeitpunkt ordnet sich die musikalische Logik dem Kader unter. Es ist umgekehrt, die Story definiert die Mittel. Motorpsycho und Storløkken gießen über dem Hörer ein Füllhorn an packenden Melodien und faszinierendem Klanggefunkel aus. Wir gehen mit den Seeleuten auf die Reise und bekommen die volle Wucht und Erbarmungslosigkeit des Meeres zu spüren. Wir fühlen die unergründliche Tiefe des Ozeans, ahnen tief unter der Oberfläche eine bizarre Formenvielfalt und werden der Schöpfung teilhaftig. Das Offensichtliche und das Schicksalhafte bauen hier ein ebenso antagonistisches wie kreatives Spannungsverhältnis auf. In jeder Form lauert bereits die Kreatur, die sie sprengt. Wo andere Bands sich in einem unüberschaubaren Apparat selbst lähmen würden, bleiben Motorpsycho wendig und geschmeidig. Ihre letzten beiden Alben, die auch nicht gerade klein angelegt waren, machen sich aus der Perspektive von „The Death Defying Unicorn“ wie Generalproben zum ganz großen Schlag aus. Diese 124 Minuten gehören zum Größten und Aufwändigsten, das die Rockgeschichte je hervorgebracht hat. Aber sie zeugen auch vom unfassbaren Können einer Band, die besser als irgendjemand sonst das zeitgenössische Bedürfnis nach einer organischen Fusion der größten Momente von Rock, Jazz und Klassik zum Ausdruck bringt.

Top-Track: Through The Veil

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