Musikalische Bergführer - SHERPA nehmen den Hörer an die Hand und wollen zu neuen Einsichten verhelfen

23. November 2016

Sherpa

eclipsed: Seit wann gibt es Sherpa?

Matteo Dossena: Unser Projekt begann im Grunde, als wir noch sehr jung waren, im Jahr 2003, und ich selbst schreibe bereits Songs, seitdem ich acht bin. In den letzten zwei Jahren haben wir uns auf das Projekt Sherpa konzentriert. „Tanzlinde“ ist das Ergebnis dieser letzten beiden Jahre des Songwritings und Experimentierens, aber auch von dreizehn Jahren Evolution.

eclipsed: Was waren eure musikalischen Vorbilder und Inspirationen?

Dossena: Wir sind ja in den Neunzigern aufgewachsen, deshalb hörten wir größtenteils Grunge, Britpop und Post-Rock. Und natürlich haben wir dann unseren musikalischen Horizont erweitert. Auf diesem Album kommen die Haupteinflüsse, glaube ich, von Robert Wyatt, Alexander Tucker, Date Palms, Velvet Underground, Syd Barrett sowie „Revolver” von den Beatles. Aber das ist nur unsere Meinung, jeder kann da eine andere Wahrnehmung haben.

eclipsed: Was bedeutet der Bandname Sherpa?

Dossena: Sherpas sind eine ethnische Gruppe, die in Nepal, in den Bergen des Himalajas, lebt. Sie sind dafür berühmt, die zuverlässigsten Bergführer zu sein. Wir sind aber auch von der Kultur dieser Leute fasziniert, die an die Würde des Menschen glauben. Sie schauen nie auf andere herab, selbst wenn jemand ein fundamentales moralisches Gesetz bricht. Für die Sherpas ist es nicht wichtig, heroisch zu sein, stattdessen schätzen sie Bescheidenheit und Vorsicht. Sie suchen nicht nach Reichtum, sondern teilen mit denen in Not. Wir wollten dieses Konzept von „Führung“ verwenden, von Menschen, die den Weg auf den Gipfel kennen. Nicht nur den eines Berges, sondern vielleicht auch den, der am Ende eines spirituellen, persönlichen oder künstlerischen Weges steht. Wir kommen selbst aus einer Bergregion und ziehen eine Menge Inspiration aus der Natur.

eclipsed: Was bedeutet der ungewöhnliche Albumtitel „Tanzlinde“? Warum habt ihr einen deutschen Titel gewählt?

Dossena: Eine „Tanzlinde“ ist in einigen Regionen Deutschlands etwas ganz Typisches. Ein Holzgerüst mit einem großen Lindenbaum in der Mitte, das mehreren Zwecken dient, unter anderem dem, dort Gemeinschaftstreffen abzuhalten. Sie bietet den Leuten Schutz, wenn sie Feste zelebrieren, singen und tanzen. Wir haben die Idee gemocht, von einem gigantischen Baum beschützt zu werden, während man Spaß an Musik hat. Unser Tonstudio ist auf dem Land, und wir haben einen riesigen Eichenbaum, der wie eine Hand aussieht und unsere Hausfront schützt, eine Art italienische Tanzlinde also!

eclipsed: Wie sehr hat euch die Landschaft eurer Heimatregion inspiriert?

Dossena: Wirklich sehr. Unsere Musik und unser Sound sind das Produkt dessen, was uns umgibt, praktisch in jedem Sinne. Wir kommen aus den Abruzzen, einer kleinen Region im Zentrum Italiens. Die Aussicht von unserem Studio aus, wo wir das Album aufgenommen haben, ist umwerfend! Riesige Berge und verzauberte grüne Täler. Die totale Katharsis!

eclipsed: Was war euer Ansatz für das erste Album?

Dossena: Es geht um Wachstum und Veränderung. Sagen wir mal, dass dieses Album uns als Band eine neue Identität gibt, es ist zwar europäisch geprägt, aber offen für die Idee von Weltmusik.

eclipsed: Würdest du eure Musik als Neo-Psych oder Psychedelic Rock bezeichnen?

Dossena: Das könnte man … aber unsere Kompositionen sind immer in eine klare Songform eingebunden. Wir improvisieren zwar live viel, aber wenn wir schreiben, dann geht es vor allem um die Seele und die Struktur des Songs. Was heutzutage als Neo-Psych bezeichnet wird, ist oft anders, ist nicht auf diese Aspekte fokussiert. Wenn’s aber nur um den Sound an sich geht, dann ja. Sicherlich beziehen wir uns stark auf Psychedelisches, da vielleicht aber mehr auf die Klassiker als auf moderne Varianten.

eclipsed: Man kann auf eurem Album manchmal Einflüsse eines Syd Barrett und manchmal die eines George Harrison in den indisch angehauchten Beatles-Songs heraushören.

Dossena: Ja, das sind wichtige Bezüge für uns. Wir lieben die Beatles und die ganz frühen Floyd! Darüber hinaus hatten wir das Glück, mit Ayu Shi und Ila Maa, zwei Sängerinnen aus
Bengalen, in Kontakt zu kommen. Sie waren von der Zusammenarbeit begeistert, und ihre Stimmen haben dazu beigetragen, das Experiment magisch und exotisch zu machen.

eclipsed: Wie kommt die Hommage „Robert W.“ aufs Album?

Dossena: Wir alle verehren Robert Wyatt. Er ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Songschreiber und musikalischen Erneuerer unserer Zeit.

eclipsed: Wie werdet ihr eure Musik live präsentieren? Werdet ihr nach Deutschland, z. B. auf das Burg Herzberg Festival, kommen?

Dossena: Wir möchten so gerne eine Tour im Ausland organisieren, gerade in Deutschland, wo ja auch unser Label Sulatron Records stationiert ist und unsere Art Musik eine treue Anhängerschaft hat. Das wird unser nächster Schritt sein.

eclipsed: Habt ihr schon wieder neue Songs geschrieben?

Dossena: Aktuell arbeiten wir am Live-Set für „Tanzlinde”. Es ist ein kompliziertes und barockes Album, daher benötigt das viel Arbeit. Wir haben dieses faszinierende Abenteuer auf Sulatron Records begonnen und hoffen nun, dass es nicht stoppt. Unser Musikprojekt wird definitiv nicht aufhören, auch weil wir zuallererst dicke Freunde und dann erst Sherpa sind.

* * * Interview: Walter Sehrer