Der Start der Remaster-Serie seines Solowerks, „Take A Look At Me Now“, brachte Phil Collins wieder ins öffentliche Bewusstsein. Der Grund für seine mediale Abwesenheit war neben gesundheitlichen Problemen (Hörverlust auf dem linken Ohr, Taubheitsgefühl in den Händen aufgrund von Problemen mit der Wirbelsäule, zuletzt auch Alkoholmissbrauch) und dem Rückzug ins Private wohl auch das aus seiner Sicht schiefe Bild, das die Medien von ihm gezeichnet hatten, gewesen. Anlass genug, ihm auch Fragen zu seinem Lebensweg, infamen Twitter-Gerüchten und seiner Zukunft zu stellen.
eclipsed: 45 Songs in der Deluxe-Edition bzw. 33 auf der Doppel-CD sind eine Menge Holz. Bei einer so umfangreichen Sammlung wie „The Singles“ war es sicherlich nicht schwer, die Tracks auszusuchen. Wie war es für dich, dich so wieder als Hitlieferant zu präsentieren?
Phil Collins: Die Idee dahinter war, all die Singles, die Hits waren, aber auch all die, die keine waren, zusammenzustellen. Denn gerade unter denen, die kein Hit wurden, sind einige meiner persönlichen Favoriten. Viele denken unwillkürlich, dass dahinter eine Art Formel stecken muss. Wenn ich so etwas höre oder lese, muss ich sagen, das ist so fernab von der Wahrheit. Ich schreibe Alben. Also eine Sammlung von Songs, nicht aber eine Sammlung von Singles. Die Idee dahinter ist, ein gutes Album zu machen, was das widerspiegelt, was ich mache. Erst danach kommt irgendwann die Plattenfirma und sagt: Lass uns diesen oder jenen Song als Single fürs Radio auskoppeln. So kenne ich das, seit ich mit Musik aufgewachsen bin. Die Leute hören es, und wenn sie es dann kaufen, ist es auch einfach ein wenig Glück. Wenn ich jetzt die Sachen am Stück höre, bin selbst ich davon beeindruckt. Was ich sagen will ist, dass diese Stücke nicht als Hits geschrieben worden sind. Aber es ist natürlich wundervoll für einen Songschreiber, wenn die Leute mögen, was du schreibst. Tja, so ist das halt.
eclipsed: Allerdings gab es darunter auch Songs, die einfach zu Tode gespielt wurden. Gibt es Phil-Collins-Songs, die selbst du nicht mehr hören kannst?
Collins: Hm, yeah. Ein Song wie „Against All Odds“, wie „You Can’t Hurry Love“, wie „Sussudio“ – würdest du mir in einem Studio diese Stücke vorspielen, würde ich sie mir wohl nicht zu Ende anhören. Ich habe sie einfach so oft gehört. Auf der anderen Seite vergisst man auch, wie gut oder schlecht etwas ist. Wie gut etwas klingt, weil man es selbst so oft gespielt hat. Hört man es dann irgendwann selbst wieder, kann es besser oder auch schlechter als erwartet klingen. Von manchen Stücken, die ich live jeden Abend gespielt habe, mag ich also etwas gelangweilt sein. Andere mag ich bis heute besonders gerne. Ich nenne dir mal zwei: „Can’t Turn Back The Years“ vom Album „Both Sides“ [nicht auf „The Singles“, Anm.] und „Wake Up Call“ von „Testify“. Es wäre schön gewesen, wenn diese Lieder stärker wahrgenommen worden wären.
eclipsed: Du hast in deiner Karriere ziemlich unfaire Kritik einstecken müssen, und einige Fans haben dich als denjenigen ausgemacht, der Genesis auf dem Gewissen hat. Dein Image als „Mr. Uncool“ hat sich aber in den letzten Jahren gewandelt. Kannst du sagen, dass die Zeit alle Wunden geheilt hat?
Collins: Sicher, das ist ja auch nichts Wichtiges. Menschen verhungern überall auf der Welt, und dann der ganze Terrorismus… Was Leute über mich denken, zählt da nicht wirklich. Du weißt, was ich meine. Aber ja, ich war von all dem ein bisschen müde geworden. Ich machte die „Final Farewell Tour“. Ich hatte genug, obwohl die Tour fantastisch war. Ich hatte zwei kleine Kinder und wollte, komme, was da wolle, Vater sein. Ich wollte, dass sie später mal sagen können: „Ich kannte meinen Vater wirklich“ statt „Er war immer weg“. Das war der Grund, warum ich in Rente ging. Und ich glaube, die Zeit, in der ich weg war, war auch lang genug, dass ich damit glücklich war. Dann kam die Plattenfirma auf mich zu mit dem Plan, meine Platten wiederzuveröffentlichen. Ich sagte zunächst, dass ich dieses Neuverpacken und -vermarkten nicht so sehr mag. Wenn wir aber einen Weg finden, mit dem ich leben kann, mache ich es. So kam ich mit der Idee, alle Covers neu zu fotografieren und so weiter. Weil ich also so lange weg war und das alles neu verpackt herausgekommen ist, hat es den Leuten, hautsächlich den Kritikern, die Möglichkeit gegeben, es neu zu bewerten. Vorher war ich immer da, immer direkt vor dir. Von den Siebzigern bis in die Neunziger. Ich wurde lästig. Wenn ich selbst zurückschaue, werde selbst ich ärgerlich. Mann, ich gab nie Ruhe! Kein Wunder, dass Kritiker böse Sachen über mich dachten. Ich musste mich zurückziehen, um als Person wieder ein wenig Raum zu kriegen und natürlich um meine Kinder aufzuziehen. Jetzt sagen die Leute: Oh, das ist gar nicht so schlecht, wie ich es in Erinnerung hatte, da ist gutes Zeugs dabei. Das ist positiv, und ich bin dankbar dafür. Und einige moderne Künstler wie Adele, Beyoncé oder Kanye West sagen nette Dinge. Das ist doch großartig. Es ist schön, wenn über einen anders gedacht wird.
eclipsed: Peter Gabriel riet dir, dich nicht zurückzuziehen. Du hattest zuletzt auch eine nicht so gute Phase in deinem Leben. Wie fühlt es sich jetzt an, wieder zurück zu sein?
Collins: Ich bin ja noch nicht ganz zurück, nur ein bisschen. Ja, ich erinnere mich daran, dass Peter mich so vor zehn Jahren anrief und warnte. Dass es gefährlich wäre, in den Ruhestand zu gehen. Aber das Leben jedes Menschen ist anders. Ich war damals nicht gut drauf. Das ist schwer zu erklären. Ich habe fünf Kinder zwischen elf und vierundvierzig. Damals lebte ich mit keinem von ihnen zusammen. Das war schrecklich. Also wollte ich endlich Vater von meinen zwei Jüngsten sein. Zuvor hatte ich nie die Chance gehabt, das zu tun. Und jetzt lebe ich mit ihnen und bin sehr, sehr glücklich, ich bin ein Teil ihres Lebens. Meine Geschichte war also eine andere als die von Peter. Ich war dankbar für seinen Rat, aber mein Leben ist nun mal anders, und so ging ich in den Vorruhestand. Meine älteste Tochter Joely [die Schauspielerin und Produzentin ist das Kind von Collins’ erster Ehefrau Andrea Bertorelli und wurde von ihm adoptiert; Anm.] stimmte ihm damals zu, dass ich nicht mit etwas, was ich mein ganzes Leben gemacht hatte, aufhören sollte. Daran erinnere ich mich genau. Also gleite ich jetzt langsam wieder dahin zurück. Nicholas, mein 15-Jähriger, spielt Schlagzeug mit mir.
eclipsed: Hast du selbst die Trommelstöcke schon wieder schwingen können?
Collins: Nun ja, ich habe ein Schlagzeug in meiner Garage. Ich muss mich hinsetzen und wieder üben. Im Moment erhole ich mich aber von einer Rücken-OP. Mein rechter Fuß ist noch völlig taub. Ich muss zurzeit am Stock gehen. Zuvor hatte ich Probleme mit dem Arm. Ich muss erst üben. Im Augenblick überlege ich noch, was ich als Nächstes tun werde, aber ich hoffe, dass ich in Zukunft wieder etwas spielen kann.
eclipsed: Wie sehen deine Pläne aus? Kommst du wieder auf Tour?
Collins: Jetzt die Singleskollektion, im Oktober kommt meine Autobiografie heraus. Sie zu schreiben hat sehr viel Spaß gemacht, sie ist frisch, und ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
eclipsed: Der Titel lautet „Not Dead Yet“. Spielst du damit auf die Twitter- und Facebook-Gerüchte über deinen Tod an, die noch immer im Netz kursieren?
Collins: (offensichtlich genervt von dem Thema) Ja, da gab es vor ein paar Jahren die Meldung, dass ich bei einem Autounfall umgekommen wäre. Meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester, sie alle waren in Panik, und dann war das nur Schwachsinn! Walter, ich sag’ dir was, Soziale Netzwerke sind Mist! Ich habe zwar einen Facebook-Account, ich selbst habe aber damit nichts am Hut. Mein Büro erledigt das. Ich will damit nichts zu tun haben. Ja, „Not Dead Yet“, denn ich habe noch genug Dinge zu tun. Dieses Jahr haben wir eine Menge großartiger Künstler verloren: Bowie, Prince, Maurice White, Lemmy [der Motörhead-Frontmann starb Ende 2015]. Das war ein schlimmes Jahr für die Rockmusik. Aber mein Buch hat damit nichts zu tun. Es ist interessanter Lesestoff, du solltest es dir mal vornehmen.
eclipsed: Wenn du dein Buch mit den Lebenserinnerungen deines Bandkollegen Mike Rutherford vergleichst – wie viel Genesis steckt bei dir drin?
Collins: Ich habe Mikes Buch gelesen und es wirklich genossen. Ich kannte seinen Dad sehr gut, er war ein wundervoller Mann, und natürlich kenne ich Mike in- und auswendig. Mein Buch ist natürlich anders, denn es baut nicht auf dem Tagebuch meines Vaters auf wie das von Mike. Ich war so aktiv außerhalb von Genesis und sogar außerhalb meiner eigenen Solokarriere, dass da sehr viel abzuhandeln war. Von meiner Jugend in den frühen Sechzigern, wo ich in Clubs historische Acts gesehen habe, über Live Aid, George Harrison und so weiter. All das ist drin.
eclipsed: Wie steht’s mit einem neuen Studioalbum?
Collins: Es ist zu früh, um etwas sagen zu können. Jetzt geht’s erst mal um mein Buch. Ich habe seit Langem keine neuen Songs geschrieben, weil ich mich um meine Familie gekümmert habe. Dann die Reissues. Die Zeit wird kommen, in der ich keine Ausflüchte mehr habe und wieder anfangen werde zu schreiben. Dann sehen wir weiter.
eclipsed: Zum Schluss die obligatorische Frage: Gibt es irgendetwas Neues zum Thema Genesis-Reunion?
Collins: Nein, nein. Walter, jetzt hast du deine letzte Frage verschenkt. (lacht)
* * * Interview: Walter Sehrer