THE MARS VOLTA - Noctourniquet

Kategorie: CD-Reviews | Genre: Prog, Artrock | Heft: Jahrgang 2012, eclipsed Nr. 139 / 4-2012 | VÖ-Jahr: 2012 | Wertung: 9/10, Album des Monats | Label: Warner | Autor: BSV


Dass Omar Rodriguez-Lopez ein Workaholic ist, hat sich herumgesprochen. Dass sein Arbeitspensum aber selbst seine Kollegen bei The Mars Volta bisweilen überfordert, ist vielleicht noch nicht bis in den hintersten Winkel durchgedrungen. In einem BBC-Interview im Februar erklärte der Volta-Gitarrist/-Komponist freimütig, dass er bereits 2009 im Anschluss an die Arbeiten zum letzten Werk „Octahedron“ mit den Aufnahmen zu einem neuen Album begonnen hatte. Dieses hatte er zunächst nicht als neue Mars-Volta-Arbeit angedacht (s. a. Artikel auf Seite 42). Doch sein kongenialer Partner, der Sänger/Texter Cedric Bixler-Zavala, konnte ihn letztlich davon überzeugen, dass es sich hierbei im Kern um originäres Mars-Volta-Material handelte. Dass es dann mit der Veröffentlichung bis jetzt gedauert hat, lag an dem unterschiedlichen Arbeitstempo der beiden Bandköpfe. Doch jetzt ist „Noctourniquet“ da, Bixler-Zavala hat die Lyrics fertig. Wie gewohnt sind es keine gewöhnlichen Songtexte geworden: Der 37-Jährige hat es einmal mehr geschafft, Dinge, die auf den ersten Blick nicht zueinander gehören – etwa Superman-Comics und den griechischen Hyakinthos-Mythos –, unter einen Hut zu zwingen. Musikalisch sind die US-Amerikaner eine weitere Etappe auf ihrer Reise vorangekommen. Schon seit dem ersten Album hat sich die Band einen ihr sofort zuzuordnenden Sound zugelegt. Den findet man auch an den unterschiedlichsten Stellen auf „Noctourniquet“ wieder. Es ist ein quirliges, oft nicht zu durchdringendes Modern-Prog/New-Artrock-Gespinst: diffizile rhythmische Strukturen, getriebene Vocals, abstrakte Gitarrenarbeit, undefinierbare Klänge. Der Opener „The Whip Hand“, „Dyslexicon“ oder „Molochwalker“ stehen exemplarisch für diesen frühen Stil von The Mars Volta. Was sich vor drei Jahren bereits bei „Octahedron“ erwies, zeigt sich auch jetzt: Der sonst hyperaktive Trupp kann auch anders. Ruhige Nummern, deren Rhythmus Hammer, Steigbügel und Amboss nicht zu blindem Aktionismus aufstachelt. Melodien, die ohne eingehende Analyse zu erkennen sind: „Vedemalady“ ist so ein einschmeichelnder Track. Und insbesondere „Imago“ ist fast schon zu schön, um wahr zu sein. Doch Obacht: Mars Volta sind immer noch Mars Volta! Auch diese Tracks sind im Hintergrund, in den Hohlräumen und Zwischenwänden randvoll mit verstörenden Klängen. Und gerade das macht ja den Charme dieser Formation aus. „The Malkin Jewels“ klingt, als hätte die Band bei Tom Waits reingeschnuppert. Das epische, von elektronischen Klangbildern geprägte „In Absentia“ erweckt zwischendurch den Eindruck, als eiferte sie den traumwandlerischen Harmonien von Mercury Rev nach. Vielleicht ist dies auch dem neuen Schlagzeuger Deantoni Parks geschuldet. Oder dem Ausstieg des langjährigen Keyboarders Isaiah Ikey Owens. Wie auch immer, eins ist sicher: The Mars Volta bleiben eine mit fast nichts zu vergleichende Klangerscheinung. Das lässt sich gerade jetzt, im Angesicht des At-The-Drive-In-Comebacks, mit Nachdruck feststellen.

Top-Track: Imago

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