Ron Spielman ist immer für Überraschungen gut. Denn der Sänger und Gitarrist, der vor 25 Jahren von Schweinfurt nach Berlin zog („Ich wollte innerlich und auch musikalisch wachsen“), erfindet sich praktisch mit jedem Album neu. So überzeugt er nicht nur als feinsinniger Singer-Songwriter, sondern auch als gewiefter Jazzrocker und risikofreudiger Bluesrock-Modernisierer. Auf seinem aktuellen Longplayer „Lifeboat“ schielt er dagegen in Richtung Mainstream Rock. „Mein Konzept lautete: Songs mit einer guten Hook, tollen Gitarrensounds und viel Gesang“, so Spielman.
Im Interview mit eclipsed äußerte sich der Musiker, der einst eine Tischlerlehre absolvierte, nicht nur über einige glückliche Begleitumstände bei der Entstehung des Albums, sondern auch über seine Wahlheimat Berlin, seine lebensverändernden Erfahrungen mit der Alexander-Technik und darüber, was ihm beim Musizieren am wichtigsten ist: Leidenschaft, Liebe und Forscherdrang.
eclipsed: Ron, du lebst mittlerweile seit 25 Jahren in Berlin. Hing dein Umzug von Schweinfurt damit zusammen, dass du eine größere und besser vernetzte Musikerszene brauchtest?
Ron Spielman: Definitiv. Schon zehn Jahre vorher hatte ich die Idee, etwas zu ändern, um innerlich und auch musikalisch zu wachsen. Damals hatte ich noch meine große Band: ein Quartett mit vier Bläsern, mit dem ich einige Platten aufgenommen habe und ziemlich viel auf Tour war. In meiner Heimat war ich eine Art Lokalmatador, aber irgendwann habe ich gemerkt: Ich könnte hier bleiben und den „Da kommt der Ron – der ist super!“-Status feiern, oder ich könnte auch noch mal was ganz Neues anfangen. Irgendwann war mir klar, dass ich noch mal in eine große Stadt gehen muss, und vier Städte standen auf meinem Plan: Berlin, Hamburg, Leipzig und Stuttgart. Hamburg, weil ich dort viel gespielt habe und die Stadt für Rockmusik toll fand; Leipzig, weil dort nach dem Fall der Mauer viele Clubs mit Livemusik aufgemacht hatten; und Stuttgart, weil ich damals dort viel produziert habe und die dortige Musikszene sehr überschaubar und kreativ war. Letztendlich fiel die Wahl aber auf Berlin, weil meine Frau und ich dort die meisten Leute kannten. Jetzt bin ich froh, nicht nach London oder New York gegangen zu sein, weil die Lebenshaltungskosten dort immens sind.
eclipsed: Wie viele andere Musiker bestreitest auch du deinen Lebensunterhalt mit Unterrichten …
Spielman: Ich habe zwar eine Zeitlang unterrichtet, mache das aber nicht mehr. Manchmal kontaktieren mich Gitarristen, die schon seit 30 oder 40 Jahren spielen und Unterricht nehmen wollen. Die frage ich dann, wofür sie sich interessieren – z.B. Sounds, Phrasierung oder die Verfeinerung des eigenen Spiels –, und dann überlege ich mir ein zwei- bis dreistündiges Konzept. Meine Tipps können sie per Video aufzeichnen, und wenn sie es ernst meinen, können sie damit ein ganzes Jahr arbeiten.
eclipsed: Du unterrichtest auch die sogenannte Alexander-Technik, die dabei hilft, Verspannungen und Schmerzen zu vermeiden, die durch körperliche Fehlhaltungen bedingt sind. Hattest du selbst Probleme mit Händen, Armen oder Schultern, sodass dein Gitarrenspiel eingeschränkt war?
Spielman: Ja. Ich hatte Schmerzen in den Schultern, und mein Körper war komplett verspannt. Je intensiver ich spielte, desto körperlicher wurde diese Intensität, und das verursachte wiederum Schmerzen. Ich war bei der Physiotherapie und ließ mir von einem Arzt Spritzen geben, bis mir jemand empfahl: „Versuch’s doch mal mit der Alexander-Technik.“ Ich suchte dann einen Alexander-Lehrer auf, zu dem ich nicht mal die Gitarre mitbringen musste. Er hat mir erst mal das Prinzip erklärt: Denn es geht nicht darum, ob du singst, Gitarre spielst, malst oder einen Kasten Bier die Treppe hinaufträgst – sondern es geht immer um dich selbst. Eineinhalb Jahre habe ich dann jede Woche eine Stunde genommen, und das war so intensiv, dass mein Lehrer sagte: „Wenn du noch intensiver einsteigen willst, musst du eine Ausbildung zum Lehrer machen. Das dauert drei Jahre und kostet 20.000 Euro.“ Ich dachte: „Das schaffe ich nie!“, aber irgendwie habe ich es geschafft, jeden Monat 450 Euro zur Seite zu legen. In diesen drei Jahren habe ich dann auch noch meine Stimme verloren, weil ich beim Singen zu viel presste. Mein Alexander-Lehrer meinte: „Du kannst die Knötchen weglasern lassen, aber du bekämpfst damit nur die Symptome, nicht die Ursache.“ Er bot mir an, ein Jahr an meiner Stimme zu arbeiten, und die Knötchen gingen in dieser Zeit immer weiter zurück. Parallel dazu habe ich Stimmbildung gemacht, und mein Stimmumfang ist um einiges größer geworden – ich werde nicht mehr heiser und kann zweieinhalb Stunden durchsingen, wobei ich bei weitem nicht mehr so erschöpft bin wie früher. Mittlerweile kann ich „Stop!“ zu der Verspannung sagen und sie auflösen, und das gibt mir Freiheit in meinem Dasein – dadurch hat sich mein Selbstbild komplett verändert. Und wenn du dieses Prinzip verstanden hast, kannst du es auf alle Aktivitäten deines Lebens anwenden. Wenn jeder Mensch dieses Prinzip anwenden würde, dann wäre dieser Planet ein guter! (lacht) Letztlich fragt die Alexander-Technik nicht: „Was kann ich tun, um etwas zu erreichen?“, sondern: „Was kann ich lassen, um etwas zu erreichen?“ Denn wenn man den ganzen Tag mit zu viel Spannung im Körper herumläuft und auch damit schläft, verballert man bis zu 50 Prozent seiner Energie.