ØRESUND SPACE COLLECTIVE - Dänisch-amerikanisch-schwedische Freundschaft

23. Januar 2017

Oresund Space Collective

Ausgangspunkt für die Gründung des ØSC aber ist Scott Heller, ein US-Amerikaner, der Ende der 1990er Jahre als Wissenschaftler nach Kopenhagen kam, um über Diabetes zu forschen. Denn Hellers Passion – neben der medizinischen Forschung – ist eben der Space Rock. Rasch nach seiner Ankunft auf dem europäischen Kontinent schloss er sich deshalb Bands wie Mantric Muse und Gas Giant an. Nach seinem Ausstieg bei Letzteren organisierte er Jamsessions für befreundete gleichgesinnte Musiker, aus denen schließlich das ØSC hervorging. Seither hält Scott Heller, der sich fortan als Musiker Dr. Space nannte, die Geschicke des Kollektivs in seinen Händen: Er ist der Macher, der Organisator der Band.

Mit „Visions Of …“ liegt nun das mittlerweile 23. ØSC-Album vor. Ein Werk, mit dem die Musiker weiter unbeirrt ihren Weg gehen, der nur ein Ziel kennt: das Eintauchen in die unendlichen Weiten des Space’n’Psych.      

eclipsed: Das Øresund Space Collective ist tatsächlich ein mehr oder weniger loses Kollektiv von Musikern. Wie ist das damals überhaupt entstanden?

Scott Heller: Ende 2003 spielte ich noch die Keyboards in der dänischen Stoner-Space-Jam-Band Gas Giant. Sie wollte aber keinen spacigen Sound mehr haben. Also fand ich plötzlich keinen Platz mehr in der Band. Ich hatte aber weiter Lust, Musik zu spielen. Daher organisierte ich Jamsessions, zu denen ich befreundete Musiker der dänischen Band Mantric Muse und von Bland Bladen, einer Gruppe aus dem schwedischen Malmö, einlud. Wir sind dann immer über die Øresundbrücke gefahren und haben in den jeweiligen Übungsräumen der verschiedenen Bands gespielt. So fing das damals an.

eclipsed: Es waren schon so viele Musiker im ØSC. Woher kamen sie? Wohin gingen sie?

Heller: Es waren bisher ungefähr 60 Musiker, die bei uns im Kollektiv gespielt haben. Fast alle stammen aus Kopenhagen oder aus Malmö. Es waren aber auch ein paar aus Stockholm dabei. Bis auf wenige Ausnahmen haben all diese Musiker ihre eigenen Bands, die bei ihnen oberste Priorität genießen, so dass das ØSC für sie nur so etwas wie ein Seitenprojekt ist. Die Entscheidung, wer denn mit dem ØSC spielt oder nicht, treffe schlussendlich ich. Dabei basiert mein Votum aber auf dem Input der anderen Musiker im Kollektiv, die auch Vorschläge machen. Zum Beispiel konnten Jonas, unser Keyboarder und auch der Keyboarder von Agusa, und unser Drummer Alex, der auch bei Gösta Berlings Saga spielt, nicht an unserer letzten Session teilnehmen. Wir brauchten also einen anderen Drummer. Und so hat Alex dann Tim, den Drummer von Agusa vorgeschlagen, mit dem wir bislang ein einziges Mal gespielt hatten. Das war bei einem Gig in Griechenland.

eclipsed: Hat sich der Spirit in der Band durch die ständigen personellen Wechsel geändert?

Heller: Der Spirit ist immer noch derselbe wie in den alten Tagen, aber die Band ist nicht mehr so stoned wie früher. Eine weitere Sache, die sich geändert hat, ist die, dass wir vor den Jams ein wenig mehr Absprachen treffen, auf welche Weise wir jammen wollen, welche Akkorde wir spielen, welche Keyboards wir einsetzen usw. In den alten Tagen haben wir einfach einen Joint geraucht und losgelegt.  

eclipsed: Habt ihr eine Philosophie in der Band?

Heller: Unsere Philosophie ist einfach, Musik zu spielen, die die Leute mit auf eine Reise nimmt. Wir wollen neue instrumentale Musik erschaffen, die den Hörer die normale Welt vergessen lässt und ihm Spaß macht. Ich finde es spannend, verschiedene Musiker zusammenzubringen und zu schauen, welche Musik dabei herauskommt. Denn unsere Musik ist nach wie vor komplett improvisiert. Das ist stets neu, gerade auch, weil wir immer wieder neue Musiker dabeihaben. 

eclipsed: Das neue „Visions Of …“ ist bereits euer 23. offizielles Album in den zwölf Jahren, die das ØSC existiert. Ganz schön viel. Veröffentlicht ihr alles, was ihr aufnehmt?

Heller: Nein, ganz gewiss nicht. Die Liveshows werden alle aufgezeichnet und auch immer gratis zum Download veröffentlicht. Das sind manchmal nur Zuschauer-Aufnahmen, manchmal aber auch Multitrack-Aufnahmen oder welche vom Soundboard. Höherwertige Aufnahmen oder von besonderen Konzerten stellen wir für wenig Geld auf unserer Bandcamp-Seite oder auf Vinyl zur Verfügung. Was die Studioaufnahmen betrifft, da existieren noch ungefähr 30 Stunden unveröffentlichtes Material, das kaum jemand gehört hat. Ab und zu höre ich mir das mal an und finde etwas Interessantes ...

eclipsed: „Visions Of …“ ist bereits das dritte Album (und wie angekündigt das letzte) einer Session von Ende 2014. Das muss damals sehr produktiv gewesen sein. Ist es jetzt „nur der Rest“? Oder habt ihr das Beste bis zum Schluss aufbewahrt? 

Heller: Die 2014er-Studiosession war tatsächlich die beste, die wir jemals hatten. Wir haben davon jetzt eine 3er-LP, eine Doppel-LP und eine normale LP herausgebracht. Die Jams 5, 6 und 18 sind noch nicht veröffentlicht. Die bleiben auch im Archiv, zumindest vorerst. Ob „Visions Of …“ nun das Beste oder nur der Rest ist, müssen die Hörer entscheiden.

eclipsed: Der 40-minütige Titeltrack des neuen Albums scheint mir wie ein Lebewesen zu sein, das sich organisch verändert. Was hältst du von diesem Eindruck? Welche Visionen hast du, wenn du solch lange Tracks einspielst?

Heller: Das war ein wirklich fantastischer Jam und ein spezielles Musikstück. Ähnlich wie bei „20 Steps Towards The Invisible Door“ vom „Different Creatures“-Album entwickelte sich eine lebendige Kommunikation zwischen den Musikern. Das trug zu dieser organischen Fortentwicklung bei. Das Artwork zum Album zeigt ungefähr meine inneren Bilder. Ich hätte gern jemanden, der ein cooles Video zu diesem Stück drehen würde.

eclipsed: Der neue Track „Above The Corner“ ist eine Referenz an Miles Davis. Welche weiteren Einflüsse habt ihr beim ØSC?

Heller: Zu Beginn war der wesentliche Einfluss sicherlich die Musik der 70er Jahre. Das hat sich natürlich ausgeweitet. Wir mögen alles von Miles Davis über Fela Kuti bis zu den Allman Brothers. Mit jedem neuen Musiker kamen neue Einflüsse, einfach aus den Erfahrungen heraus, die jeder gemacht hat, oder aus den Bands, in denen er vorher spielte. Ich selbst bin stark beeinflusst von meinem alten Freund Doug Walker, der leider nicht mehr unter uns weilt, und seiner Band Alien Planetscapes. Mit seiner Mischung aus Space Rock von ganz weit draußen, Jazz und experimenteller Musik war er eine große Inspiration für mich. Auch die frühen Hawkwind, Pink Floyd, Ozric Tentacles, Gas Giant, WE und die Allman Brothers sind wichtige Künstler für mich.

eclipsed: Wie läuft eine ØSC-Jamsession ab?

Heller: Zwischen 2004 und 2010 haben wir regelmäßig in unseren Übungsräumen Jamsessions abgehalten. So wie damals machen wir es jetzt nicht mehr. Heute sind es Konzerte oder Studiosessions. Damals spielte sich etwa Folgendes ab: Wir kamen an, tranken Bier, bauten unsere Geräte auf, rauchten Joints, suchten und fanden gute Plätze für die Mikrofone und Aufnahmegeräte, legten einfach los und hatten Spaß. Ich vermisse das, denn es war etwas anderes als der Druck in einem Konzert.

eclipsed: 2017 werdet ihr nur noch bei ein paar wenigen Festivals live spielen. Warum zieht ihr euch zurück?

Heller: Wir machen das nun schon seit zehn Jahren. Ich werde nächstes Jahr Dänemark verlassen und nach Portugal umziehen. Das ist eine große Veränderung für mich, und es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, mich dort einzurichten, die Leute und den Lebenswandel dort kennenzulernen. Ich muss also eine Pause einlegen. Aber 2018 werden wir wieder an den Start gehen. Vielleicht mit einer Europa-Tour rund um das Spaceboat-Konzert in Hamburg. 

eclipsed: Was ist das Besondere am Spaceboat in Hamburg?

Heller: Das ist ein fantastisches Event. Sabine – unsere Fotografin, Videokünstlerin, Merchandise-Verkäuferin, unser Roadie und meine Partnerin bei Space Rock Productions in Personalunion, aber nicht meine Ehefrau – organisiert das Spaceboat. Wir mieten ein Schiff und schippern mit unseren Fans kreuz und quer im Hamburger Hafen rum. Es ist sehr intim und ein großer Spaß für alle Beteiligten. Der einzige Nachteil ist, dass du dort keine vernünftigen Video- oder Sound-Aufnahmen zustande kriegst, die das Ganze adäquat wiedergeben. Du musst also da sein, um es zu erleben.

eclipsed: Das ØSC existiert nun schon seit zwölf Jahren. Hättest du je gedacht, dass es so lange halten würde?

Heller: Ich hatte keinerlei Erwartungen. Es ging nur darum, Leute zusammenzubringen, mit denen ich gern Zeit verbringen und Musik spielen wollte. Das ist zu einem großartigen Trip geworden. Ich vermute, das ØSC wird es so lange geben, wie ich Konzerte und Studiosessions organisiere. Also wohl, solange ich noch nicht zu alt, zu krank oder zu müde dazu bin.

eclipsed: Das ØSC wurde 2004 gegründet. Die Brücke über den Øresund wurde 2000 fertiggestellt. Wäre das ØSC ohne die Brücke überhaupt möglich gewesen?

Heller: Eine gute Frage. Wir hätten dann die Fähre nehmen oder über Helsingør fahren müssen, um zu den Jamsessions zu gelangen. Womöglich hätte ich dann nur mit Mantric Muse und anderen dänischen Bands aus Kopenhagen gespielt – und es wäre dann nicht zur Verbindung mit den schwedischen Bands wie Bland Bladen, The Carpet Knights, Drahk Von Trip, Agusa und anderen gekommen.

eclipsed: Wäre dann Filesharing, wie es heutzutage viele andere Musiker betreiben, eine Lösung gewesen? Oder ist das für euch ein Tabu?

Heller: Das ist eine mögliche Arbeitsweise, aber nicht das, was wir wollen. Wir erschaffen Musik aus dem und für den Augenblick. Es ist alles improvisiert und live gespielt. Wir gehen also nicht an die Musik heran, indem wir sie aus verschiedenen Teilen zusammensetzen. Vielleicht ginge es, wenn du im selben Moment live mit jemandem in einem anderen Land spielst und die Musik des anderen per Stream hörst und später alles zusammenmischst. Aber so etwas haben wir noch nicht ausprobiert.

eclipsed: Du bist damals aus beruflichen Gründen nach Dänemark gekommen, um dich am Hagedorn Institut an der Diabetes-Forschung zu beteiligen. Machst du das immer noch?

Heller: Nein, davon habe ich mich 2015 zurückgezogen. Ich bin nun im Ruhestand. Aber ich vermisse mein Leben als Wissenschaftler. Ich werde immer ein wissenschaftlicher Nerd bleiben, ebenso wie ein Musikfreak. Das ist einfach, was ich bin, nachdem ich zehn Jahre meines Lebens damit verbracht habe, zu studieren und meinen Doktortitel zu erwerben.

eclipsed: Hast du es je bereut, nach Dänemark gegangen zu sein?

Heller: Nein, niemals. Nach Dänemark gegangen zu sein, ist eine der besten Sachen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Ich habe die letzten 20 Jahre in Dänemark verbracht. Es ist ein großartiges Land, und ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und mit so vielen exzellenten Bands gespielt. Wie jedes Land hat auch Dänemark seine Probleme. Aber die meisten wichtigen Dinge wie die Work-Life-Balance, die Kriminalitätsrate, das Gesundheitssystem, die Lebensmittelqualität oder das Verkehrswesen sind hervorragend.

eclipsed: Wenn du dir wünschen könntest, wer mal beim ØSC mitspielen sollte, wen würdest du nennen?

Heller: Oh, auf meinem Wunschzettel stehen Frank Marino, Jimmy Herring, Dave Schools, Dave W. (von White Hills), Ed Wynne, Warren Haynes, Vemund Egan, Joie Hinton, Seaweed – um nur ein paar Namen zu nennen. Mit einigen davon könnte es klappen. Andere werden ein Traum bleiben.

*** Interview: Bernd Sievers