EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN - Lament

Kategorie: CD-Reviews | Genre: Avantgarde | Heft: Jahrgang 2014, eclipsed Nr. 166 / 12-2014 | VÖ-Jahr: 2014 | Wertung: 8/10 | Label: BMG | Autor: WK


Wie warnte Rapper Ice-T anno 1993 so schön am Anfang seiner CD „Home Invasion“: „This is not a pop album“. Dasselbe trifft auf die neue CD der Einstürzenden Neubauten zu. Dies ist keine Pop- oder Rockplatte, sondern ein Konzeptwerk im Dreieck von Klangskulptur, Hörbuch und musikalischer Erinnerungsarbeit. Der Erste Weltkrieg ist sicher kein Thema, das man mal eben so aus der Hüfte schießt. Das gelingt nicht mal Blixa Bargeld, dessen Holster direkt hinter der Stirnplatte sitzt. „Lament“ ist selbst für die Verhältnisse der Einstürzenden Neubauten eine ungewöhnliche CD. Zum ersten Mal haben sich Bargeld und Konsorten nicht formal und strukturell an ein Thema herangearbeitet, sondern inhaltlich. Entsprechend heterogen ist diese Arbeit ausgefallen. Ähnlich den Plakaten von John Heartfield ist es eine Montage von Gegensätzen, die die volle Aufmerksamkeit des Hörers verlangt. Bargeld und seine Assistenten haben viele historische Quellen verarbeitet, teilweise auf originale Tondokumente der damaligen Zeit zurückgegriffen, teils Texte aus dem Ersten Weltkrieg neu montiert. Manches besitzt rein dokumentarischen Charakter, anderes nähert sich dem Thema aus einer sinnlichen Perspektive. Da ist für einen Zeitstrahl ebenso Platz wie für eine Improvisation auf der Stacheldrahtharfe. Dass das Ergebnis in seiner Gesamtheit niemals didaktisch oder moralisierend wirkt, ist vor allem dem Umstand zu danken, dass die Neubauten niemals den Humor aus den Augen verloren haben. Da sind viele kabarettistische Züge im Stil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts eingeflossen. Den emotionalen Höhepunkt bildet ein Stück jüngeren Datums, das sich aber thematisch auf den Krieg bezieht. Die nur von einer äußerst minimalistischen Bassgitarre und wenigen perkussiven Elementen untermalte Version von „Sag mir, wo die Blumen sind“ geht vor diesem konzeptionellen Hintergrund unter die Haut.

Top-Track: Lament 1-3

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