Raus aus der Oldfield-Ecke – mit „Great Escapes“ tritt Frank Bossert alias EUREKA die Flucht nach vorne an

26. November 2015

Eureka

eclipsed: Dein Projekt Eureka galt bisher als die deutsche Antwort auf Mike Oldfield. Seit dem letzten fast instrumentalen Konzeptwerk „Shackleton’s Voyage“ (2009) ist viel Zeit vergangen. „Great Escapes“ präsentiert nun einen neuen Eureka-Sound. Kaum noch Folk, Symphonic-Prog und Oldfield-Anleihen. Statt Claudia Sokollek, die auf den ersten Platten bis zum Jahr 2005 gesungen hat, übernimmst du nun selbst das Mikro. Was hat der Musiker Frank Bossert seit 2009 für eine Weiterentwicklung durchgemacht?

Frank Bossert: Ich hab gelebt und mich verändert. Ich glaub, das sind so die Stichwörter. „Shackleton“ war für mich eine Art Übergangsplatte. Da hab ich mich im Kopf schon darauf eingestellt, dass ich wieder Rockmusik machen wollte. Die Oldfield-nahe Musik passte irgendwie zu meiner Lebenssituation gemeinsam mit meiner Ex-Frau Claudia. Meine Ex und ich haben ein Kind gekriegt, und ich habe ein Studio gebaut. In meinem eigenen Studio war dann kein Platz für ein echtes großes Schlagzeug, so entstanden dann diese vielfältigen epischen Percussion-Sounds. Ich hab meinen Spieltrieb ausgelebt. Fette Arrangements ohne Drums. Das hat ja auch die ersten Platten von Oldfield von „Tubular Bells“ bis zu „Ommadawn“ ausgemacht, dass da kein richtiges Schlagzeug dabei war, das war der Link hin zu meiner Musik. Und natürlich war ich immer ein Fan davon, wie spannend Oldfield die Gitarre spielte. Das war also eine Zeitlang fast schon zu nah an seiner Musik dran, was ich gemacht habe, das passiert einem halt.

eclipsed: Stellte das Ende der Beziehung mit Claudia Sokollek vor allem im Privatleben eine Zäsur dar oder auch musikalisch für das Projekt Eureka?

Bossert: Natürlich, wenn ein großer Lebensabschnitt wie der mit Claudia vorbei ist, fängt man an, sich wieder neu umzugucken. Im Grunde war die Veränderung aber vor allem im Privaten wichtig. Musikalisch habe ich alles allein gemacht. Claudia hatte ja eine schöne Stimme, und so habe ich sie musikalisch beteiligt, weil das so naheliegend war. Das passte zum Oldfield-Konzept. Im Grunde war ich aber immer der Prog-Rock-Musiker.

eclipsed: Ja, das neue Album hat weniger Keyboards, dafür ist die Scheibe viel rockiger geworden und glänzt gerade in der ersten Hälfte mit Rush-artigen Songs und einem Geddy-Lee-verdächtigen Bass.

Bossert: Als ich in Hamburg die ersten richtigen Bands am Laufen hatte, war unser Bestreben immer, so Rush-mäßig wie möglich zu klingen, mit etwas Saga und Marillion drin. Ich war damals so der singende Bassist, hab den Geddy gemacht.

eclipsed: Das kann man auf der neuen Eureka nun hören – eine Wiedergeburt auch gesanglich?

Bossert: Absolut. Ich dachte erst, ich hätte den Sänger in mir verloren, war dann aber sehr zufrieden mit meinen Gesangsspuren. Freunde wie meine Background-Sängerinnen haben mich darin auch bestärkt, das dann auch so zu lassen und es nicht andere Sänger singen zu lassen. Ganz am Anfang war mal der Billy Sherwood von Yes im Gespräch, der schon auf „Shackleton’s Voyage“ gesungen hatte. „Stolen Child“ über das für mich so wichtige und traumatische Thema, gegen seinen Willen von seinem eigenen Kind getrennt zu werden, war dann auch so persönlich, dass ich das eh keinen anderen Sänger hätte singen lassen können. Diese Thematik wird häufig totgeschwiegen, dahinter stehen aber viele Schicksale. Ein heikles Thema, das der Politik zu unpopulär ist und in den Medien kaum vorkommt. In den USA gibt es einen Begriff für diesen Sachverhalt: PAS – Parental Alienation Syndrome, verbunden mit teils katastrophalen Folgen für die Kinder.

eclipsed: Wie siehst du Eureka nach diesem Wandel bei Stil und Gesang?

Bossert: Das ist ein total guter Hinweis, denn genau so hab ich das am Anfang auch gesehen. Ist ja auch etwas verwirrend für die Fans. Im Grunde bin aber immer ich Eureka gewesen. Es ist mein Projekt. Freunde sagten auch zu mir: ,Mann, gib das nicht auf, der Name ist ja auch etabliert.‘ Stimmt. Einen neuen müsste ich erst wieder einführen mit Marketing, Promotion und allem Drum und Dran.

eclipsed: Ist „Great Escapes“ überhaupt wieder ein Konzeptalbum geworden?

Bossert: Es gibt tatsächlich dieses übergeordnete Konzeptthema der Flucht in im Grunde allen Lyrics. Als Textschreiber bewegt einen ja immer etwas. Jetzt aber nicht so, dass ich die Zeitung aufschlage und schaue, was auf der Welt so abgeht. Ich wollte das gar nicht so groß an die Glocke hängen nach „Shackleton’s Voyage“ … so nach dem Motto: schon wieder ein Konzeptalbum. Die Songs selbst und der Grundsound sind mir da schon erst mal sehr wichtig.

eclipsed: Was ist aber das eigentliche Konzeptthema?

Bossert: Das hat sich so entwickelt. Auch das Cover zeigt das. Darauf sieht man die Strandpromenade von Havanna/Kuba. Diese Frau, die da entlangläuft, symbolisiert für mich diesen Fluchtgedanken. Im Grunde geht es immer um Flucht: Flucht aus der Realität, aus dem Alltag. Es geht um den modernen Medienwahnsinn … dieser Medienterror mit den Smartphones, Facebook, diese ständige virtuelle Ebene, die uns immer begleitet. Das bewegt uns im Grunde alle. Wie viele Leben im Leben hat man eigentlich noch? Die Flucht vor dem eigentlichen Leben. Und diese Flucht vor dem eigenen Ich wird einem mit dem Älterwerden immer klarer, denn man hat weniger Lebenszeit. Vieles war früher echter, das hat mich am meisten beschäftigt.

eclipsed: Man munkelt, dass nun endlich auch Live-Auftritte von Eureka anstehen …

Bossert: Ja, ich suche derzeit nach den geeigneten Musikern, um mein eigenes „Power-Trio“ zusammenzustellen und die Musik von „Great Escapes“ damit auf die Bühne zu bringen.

Mehr Informationen:
www.eureka-music.de

Interview: Walter Sehrer
Foto: Shirin Baouche