JETHRO TULL - Flötenzauber mit nordischen Göttern

4. April 2023

Jethro Tull Ian Anderson

JETHRO TULL - Flötenzauber mit nordischen Göttern

Der Meister der Flötentöne war Ian Anderson schon immer. Der in Schottland geborene höchst umtriebige Tull-Chef legte dann nach der Wiederaufnahme des großen Bandnamens Jethro Tull letztes Jahr mit „The Zealot Gene“ schnell nach. „RökFlöte“, der Titel des brandneuen Albums, könnte glatt als Motto für die gesamte Bandgeschichte herhalten, aber natürlich hat sich Anderson mit nordisch-heidnischer Mythologie und Polytheismus auch wieder ein großes Konzeptthema vorgenommen. 

Religion, Geschichte und kulturelle Herkunft beschäftigen Ian Anderson schon lange, dieses Mal steht die heidnische Götterwelt des Nordens im Fokus. Bereits das Meisterwerk „Aqualung“ (1971) befasste sich mit dem Status organisierter Religionen. In keltische Mythen und englische Traditionen tauchte er auf der Folkrock-Trilogie „Songs From The Wood“, „Heavy Horses“ und „Stormwatch“ ab (1977–79). Von Seefahrern, Wikingern und dem Überlebenskampf der Einwohner Schottlands gegen nordische Invasoren war auf „The Broadsword And The Beast“ (1982) die Rede. Auf dem Soloalbum „Homo Erraticus“ (2014) ließ er sich gar auf die Darstellung britischer Geschichte über einen Zeitraum von 8000 Jahren ein. Zuletzt kam er auf „The Zealot Gene“ (2022) wieder unmittelbar auf das Thema Religion zurück, wobei er moderne Populisten und Hetzer als biblische Eiferer kritisierte. 

eclipsed: Zwischen „The Zealot Gene“ und „RökFlöte“ liegt nur eine kurze Zeitspanne, so wie man es in den guten alten 70er Jahren machte. Und dann ist Letzteres gar wieder ein ausgewachsenes Konzeptalbum geworden. Ian, mein Gott, was ist passiert?

Ian Anderson: (lacht) Nach Möglichkeit arbeite ich in Jahreszyklen, immer gleich mit Beginn eines neuen Jahres. Im Januar 2021 hab ich „The Zealot Gene“ in die Gänge gebracht und im Januar 2022 „RökFlöte“. Bereits jetzt bin ich mit einem neuen Projekt gestartet, das im Oktober 2024 veröffentlicht werden soll. Schon klar, ich bin sehr beschäftigt, aber ich bin ja auch ein alter Kerl. Also lieber jetzt, wo ich noch alle kreative Energie habe.

eclipsed: Klär uns bitte über das Konzept und den Albumtitel auf. Ich weiß, du bist fasziniert von religiösen Überzeugungen. Was hat dich speziell zur Beschäftigung mit dem altnordischen Heidentum inspiriert?

Anderson: Ursprünglich wollte ich ein rein instrumentales Album über die Flöte als Rock-Instrument machen: „Rock-Flute“. Dann beschäftigte ich mich aber mit den nordischen Göttern, wollte mehr über ihre Rolle erfahren und wie das alles von den griechischen und römischen Götterwelten beeinflusst war, die bis nach Skandinavien hinaufgeschwappt sind. Im 11. Jahrhundert begann das Christentum schließlich, das Heidentum zu ersetzen. Über den Glauben an viele Götter hatte ich bisher noch nicht geschrieben, sondern nur über den christlichen Monotheismus. Fasziniert hat mich besonders die nordische Version eines Endzeit-Szenarios: Ragnarök, was „Schicksalsverlauf“ bedeutet. Das war’s! Also habe ich den Albumtitel darauf bezogen. „Rök“ kommt nun vom Nordischen, und „flute“ schreibt sich im Sinne der germanischen Ursprünge des Altnordischen jetzt auf Deutsch „Flöte“, mit Umlaut. Eine Schicksalsflöte, wenn du so willst. (lacht) 

eclipsed: Die Stücke mit gesprochenem Wort werden auf Isländisch von Unnur Birna Björnsdóttir aus Reykjavik interpretiert. Warum hast du diese Art von Songs gemacht, und wie bist du auf sie gekommen?

Anderson: Ich habe ja schon vor Jahren in Island gespielt, und ein Promoter schlug mir vor, mit lokalen Künstlern aufzutreten. Er brachte mich mit Unnur zusammen, einer Violinistin mit jazzigem Touch, die dann auch bei Tulls Rockoper-Auftritten dabei war. Als ich gesprochene Texte der altisländischen Lieder-Edda, passend zum nordischen Götter- und Ragnarök-Thema, vertonen wollte, war sie die offensichtliche Wahl.

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