Warren Haynes, einer der erfolgreichsten Vertreter des modernen Southern Rock, hat mit seiner Band Gov’t Mule erstmals ein reines Bluesalbum aufgenommen, das am 12. November erscheint. Im Interview spricht der 61-jährige Gitarrist und Sänger über die Entstehungsgeschichte von „Heavy Load Blues“ und Begegnungen mit seinen Idolen.
eclipsed: „Heavy Load Blues“ wurde live in der Power Station New England auf analogem Band aufgenommen. Ist das ein Vintage-Tonstudio?
Warren Haynes: Es ist eine Nachbildung der legendären Power Station Studios in New York City, wo bis in die 1990er-Jahre viele bedeutende Alben entstanden sind. Es ist ein vielseitiges Studio mit einer Menge Equipment. Das ermöglichte es uns, völlig unabhängig voneinander zwei Alben gleichzeitig aufzunehmen: Parallel zu der Bluesplatte haben wir im großen Aufnahmeraum tagsüber den Nachfolger von „Revolution Come...Revolution Go“ eingespielt und nachts nebenan auf engem Raum mit einem kleineren Drumset gearbeitet, als würden wir eine Bluessession in einem Liveclub spielen.
eclipsed: Und die Alben klingen auch sehr unterschiedlich?
Haynes: Beide Platten haben wir analog aufgenommen, ansonsten gibt es nicht viele Gemeinsamkeiten. Völlig andere Ausrüstung, alles.
eclipsed: Spielt man eigentlich verkrampfter, sobald die rote Aufnahme-Lampe an ist?
Haynes: Manchmal ist es schwer zu vergessen, dass die Lampe brennt. Der Sinn und Zweck dieser Studiosessions war, so zu spielen, als ob wir live auftreten würden. Wir standen also alle ohne Kopfhörer in einem engen Raum, wobei ich nur eine kleine Mithöreinrichtung für den Gesang hatte. Jedes Mikrofon nahm jedes Instrument auf, wie man es früher bei Bluesplatten gemacht hat. Wenn jemand etwas spielte, das den anderen nicht gefiel, mussten sie damit leben. Gov’t Mule neigt ohnehin dazu, in einem möglichst großen Maße live aufzunehmen, aber bei diesen Blues-Sachen passierte das zu 100 Prozent.
eclipsed: Warum eignet sich dieser Stil so hervorragend dazu, extreme Gefühle auszudrücken?
Haynes: Der Blues ist in dieser Hinsicht der schwarzen Gospelmusik sehr ähnlich: die gleichen Melodien, die gleiche Phrasierung, die gleiche Musikalität, das gleiche Gefühl, nur mit anderen Texten. Tatsächlich ging der Blues aus der schwarzen Gospelmusik hervor. Die Menschen drückten sich in Zeiten extremer Not mit diesem Sound aus und machten so etwas Positives aus ihrer Situation – was eine erstaunliche Leistung ist. Wir alle hoffen doch, in der Lage zu sein, unsere Probleme in etwas Positives umzusetzen. In den letzten anderthalb Jahren mit Covid-19 haben alle Menschen die Nöte auf eine gewisse Art und Weise geteilt, die sie normalerweise allein erlitten hätten. Jetzt sind aber alle irgendwie zusammen, und jeder kann sich irgendwie mit dem Gefühl des Blues identifizieren.
eclipsed: Hast du B. B. King, Muddy Waters oder John Lee Hooker noch persönlich getroffen?
Haynes: Ich durfte glücklicherweise mit John Lee Hooker auf der Bühne und auch auf seinem letzten Studioalbum „Face To Face“ spielen, das posthum erschien. Um Muddy Waters oder Howlin’ Wolf persönlich kennengelernt zu haben, bin ich aber zu jung. Ich konnte jedoch auf die eine oder andere Weise mit B. B. King, Junior Wells, Albert Collins und Willie Dixon Musik machen. Das ist etwas, das ich sehr zu schätzen weiß und nie vergessen werde.
eclipsed: Wie war John Lee Hooker?
Haynes: In der Zeit, in der ich mit ihm zusammen war, war er immer sehr lustig. Die Leute dachten, er sei ein bisschen affektiert, weil er manchmal komisch guckte, aber in Wahrheit war John Lee sehr freundlich und stets zum Scherzen aufgelegt. Unser Verhältnis war nicht besonders eng, aber ich durfte immerhin mit ihm spielen. Für jemand wie mich, der bluesigen Rock macht, waren Künstler wie Hooker nicht nur Helden. Sie haben den Sound erfunden bzw. weiterentwickelt, der es uns ermöglicht, das zu tun, was wir tun.